Angst vor dem Absturz: Finanzwelt blickt nach Washington

Der US-Kongress entscheidet über das Rettungspaket der Regierung.
Der US-Kongress entscheidet über das Rettungspaket der Regierung.(c) EPA (Matthew Cavanaugh)
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Finanzkrise: Die USA und Europa schnüren Hilfspakete, um das Schlimmste zu verhindern.

Der schwerste Kurssturz seit Jahren, der am Montag die Börsen erschüttert hatte, fand am Dienstag zwar keine Fortsetzung. Aber die Angst vor dem großen Absturz ist geblieben. Der Wiener Leitindex ATX hatte am Montag mit einem Tagesverlust von 8,33 Prozent den höchsten Verlust seit dem 28. Oktober 1997 hinnehmen müssen. Auslöser waren untrügliche Anzeichen, dass die Finanzkrise nun auch in Europa angekommen ist - und in Österreich.

Der schwache Trost: Anleger, die in Wien ihr Geld investiert haben, standen mit ihrem Minus nicht ganz allein da. In ganz Europa hagelte es schwere Kursverluste, und am Ende des Handelstages stand auch die New Yorker Börse mit dem größten Tagesverlust ihrer Geschichte da: Der Dow Jones verlor in der Nacht auf Dienstag 777,68 Punkte und lag mit 6,98 Prozent im Minus, nachdem das Repräsentantenhaus das 700 Milliarden Dollar teure Rettungspaket der US-Regierung abgelehnt hatte.s

Berg-und-Tal-Fahrt in New Yorks

Bereits am Dienstag sah die Welt wieder anders aus: An der Wall Street kam es zu einer regelrechten Kursrally - die Zuversicht, dass das Repräsentantenhaus das staatliche Rettungspaket nach den beiden Feiertagen am Donnerstag doch noch verabschieden wird, ist gestiegen.

Abgesehen davon rätselt alle Welt, wie es nun weitergehen wird. Wie sicher ist das Geld auf der Bank? Haben wir das Schlimmste bereits hinter uns, oder steht es erst bevor? Ist es mit dem US-Rettungspaket getan? Was sollte Europa tun, um der Krise zu entkommen? Hier die wichtigsten Antworten:

Droht nach den vielen Bankenpleiten jetzt der Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems?

Die Lage ist ernst, aber wie es derzeit aussieht, lässt sich die Krise mit viel Anstrengung noch ohne großen Krach lösen. Ein wichtiger Stichtag ist zweifellos morgen, Donnerstag: Wenn sich Republikaner und Demokraten in Washington wieder nicht auf das umstrittene 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket (oder einen gleichwertigen Ersatz) für die US-Banken einigen können, dann rückt der Kollaps tatsächlich ein Stück näher.

Ist die Finanzkrise, die in den USA ihren Ausgang genommen hat, ein rein amerikanisches Phänomen?

Nein. Die Finanzwirtschaft ist die einzige wirklich globalisierte Branche. Banken sind untereinander so stark vernetzt, dass sich ein größeres Problem regional nicht eindämmen lässt. Die US-Krise hat längst auf Europa, Russland und Asien übergegriffen. Europäische Länder und Russland mussten wichtige Banken bereits mit massiven Geldspritzen vor dem Zusammenbruch retten.

Wie ist es zu erklären, dass die Börsen montags abstürzen, um dienstags wieder zu steigen?

Dieses extreme Auf und Ab ist die Visitenkarte einer schweren Vertrauenskrise an den Börsen. Am Montag stürzte der Dow Jones in die Tiefe, als das Repräsentantenhaus das von der Regierung präsentierte Hilfsprogramm zur Rettung der Banken abgelehnt hatte. Dabei war schon klar, dass über die Sache am Donnerstag wieder abgestimmt wird. Derzeit reicht eine negative Nachricht, um die Börsen in Panik zu versetzen.

Wie sicher sind österreichische Banken eigentlich vor einem Kollaps wie dem der US-Konkurrenz?

Ein derartiger Zusammenbruch ist derzeit nicht wahrscheinlich. Allerdings ist nach den Vorfällen der letzten Wochen auch nichts mehr auszuschließen. Klar ist, dass Österreichs Banken stärker von der internationalen Krise betroffen sind, als bisher eingeräumt wurde. Vor allem ein Platzen der Immobilienblase in Osteuropa könnte den heimischen Instituten zusetzen.

Welchen Einfluss haben die Milliardenspritzen der Notenbanken auf die Inflationsentwicklung?

Die gewaltigen Geldspritzen werden mit Zeitverzögerung die Inflation antreiben. Pumpen die Notenbanken Geld in den Markt, ohne dass sich gleichzeitig der Wert der erzeugten Güter und erbrachten Dienstleistungen erhöht, sinkt der Wert des Geldes (Inflation). Das zeigt sich gewöhnlich mit mehrmonatiger Verzögerung, was das Feintuning schwierig macht.

Droht nach der schweren Finanzkrise nun auch eine reale Krise der Weltwirtschaft?

Ja, ganz ohne Zweifel. Geliehenes Geld ist weltweit der wichtigste „Treibstoff" der Wirtschaft. Bleibt es aus, weil Banken wegen Geld- und/oder Vertrauensmangels bei Krediten restriktiver werden, wird die Realwirtschaft stark gebremst. In den nächsten Monaten droht also eine beträchtliche Abkühlung der Weltwirtschaft. Ob daraus eine echte globale Rezession wird, darüber streiten die Experten noch.

Ist das Geld der Österreicher angesichts möglicher Bankenpleiten eigentlich noch sicher?

Radio Eriwan würde sagen: Im Prinzip ja. Größere Bankenpleiten zeichnen sich nicht ab (sind aber auch nicht grundsätzlich auszuschließen). Sparguthaben sind außerdem bis zu 20.000 Euro pro Person und Institut durch die Einlagensicherung abgedeckt. In der EU wird derzeit über einen „Schirm" für Spareinlagen diskutiert. In dem Fall müssten gesunde Banken nach US-Muster kranke Institute notfalls (mit öffentlicher Hilfe) auffangen.

Wo kann man angesichts der vielen Risikofaktoren sein Geld derzeit sicher anlegen?

Derzeit besteht kein Anlass, die Bankkonten zu plündern. Im Gegenteil: Das würde die Krise erst anheizen. Grundsätzlich gilt in Krisenzeiten, dass Sachwerte sicherer sind als „Papierwerte". Immobilien und physisches Gold gehören zu solchen Sachwerten, in denen man ruhig einen Teil seines Geldes anlegen kann. Allerdings: Physisches Gold wird mit großen „Spreads" (Unterschied zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis) verkauft und verursacht Lagerkosten.

Was würde eigentlich passieren, wenn mehrere österreichische Banken zusammenbrechen sollten?

Dann herrscht Alarmstufe Rot. Der Staat (und diverse Haftungsverbünde) garantieren zwar Einlagen bis zu 20.000 Euro, die Summe der Spareinlagen ist in Österreich aber riesig und bewegt sich in der Höhe der gesamten Wirtschaftsleistung. Eine Systemkrise - die sich derzeit hierzulande aber nicht abzeichnet - würde die finanziellen Ressourcen des Staates und der Finanzinstitute also extrem strapazieren.

Was passiert mit Konsum- und Hausbaukrediten im Falle eines Bankenzusammenbruchs?

Unbequem wird die Lage für Schuldner dann, wenn Banken (wie in den USA) beginnen, Kredite fällig zu stellen, also eine sofortige Rückzahlung verlangen. Das wäre der Fall, wenn entweder der Kreditnehmer (etwa im Zuge einer Wirtschaftskrise) oder der Kreditgeber selbst (im Zuge hoher Verluste) vor der Pleite steht. Für beide Szenarien gibt es derzeit allerdings keine Anzeichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2008)


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