Die verlorene Dekade der „Grande Nation“

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Deutschland ist meilenweit voraus, Frankreich verliert an Boden. Das Land hat die Erweiterung der Europäischen Union ebenso verschlafen wie harte Reformen der Arbeits- und Sozialgesetze nach Deutschlands Vorbild.

Brüssel. Wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen: Genüsslich zitierte die linksliberale Pariser Tageszeitung „Libération“ am Wochenende jene Warnung, die Staatspräsident Nicolas Sarkozy unlängst an Parteianhänger gerichtet hatte: „Ich will nicht der Präsident des Club Med sein!“ Nun, mit einer Bonitätsnote von AA+ statt AAA ist Frankreich dem problembehafteten Süden näher als seinem ewigen Reibebaum Deutschland.

Was läuft falsch in Frankreichs Volkswirtschaft? In welche wirtschaftliche Statistik man auch blickt, der Befund ist stets der gleiche: Deutschland ist meilenweit voraus, Frankreich verliert an Boden. Etwa beim Außenhandel: Von Jänner bis Oktober 2011 hat Deutschland einen Überschuss von 129,2 Milliarden Euro erzielt. Frankreich hat derweil ein Defizit von 72,5Milliarden Euro erlitten. Und dieser Abstand wächst jährlich.

Der neidvolle Blick auf „Le Mittelstand“

Frankreichs Unternehmen büßen gegenüber ihren deutschen Konkurrenten also stetig an Wettbewerbsfähigkeit ein. Wieso? Der Rat für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (Cese), ein Beratergremium der französischen Regierung, ist dieser Frage im Oktober auf den Grund gegangen. Quintessenz der Ausführungen auf 98 Seiten: Deutschland hat die Nase vorn, weil seine Wirtschaft auf einem starken Mittelstand fußt, der enorm von der Osterweiterung der Europäischen Union profitiert und in den letzten zehn Jahren durch teils schmerzhafte Reformen der Arbeits- und Sozialgesetze wettbewerbsfähige Lohnkosten erhalten hat.

Die Zahlen sprechen für sich: Frankreich und Deutschland haben jeweils knapp über 200 multinationale Großkonzerne mit mehr als 5000 Mitarbeitern. Doch während es im Jahr 2007 in Frankreich 4510 mittelgroße Unternehmen gab (mit 250 bis 5000 Arbeitnehmern), waren es in Deutschland mehr als 10.000. Genau hier pocht das Herz des deutschen Mittelstandes: Unternehmen, die – in den Worten des Cese-Berichtes – „von einem stabilen Familienkapital geführt werden und auf ein Bankennetz zurückgreifen können, das lokal und diversifiziert ist und in dessen Mittelpunkt die Sparkassen eine vorrangige Rolle spielen.“

Deutscher Profit aus Erweiterung der EU

Das allein erklärt aber nicht, wieso Deutschland zum „Exportweltmeister“ wurde. Im Vergleich zu Frankreich ist dieser Titel vollends berechtigt: Im Jahr 2007 exportierten 364.000 deutsche Betriebe – viermal so viele wie in Frankreich. Es war die EU-Osterweiterung der Jahre 2003 und 2007, die Deutschlands Unternehmen wettbewerbsfähiger machten, sagt Guntram Wolff vom Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel zur „Presse“: „Das brachte viel Druck, vor allem auf das Niedriglohnsegment, aber auch unglaubliche Chancen. In Frankreich haben wir diesen Druck aus Osteuropa nicht gesehen.“ Deutschlands Betriebe verstanden es zudem meisterhaft, die postkommunistischen Länder in ihre Wertschöpfungsketten einzuflechten. Die Vorprodukte mögen aus Polen oder Ungarn kommen, doch montiert wird in Deutschland: So entstand die „Basarökonomie“, jene Hypothese, die der streitbare deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn vor einigen Jahren noch kritisch untersuchte. Der Cese-Bericht hingegen ist voll des Lobes über dieses Wirtschaftsmodell, wo der Großteil der Wertschöpfung eines Produktes „made in Germany“ ist.

Wie der Euro den Deutschen nutzt

Stabiler Familienbesitz, lokale Hausbanken, die Hauptmärkte in der EU und vor allem in der Eurozone: So konnten Deutschlands Betriebe die Verdoppelung des Eurokurses gegenüber dem Dollar in den Jahren 2001 bis 2008 (von 0,85Dollar auf 1,60Dollar) wegstecken, während den Franzosen die überseeischen Märkte wegbrachen. Gleichzeitig stiegen die industriellen Arbeitskosten in Deutschland um 19,2Prozent – in Frankreich hingegen um 39,4Prozent. Und auch nach fünf Jahren Sarkozy gilt die 35-Stunden-Woche aus lang vergangenen sozialistischen Zeiten. So setzt der Verlust des AAA die Schlussnote unter ein verlorenes Jahrzehnt französischer Wirtschaftspolitik.

Auf einen Blick

Was ist Frankreichs Wirtschaftsproblem? Im Vergleich zum Erfolg Deutschlands lässt sich die französische Malaise gut umreißen: Politik und viele Unternehmen haben großteils die Osterweiterung der EU verschlafen. Während die Deutschen ihre Sozial- und Arbeitsgesetze verschärften, gilt in Frankreich großteils noch immer die 35-Stunden-Woche. So verlieren französische Unternehmen global an Boden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2012)

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