Eurokrise: Ratlos in Harvard

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Die Währungsunion ist voller Fehler, aber ohne Alternative, der Süden muss deutscher, Deutschland großzügiger werden: Eine Tagung vermisst die europäische Malaise.

Cambridge/Massachusetts. Man nehme: zwei Dutzend der scharfsinnigsten Ökonomen und Politikwissenschaftler beiderseits des Atlantiks, einen Vortragssaal im Minda de Gunzburg Center for European Studies an der Harvard University und die folgende Frage: Wie geht es mit Europa nach der Eurokrise weiter?

Die Antwort: So, wie bisher – mit einem Weiterwurschteln der politischen Führer der Euroländer, die „unglücklich sind mit dem, was wir haben, sich aber davor fürchten, was wir ändern müssen“, wie es der griechische Professor Loukas Tsoukalis formulierte. „Europa“, fügte er hinzu, „könnte sich insofern in einem Gleichgewicht des Schreckens finden.“

Alles andere wäre schlechter

In einem jedenfalls waren sich die Tagungsteilnehmer einig: Der Euro wird fortbestehen. „Würde ich wetten, würde ich mit sehr guten Quoten darauf setzen, dass er überleben wird“, sagte Larry Summers, einst Finanzminister unter Bill Clinton, früherer Chefwirtschaftsberater von Barack Obama und verhinderter amerikanischer Notenbankpräsident. „Man begeistert sich für die europäische Währungsunion, wenn man sich mögliche andere Währungsarrangements vor Augen führt: Wäre zum Beispiel Süditalien mit einer eigenen süditalienischen Währung wirklich besser dran?“

„Der Euro wird überleben, weil er besser ist als alle Alternativen“, pflichtete ihm Peter Hall bei, ein Harvard-Professor für Europastudien. Besonders überraschend fiel der positive Befund des britischen Wirtschaftshistorikers Niall Ferguson aus, eines der einst lautesten Kritiker der Währungsunion: „Wir müssen uns vor dem negativen Konsens hüten. Die Eurozone hat heute schließlich mehr Mitglieder als vor der Krise. Deutschland ist in ihr gleichsam der Hund, Griechenland hingegen nur ein kleiner Teil des Schwanzes, mit dem er wedelt.“ Die Eurozone wird überleben, doch er hat die krassen Unterschiede in den volkswirtschaftlichen Modellen der Mitglieder schonungslos offen gelegt. „Mir macht es Sorgen, dass in der Eurozone dauerhafte Pole des Wachstums entstanden sind. Das hat man sich so vorher wohl nicht vorgestellt“, sagte Michael Landesmann vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, dem Mitveranstalter der Tagung.

Europas Spaltung in vier Zonen

Der Niederländer Bart van Ark, Chefökonom des Conference Board, das viele der wichtigsten Wirtschaftsstatistiken erstellt, skizzierte vier Gruppen europäischer Wettbewerbsmodelle. In der ersten Gruppe finden sich Deutschland, Österreich sowie die mittel- und osteuropäischen Staaten in einer „integrierten Wertschöpfungskette“ – eine der besten in der Weltwirtschaft, fügte er hinzu.

Die zweite Gruppe nennt van Ark „globale Nischenplayer“. Die nordischen Staaten, die Benelux-Länder sowie Irland verfügten über starke Dienstleistungssektoren, seien aber weniger stark mit den anderen europäischen Volkswirtschaften vernetzt, sondern mehr von den Weltmärkten abhängig. Globale Schocks treffen sie stärker als Deutschland oder Österreich.

Als Modell einer so gut wie kompletten Deindustrialisierung reiht van Ark als einziges Mitglied Britannien in eine dritte Gruppe. Was dort noch produziert wird, geht fast ausschließlich in den eigenen Verbrauch; dafür ist der Banken- und sonstige Finanzsektor überdimensioniert.
Die Mittelmeerländer können viertens kaum auf den Märkten reüssieren. Die Krise hat sie noch enger aneinandergeschmiedet.

Was also ist zu tun? Denn dass der Euro als Zahlungsmittel Bestand hat, ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit im Süden nicht genügend. „Es ist nicht richtig, dass die südlichen Länder keine Reformen nach deutschem Vorbild brauchen“, sagte Summers. „Aber er ist richtig, dass sie nicht denselben Nutzen daraus erwarten dürften, den Deutschland hatte.“

Auf Deutschland kommt es an

Berlin müsse im Gegenzug für südländische Reformen dauerhaften Transfers zustimmen – allen voran der Schaffung eines IWF-artigen Fonds, der die maroden Banken sanieren könne, sagte der Ökonom Jeffrey Frieden. Das sei eben der Preis dafür, dass der Euro nach dem Modell der D-Mark gebaut wurde, fügte André Sapir vom Brüsseler Thinktank Bruegel hinzu.

Doch wer soll diese Reform anstoßen? „Frankreich ist schwach, Deutschland ist stark, und niemand will führen“, sagte Vivien Schmidt von der Boston University. Wie wäre es, wenn man Europas stärkste Politikerin auf einen EU-Chefposten setzte? Romano Prodi, einst Kommissionspräsident und später Italiens Regierungschef, winkte ab: „Angela Merkel wäre eine nette Lösung. Doch wenn sich der Geist in Europa nicht ändert, würde ihr Nachfolger in Berlin alles tun, um sie zu sabotieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2013)


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