Gretschmann: "Dann bleibt nur mehr die Bazooka"

Gretschmann Dann bleibt mehr
Gretschmann Dann bleibt mehr(c) Dapd (Torsten Silz)
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Als der Euro Ende der 1990er-Jahre Gestalt annahm, war der Ökonom Klaus Gretschmann der wirtschaftspolitische Berater von Gerhard Schröder. Heute sagte er: Schwere Konstruktionsfehler wurden damals übersehen.

Hätten Sie sich als Berater des damaligen deutschen Kanzlers Schröder gedacht, dass man 13 Jahre nach Schaffung des Euro bereits über seine Auflösung redet?

Klaus Gretschmann: Ich wette, dass es den Euro auch in 20 Jahren noch gibt. Die einzige Frage ist: Wer sind die Länder, die ihn tragen? Der Euro ist nach wie vor eine extrem stabile Währung nach innen und außen. Sehen Sie sich nur den Wechselkurs gegenüber dem Dollar an. Auch die Finanzkrise hat der Euro gut überstanden. Inflation? Kurz-bis mittelfristig kein Problem, bei zwei bis drei Prozent. Was heute deutlich wird ist, dass die Vielzahl von warnenden Stimmen, die uns frühzeitig darauf hingewiesen hatten, dass viele Sachfragen der Währungsunion ungeklärt seien, nicht ausreichend Gehör fanden. Die Hoffnung war, dass mit der Einführung des Euro eine Bewegung hin zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik entstünde. Das ist leider nicht in ausreichendem Maße eingetreten.

Wie kommen wir aus der Malaise heraus?

Wenn ich dafür eine überzeugende Lösung hätte, wäre ich vermutlich nobelpreisverdächtig. Aus meiner Sicht haben wir heute keine Eurokrise. Wir haben auch keine Krise der Eurozone, sondern eine Krise in der Eurozone. Wir haben eine Krise der Staatsfinanzen, aber auch das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Wir haben verklemmte Finanzmärkte und ein in der Folge der ersten Finanzkrise verwundbares Bankensystem. Wir haben Finanzinvestoren, die das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit von Staatsschulden verloren haben, Anleihen nicht mehr als risikolos betrachten und deswegen in eine Art Käuferstreik getreten sind. Ich befürchte, dass die europäische Politik möglicherweise die falsche Krise löst, indem sie auf der Basis falscher oder unzureichender Analysen nicht die richtigen Entscheidungen trifft. So gehen sicher die Beschlüsse des EU-Gipfels von letzter Woche auf längere Frist in die richtige Richtung, sind möglicherweise aber nicht geeignet, um die Anleihemärkte kurzfristig wieder zum Leben zu erwecken.

Was heißt das nun?

Wenn man nun etwa sagt: Die Lösung liegt in einer Schuldenbremse für alle, darin also, dass alle Länder sparen müssen, dann übersieht man, dass es sich hierbei zwar um eine längerfristig notwendige, aber kurzfristig keineswegs hinreichende Bedingung handelt. Nehmen Sie zum Beispiel an, die Italiener kriegen ihren Schuldenstand von 120 auf 100 Prozent gesenkt. Das wäre eine fantastische Leistung – aber warum sollen die Investoren dann wieder italienische Bonds kaufen, und das zu niedrigen Zinssätzen? Die Begründung aus Lehrbüchern ist, dass damit die Risiken für die Investoren sinken. Das ist aber nicht die Realität der Anleihemärkte. Nein, die wollen ihre italienischen Bonds weiterhin zu sechs oder sieben Prozent verzinst bekommen.

Könnte man das durch die Einführung von Eurobonds lösen?

Kaufen die Investoren dann tatsächlich Eurobonds? Wenn wir sicher sein könnten, dass die Anleger in Eurobonds gehen, wäre das überlegenswert, obwohl natürlich das Problem des Moral Hazard bestehen bleibt, also dass bei Vergemeinschaftung der Schulden in Europa der Anreiz zu fiskalischer Disziplin in den Mitgliedsländern sinkt. Aber ob Eurobonds von den Märkten angenommen werden, ist keine ausgemachte Sache. Das wesentliche Argument für Eurobonds ist aus meiner Sicht, dass sie einen einheitlichen Markt schaffen und nicht mehr gegen einzelne Staaten, sondern nur noch gegen den dann sehr gewichtigen Euroraum spekuliert werden könnte. Aber ob die Käufer ihren Streik mit der Einführung von Eurobonds beenden würden, wage ich momentan zu bezweifeln.

Was also tun?

Mein ungeliebter Schluss ist: Wenn es die Eurobonds nicht sind, wenn es die „Hebelung“ des Rettungsschirms EFSF oder der ESM nicht ist, dann bleibt nur noch die Bazooka als die am wenigsten schlechte Lösung übrig: Die Europäische Zentralbank kauft für eine gewisse Frist weiterhin Staatsanleihen auf, um den Markt zu stabilisieren. Ich mag dies eigentlich nicht, weil ich als Ökonom von den auf längere Frist nachteiligen Wirkungen einer Notenbankfinanzierung von Staatsausgaben überzeugt bin. Aber: Wenn die Alternativen alle schlechter sind, hat diese relative Vorteile. Einmal eingeführt, sind die Eurobonds nur sehr schwer zu revidieren. Eine Finanzierung durch die EZB hingegen kann man im Prinzip reversibel gestalten. Damit ist das ein Instrument, das keiner wirklich liebt, das aber möglicherweise als einzige kurzfristige Maßnahme gegen die Krise übrig bleibt.

Die Märkte misstrauen Europa, die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls. Was muss sich ändern?

Wir werden aus der Existenzkrise der Europäischen Union nur herauskommen, wenn wir sagen: Wir brauchen ein anderes Europa. Immer mehr vom Gleichen kann nicht mehr die Devise sein. Wir werden nicht mehr allein mit der manchmal polemisch „bürokratische Beglückungsmaschinerie“ genannten Brüsseler Apparatur weiterkommen, die eingespielt ist für normale Gesetzesvorhaben. Wir benötigen Modelle und Visionen, die über das von Habermas als „postdemokratischen Exekutiv-Föderalismus“ bezeichnete Modell der Realität hinausgehen, wir brauchen Politiker, die visionär und charismatisch eine Idee von Europa haben, wir müssen eine europäische Identität schaffen. Und Identität braucht bekanntlich „Identi-Täter“.

Klaus Gretschmann war Wirtschaftsberater des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder. Danach war der Ökonom bis heuer Generaldirektor im Rat der EU.

Am Montag diskutiert er mit „Presse“-Chefredakteur Michael Fleischhacker ab 18.30 Uhr am Wiener IWM. Näheres unter: www.iwm.at

Neuer Vertrag. Die 17 Euroländer und weitere neun EU-Länder schließen sich in einer neuen Vertragsgemeinschaft zur Stabilisierung des Euro zusammen. Großbritannien beteiligt sich nicht.

Schuldenbremse. Euroländer müssen ihr jährliches strukturelles Defizit auf 0,5 Prozent des BIPs begrenzen. Sie müssen ihre Gesamtschulden um ein Zwanzigstel pro Jahr senken. Die Implementierung im nationalen Recht wird durch den EuGH überwacht.

Automatische Sanktionen. Länder, die sich zu hoch verschulden, werden automatisch sanktioniert. Außerdem müssen sie mit der EU-Kommission ein Schuldenabbauprogramm vereinbaren, das von Brüssel kontrolliert wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2011)

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