Schuldenkrise: Portugiesen fliehen in Ex-Kolonien

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Die Regierung in Lissabon erfüllt ihre Sparpläne, doch die Arbeitslosigkeit steigt. Immer mehr Junge wandern nach Angola oder Brasilien aus. Die Reform des Arbeitsmarktes geht sehr langsam voran.

Brüssel. Funktioniert das 78 Milliarden Euro schwere Programm zur wirtschaftlichen Genesung Portugals? Die Antwort auf diese Frage fällt nach Durchsicht des dritten Berichts der Europäischen Kommission zwiespältig aus. Vordergründig ist die Reduzierung der Neuverschuldung ebenso auf Schiene, wie die versprochenen Reformen umgesetzt werden. Dahinter verbirgt sich aber eine wachsende Auswanderungswelle, die mangels aktueller Statistiken nur erahnt werden kann. Sicher ist: Immer mehr junge Portugiesen fliehen vor der Arbeitslosigkeit, die mittlerweile 15 Prozent beträgt, in die früheren portugiesischen Kolonien Angola, Brasilien und Mosambik. Die vermutlich bisher am besten ausgebildete Generation an Portugiesen kehrt zu einem Gutteil ihrem Land den Rücken.

Mehr Portugiesen in Angola als umgekehrt

Die Europäische Kommission verweist auf die Daten des EU-Statistikamtes Eurostat. Zwar sei die Zahl der Auswanderer von 2009 auf 2010 um 41 Prozent auf 23.760 Menschen gestiegen. Doch nur 4342 davon hätten Portugal für ein Nicht-EU-Land getauscht. Im Jahr zuvor waren es 6490.

Doch diese Statistik zeigt nur den Stand zu jenem Zeitpunkt an, als Portugals Schuldenkrise ausbrach. Das Hilfsprogramm der anderen Euroländer und des Internationalen Währungsfonds läuft seit Mai 2011. In der Zwischenzeit ist die Arbeitslosigkeit weiter gestiegen: von 12,5 Prozent im Juli 2011 auf 15 Prozent im Februar 2012.

Es spricht also einiges dafür, dass der Druck zur Auswanderung gestiegen ist – vor allem nach Übersee. Denn in der EU ist die Arbeitslosigkeit auf dem höchsten Stand seit fast 15 Jahren. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte Mitte März die Botschaft Brasiliens ins Lissabon, derzufolge die Zahl der Portugiesen mit brasilianischer Arbeitserlaubnis von 2010 bis Mitte 2011 von 52.000 auf 328.860 Menschen gesprungen sei. Laut portugiesischen Medienberichten hat sich die Zahl der Portugiesen im dank großer Ölfelder florierenden Angola in jüngster Vergangenheit auf mehr als 100.000 vervierfacht. Es lebten nun viermal so viele Portugiesen in Angola wie Angolaner in Portugal.

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Die Reform des Arbeitsmarktes geht inzwischen stetig, aber sehr langsam voran. Eine umfassende Novelle zum Arbeitsgesetz soll erst im Juli oder August in Kraft treten. Sie sieht unter anderem die Kürzung der Abfertigungszahlungen vor. Die Lohnkosten werden durch eine Halbierung der Aufzahlung für Überstunden ebenso gesenkt wie durch die Streichung von vier gesetzlichen Feiertagen und die Erleichterung von Betriebsvereinbarungen. Nach sechs Monaten gibt es um zehn Prozent weniger Arbeitslosengeld, der Höchstbezug wurde von 1257,66 Euro auf 1048,05 Euro gesenkt. Nach 26 Monaten gibt es kein Geld mehr; bisher endete der Bezug nach 38 Monaten, die Kommission fordert eine weitere Senkung auf 18 Monate. Schließlich gibt es seit 14.Februar ein staatliches Programm namens „Estímulo 2012“ für Langzeitarbeitslose. Das Arbeitsministerium subventioniert ihr Gehalt für bis zu sechs Monate mit monatlich bis zu 419,22 Euro. Die teilnehmenden Firmen müssen dafür die Arbeitnehmer weiterbilden. 56.000 Arbeitslose sollen davon profitieren, hofft die Regierung. In der Zwischenzeit bleibt die Anziehungskraft der alten Kolonien ungetrübt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2012)

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