Ökonom: "Das ist der Anfang vom Ende der EU"

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oekonom Anfang Ende(c) AP (MICHAEL PROBST)
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Markus C. Kerber kämpft mit Klagen gegen EZB und Rettungspakete. Sein Weg aus der Krise: Die starken Länder müssen die "Exzesspolitik" stoppen und die Eurozone neu definieren – ohne Rücksicht auf die Märkte.

Sie sind mit Ihren Klagen gegen die Eurokrisenhilfen aus Brüssel und Frankfurt vorerst gescheitert. Welches Fazit ziehen Sie?

Markus C. Kerber: Es besteht der Verdacht, dass im Namen Europas Recht gebrochen wird. Damit steht die Idee der Union als Rechtsgemeinschaft auf dem Spiel. Wir geraten in das Regime eines permanenten Ausnahmezustandes, der durch nichts legitimiert ist. Die subjektiven Freiheitsrechte, die das Instrument der Gemeinschaft waren, können nicht mehr eingeklagt werden. Das führt unweigerlich in den Abgrund.

Ihre Zielscheibe ist die EZB. Eine Zentralbank soll doch unabhängig agieren können.

Unabhängig heißt nicht frei von Regeln, Rechenschaft und Recht. Die Zentralbanker halten sich für Päpste. Seine Heiligkeit Trichet trat ja auch mit einer vatikanischen Selbstgewissheit auf.

Man könnte aber auch sagen: Er hat erkannt, dass die EZB mit ihren Statuten nicht auskommt, wenn sie Finanzstabilität gewährleisten will. Was spricht dagegen, diese Statuten zu ändern?

Sie können in die Statuten nicht Dinge hineinschreiben, die über das Mandat hinausgehen, das die Vertragsparteien gegeben haben. Nach diesem hat die Zentralbank nur eine Aufgabe: Geldpolitik. Mit einem Ziel: Preisstabilität. Sie darf keine Fiskalpolitik betreiben. Sie verteidigt sich also damit, sie verfolge nur die Finanzstabilität. Das wäre aber auch nur eine Nebenfunktion.

Welche Prinzipien der Währungsunion werden konkret gebrochen?

Dass es Solidarität nur bei unverschuldeten Katastrophen geben darf. Keine Staatsfinanzierung, Anleihenkäufe am Sekundärmarkt nur im Rahmen der Offenmarktpolitik. Dass es kein Bailout gibt und der Stabilitätspakt eingehalten wird. Was ist das alles wert, wenn kein Bürger die Rechtsverletzungen stoppen kann? Wenn die EZB sagen kann: Wir nehmen 20 Jahre lang alle Sicherheiten an, die Banken uns anbieten? Damit macht sie sich zum Spielmacher der Wettbewerbsverfälschungen. Das führt zum Kollaps. Noch etwas: Ein Eurosystem, das Entscheidungen trifft, bei denen der wichtigste Teilnehmer, die Bundesbank, immer erfolglos dagegen stimmt, kann nicht glaubwürdig sein. Es ist unerträglich, dass eine ökonomische Mehrheit– Deutschland, Holland, Finnland und Österreich – von einer ökonomisch schwächeren Minderheit dominiert wird.

Die EZB-Aktivitäten der letzten Zeit waren aber recht erfolgreich?

Ich habe keine Sympathien für Herrn Berlusconi, schön, dass er weg ist. Aber ihm einen Brief schreiben, ihm drohen: Wenn du die Sanierung nicht radikaler vorantreibst, kaufen wir keine Staatsanleihen mehr– das ist doch keine nachhaltige Politikmethode.

Sehen Sie die Drei-Jahres-Tender auch so negativ? Das Geld hilft ja nicht unmittelbar Staaten, sondern Banken.

Wir haben jetzt dreimal so viel Liquidität im Bankensystem, wie objektiv notwendig wäre. Der Wettbewerb zwischen den Banken wird verfälscht, sie werden nicht mehr nach ihrer Bonität beurteilt. Darüber stöhnen die deutschen Institute, auch wenn sie offiziell nicht über ihren Rohstofflieferanten EZB schimpfen. Aber sie wissen: Jetzt können die Konkurrenten in Südeuropa Geld drucken, und das wird zu Blasen führen. Die Banken dort schmieden mit ihren Staaten ein Komplott zu Lasten Dritter: der Steuerzahler im Norden. Nämlich für den Fall, dass die Katastrophe eintritt, wenn sich die Wettbewerbsfähigkeit Italiens und Spaniens in den drei Jahren nicht verbessert. Die Stunde der Wahrheit ist nur hinausgeschoben worden.

Das ist ja gerade der Plan: Die Problemstaaten sollen Zeit gewinnen, bis ihre Strukturreformen greifen.

In einem liberalen Wirtschaftsmodell führt nur die Verpönung durch den Markt für unterlassene Reformen dazu, dass man die Pferde zum Laufen bringt. Hier setzt man aber die Marktmechanismen aus, um die Anpassung zeitlich zu strecken.

Das vorherrschende Modell lautet: Wir steuern auf ein schlechtes, zu niedriges Gleichgewicht zu, weil das Vertrauen fehlt. Die Märkte reagieren zu negativ, und da kommt man nur mit Überbrückungsmaßnahmen raus.

Es gehört zum Wesen der Wertpapiermärkte, dass sie volatil sind, dass sie spät und massiv reagieren. Das ist aber kein Grund, den Druck, der von ihnen ausgeht, wegzunehmen. Ohne Märkte hätten wir nicht gemerkt, dass sich Griechenland durch Betrügereien in die Währungsunion reingeschlichen hat. Aus Brüssel hätten wir das nie erfahren.

Wie soll es mit Griechenland weitergehen?

Dieses Land gehört nicht länger in die Währungsunion – und vielleicht auch nicht mehr in die EU. Denn auch die gut 100 Milliarden, die Griechenland netto in 30 Jahren Mitgliedschaft aus EU-Fonds bekommen hat, haben dieses Land nicht zu einem annähernd vergleichbaren Mitglied der Gemeinschaft gemacht.

Stattdessen steuern wir auf eine Transferunion zu. Aber ist das wirklich so schlimm? In Deutschland finanziert auch das reiche Bayern das arme Berlin.

Der Finanzausgleich führt auch hier [im deutschen Bundesstaat, Anm.] zu Spannungen. Auf Dauer ist er nicht haltbar, selbst in einem Bundesstaat, wo es ein starkes Zugehörigkeitsgefühl gibt. Im Euroraum fehlt es bislang noch völlig. Wenn man sich da an Fehlanreize gewöhnt, wenn die Solidarität überbeansprucht wird, wenn es Fässer ohne Boden gibt – dann knallt es irgendwann, auf beiden Seiten. Das ist der Anfang vom Ende der gesamten Union.

Hilfspakete, Rettungsschirme, EZB-Aktionen: Was wäre ohne sie passiert? Die meisten Ökonomen sagen: Es gäbe eine globale Rezession, viel schlimmer als 2008.

Wir hätten eine Krise bekommen, ja. Aber sie wäre geringer ausgefallen als der Kollaps, in den wir jetzt rennen. Wir hätten Tacheles geredet und das Problem überschaubar gehalten. Mit einem Bruchteil dessen, was man heute für die Griechenland-Rettung riskiert, hätte man Athen sagen können: Wir teilen uns den Schaden, es war auch unser Fehler, euch in die Währungsunion zu lassen. Wir haben euch verführt, und ihr habt uns getäuscht. Hier habt ihr einen Batzen Geld, und nun lasst uns bitte in Ruhe. Mit Begleitmaßnahmen hätten das auch die Banken verkraftet. Die Franzosen haben das verhindert, für sie galt der Primat des politischen Prestiges.

Bei Griechenland ist es aber nicht geblieben.

Weil man das Problem nicht eingegrenzt hat. Keine Krise war so hausgemacht wie die der Griechen. Nachdem man sie gerettet hat, konnte man keinem Land mehr ein Bailout versagen. Das Portugal-Paket wäre gar nicht notwendig gewesen. In Irland hätte man die Banken pleitegehen lassen müssen. Stattdessen hat man dort die Struktur eines völlig überdimensionierten Bankensektors bewahrt. Auch ein Berlusconi in Italien wäre erwacht und hätte sich dem Zwang der Märkte nicht erst 2011 gebeugt, wenn wir deutlich gemacht hätten, dass das Bailout-Verbot wirkt.

Ist denn Italien „Euro-würdig“?

Italien ist ein unverzichtbarer Teil jeder Neukonfiguration des Euros. Es hat eine große Industrie, es hat einen Primärüberschuss, kann also, im Gegensatz zu Frankreich, seine Zinsen aus eigener Kraft zahlen. Es hat eine sehr hohe Sparquote, die Verschuldung wird durch Italiener finanziert. Und es ist ein essenzieller Markt, für die Deutschen wie für die Österreicher. Das große Problem der Eurozone ist auch nicht Spanien, sondern Frankreich: Dort sind die Finanzen zerrüttet, in zwei Jahren Wachstum hat man das Defizit verdreifacht.

Welche Lösung schlagen Sie vor?

Wir kommen in eine Sackgasse, wenn wir eine Eurorettung um jeden Preis versuchen. Das ist zutiefst irrational, damit ruinieren wir die Finanzwirtschaft aller. Europa kann kein Interesse daran haben, dass Deutschland ein „BBB“-Rating bekommt. Auf der anderen Seite gibt es Eurogegner um jeden Preis, die diese Währung dämonisieren. Ich habe immer gesagt: Das ist ein nobles Experiment, man kann es unter bestimmten Bedingungen versuchen. Sie wurden nicht eingehalten und die Quittung dafür haben wir bekommen. Eine Möglichkeit wäre: Man stellt die Bedingungen wieder her.

Merkel versucht das mit dem „Fiskalpakt“.

Das ist kein Fortschritt. Denn in diesem Pakt gibt es keine automatischen Sanktionen– weil Frankreich das nicht will.

Was ist die Alternative?

Die Überschussländer müssen den Schaden begrenzen. Ohne sie wäre der Euro eine Weichwährung, sein Kurs nicht zu halten. Sie müssen einen Stopp der Exzesspolitik der EZB durchsetzen. Wenn die Südländer das verweigern, dann bleibt nur eine Neuausrichtung der Eurozone. So inhomogen ist sie nicht überlebensfähig und reißt alle Länder den Bach runter. Dabei geht es auch um Frankreich: Alle Stabilitätsversprechen brechen und zugleich den ungebrochenen Willen haben, den Ton anzugeben– das ist innerhalb einer Währungsunion nicht möglich.

Wenn die Politiker laut überlegen, wer in diese Währungsunion gehört – das würde doch die Anleiheinvestoren völlig verunsichern.

Man muss eine Politik unabhängig von den Märkten machen. Was die Märkte kurzfristig meinen, darf nicht der Maßstab für eine langfristig tragfähige Währungsunion sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2012)


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