EU-Russland-Gipfel: Schwäche der EU stärkt den Kreml

(c) AP (Yves Logghe)
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Die Krise der Euroländer lähmt Europas außenpolitische Möglichkeiten. Davon profitiert niemand deutlicher als Russlands Machtelite. EU solle in der Frage der Menschenrechte lieber vor ihrer eigenen Türe kehren.

Brüssel. Leere Worthülsen über Russlands größte Demonstrationen seit Ende der Sowjetunion, dafür Schweigen zu russischen Belehrungen in Sachen Menschenrechte: Das 28.Gipfeltreffen zwischen der EU und Russland hat am Donnerstag klar gezeigt, wie stark die Krise der Eurozone die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäer einschränkt.

Die EU solle in der Frage der Menschenrechte lieber vor ihrer eigenen Türe kehren, vor allem, was die „Verletzung der Rechte von russischsprachigen Minderheiten, Rassismus und Xenophobie betrifft“, sagte Russlands scheidender Präsident, Dmitrij Medwedjew, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission, Herman Van Rompuy und José Manuel Barroso, in Brüssel. Die Forderung des Europäischen Parlaments nach einer Neuaustragung der Duma-Wahl vom 4.Dezember wischte der russische Präsident weg: „Das ist unser Parlament. Die Kommentare des Europaparlaments bedeuten mir gar nichts.“

20-Milliarden-Dollar-Hilfe

Inhaltlich brachte das Treffen allen Lippenbekenntnissen zum Trotz über „substanzielle Fortschritte in mehreren Bereichen“ kaum einen messbaren Erfolg. Der heute, Freitag, folgende russische Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO war schon vorab fixiert. Bei der heiklen Frage zur Erleichterung der Visa-Vorschriften für russische Reisende gab es nur das Bekenntnis, technische Vorbedingungen erfüllen zu wollen, um überhaupt erst politische Verhandlungen zur Erleichterung des Reisens aufnehmen zu können (ohne Zieldatum).

In der Frage der Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien oder der Einzäunung des iranischen Atomprogramms beschied man einander nur in freundlich-unverbindlichen Worten, weiterhin freundlich-unverbindlich zusammenarbeiten zu wollen. Und Russland sieht die Liberalisierung des europäischen Energiemarktes weiterhin als direkt und einzig und ausschließlich gegen Gazprom, den größten Erdgasproduzenten der Welt, gerichtetes Komplott.

Ein greifbares Ergebnis gab es einzig in der Frage, ob und in welchem Umfang sich Russland an einem Sonderfonds des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Stabilisierung der Staatsfinanzen in der Eurozone beteiligen würde. Medwedjew umschiffte diese Frage bei der Pressekonferenz zwar elegant, sein Wirtschaftsberater hatte sie allerdings schon am Donnerstag frühmorgens beantwortet. „Wir sind bereit, unseren Anteil an einem Rettungsfonds beizutragen. Zehn Milliarden Dollar sind das Minimum. Wir sind aber auch bereit, zehn weitere Milliarden Dollar zuzuschießen“, sagte Arkadi Dworkowitsch im Gespräch mit der „Presse“ und internationalen Medien. Die ersten zehn Milliarden Dollar hat Moskau dem IWF bereits im Jahr 2009 zur Verfügung gestellt. Sie wurden nicht ausgegeben, und Russland verzichtet darauf, sie zurückzufordern. Das ist eine Frage des Eigennutzes, sagte Dworkowitsch: „Jede negative Entwicklung in Europa berührt uns auch negativ. Dann verlieren wir noch mehr als die zehn Milliarden Dollar.“

Visum als Waffe der Demokratie

Klar ist: Die Führer der EU wissen, dass sie durch Drohungen nichts an der tristen politischen Lage in Russland ändern können, die sich unter Medwedjews Vorgänger und Nachfolger, Wladimir Putin, nicht verbessern wird, sagte Jana Kobzova vom European Council on Foreign Relations zur „Presse“. „Wir können aber einiges tun, um zumindest unsere eigenen Interessen zu schützen.“ Als Vorbild sollte der britische „Bribery Act“ aus dem Jahr 2010 gelten. Dieses Gesetz droht in Großbritannien tätigen Unternehmen für jegliche Korruption, egal, wo auf der Welt, mit harten Strafen. „Ein sehr wirksames Mittel“, sagte Kobzova. „Aber das müssen alle 27Mitgliedstaaten auch umsetzenn, damit es wirksam ist. Und es gibt eine Reihe von Ländern in der EU, die mit der Einführung so eines Gesetzes ein ziemliches Problem hätten.“ Das treffe vor allem auf Österreich und Zypern zu, die seit Langem enge Kontakte zum politisch-wirtschaftlichen Kreml-Komplex haben.

Dennoch hat die EU einen Hebel in der Hand, um die russische Gesellschaft zu öffnen: die Einführung elektronischer Visa, die schneller, dank einer endlich funktionierenden Visa-Datenbank sicherer und billiger ausgestellt werden könnten als die herkömmlichen Sichtvermerke: „Das wäre ein Weg, um zwischenmenschliche Kontakte zu erleichtern und das Bild eines dekadenten Westens zu zerstreuen, das Putin zu erzeugen versucht“, regte Kobzova an.

Auf einen Blick

Drei große Problemfelder prägen derzeit das Verhältnis der EU zu Russland. Erstens lehnt Moskau die Liberalisierung des EU-Energiemarktes ab, weil das die Marktmacht von Gazprom schmälert. Zweitens fordert Russland die rasche Aufhebung der Visumspflicht für seine Staatsbürger. Drittens blockiert Russland als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ein strengeres Vorgehen gegen Syrien und den Iran.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2011)

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