Die Ladehemmung der Europäer

(c) EPA (Cesare Abbate)
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Nationale Interessen und die Furcht vor neuen Vertrags-Anpassungen lähmen die EU im Kampf gegen die Ursachen der Wirtschaftskrise.

Wenn US-Präsident Barack Obama am Donnerstag am Konferenztisch der G20 in London Platz nimmt, werden ihm zwar die Vertreter von vier EU-Staaten, die EU-Präsidentschaft und der Präsident der Europäischen Zentralbank gegenübersitzen. Eine klare gemeinsame Linie wird der zahlenmäßig starke Auftritt der Europäer dem Amerikaner aber nicht vermitteln können. Weil die Interessen der Europäer zu unterschiedlich sind und sie durch einen unvollständigen Rechtsrahmen der EU gehemmt sind, bleibt ihnen bloß eine Nebenrolle beim Weltfinanzgipfel, bei dem sie eigenen Angaben zufolge gern den Ton im Kampf gegen die Weltwirtschaftskrise angeben würden.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gab am Dienstag ehrgeizige Ziele vor: Die G20-Staaten sollten die steuerpolitischen Anreize weltweit koordinieren helfen; die Reform der Finanzmärkte müsse vorangetrieben werden, um das Vertrauen zwischen Banken und bei den Verbrauchern wiederherzustellen; es brauche eine globale Aufsicht über die Finanzinstitute; der Handel müsse weltweit angekurbelt, Protektionismus hingegen verhindert werden; und der Klimawandel müsse bekämpft werden. Das ist eine lange Liste an allgemeinen Wünschen. Doch bei der konkreten Umsetzung klaffen selbst unter den EU-Staaten die Positionen weit auseinander.

Europa ist sich nicht einmal in Grundzügen einig, wie die Wirtschaftskrise bekämpft werden sollte. Die britische Regierung unter Gordon Brown setzt ebenso wie die neue US-Regierung auf eine rasche Ankurbelung der Wirtschaft über zusätzliche staatliche Investitionen und Garantien. Eine Reform des Finanzmarkts hält die Allianz zwischen Washington und London zwar für wichtig, doch nicht für vorrangig. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel will hingegen ebenso wie die meisten anderen europäischen Staats- und Regierungschefs die Staatshaushalte nicht ausufern lassen. Sie verlangt rasche Reformen zur Kontrolle der Finanz- und Geldmärkte, um die Ursachen, nicht bloß die Folgen der Wirtschaftskrise zu beseitigen. Ähnlich ist die Linie des Chefs der Euro-Gruppe, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker. Er versuchte noch diese Woche zu hohe Erwartungen der USA an die Konjunkturprogramme der Europäer zu bremsen: Beim G20-Treffen in London solle nicht darüber gesprochen werden, welches Land mehr für die Ankurbelung der Wirtschaft tun müsse. Die Diskussion müsse sich auf den Aufbau einer neuen Finanzarchitektur konzentrieren.

Angst vor Vertragsänderungen

Doch gerade hier haben die Europäer ein rechtliches Hemmnis, um in Zukunft gezielter gegen internationale Spekulanten und unsaubere Wertpapiere vorzugehen. Sie sind nicht in der Lage, über den Rahmen des derzeitigen EU-Vertrags hinaus Institutionen zu schaffen. Die notwendige Vertragsänderung, die etwa für eine zentrale Aufsichtsbehörde notwendig wäre, ist politisch – siehe das Ratifizierungsdesaster des Lissabon-Vertrags – unrealistisch. Eine zentrale Finanzaufsicht, die grenzüberschreitend auch mit den USA zusammenarbeitet, muss deshalb in weite Ferne rücken.

„Natürlich bräuchten wir eigentlich mehr Europa bei der Aufsicht“, so ein Brüsseler Finanzexperte. Die nationalen Aufsichten seien nicht objektiv, würden ihre eigenen Geldinstitute bevorzugen.

Der vom ehemaligen französischen Notenbankchef Jacques de Larosiére verfasste Bericht für die EU-Kommission reizt aus, was ohne Vertragsänderung gerade noch möglich wäre: ein koordinierendes Gremium bei der Europäischen Zentralbank, das den europäischen Finanzmarkt gemeinsam mit den nationalen Aufsichtsbehörden kontrollieren soll. Von einer effizienten Aufsicht eines mittlerweile globalen Finanzmarkts wäre so ein Gremium freilich weit entfernt.

Hinter den Kulissen fürchten die Verantwortlichen in Brüssel deshalb bereits das Scheitern der Gespräche in London. „Kommt es dort nur zu Scheinbeschlüssen, wäre die Optik fatal“, heißt es. „Der Gipfel kann und muss Neues bewirken“, appelliert Kommissionschef Barroso am Dienstag an die europäischen Teilnehmer in London, um gleich wieder auf den Boden Realität zurückzufinden: „Es wird noch mehr solcher G20-Gipfel brauchen, denn es kann keine Wunderlösung vom 2. April geben.“

Im Grunde, so auch die Analyse der EU-Kommission, müsste jedes Finanzprodukt – auch jeder Hedgefonds – künftig kontrolliert werden. Es müssten neue Eigenkapitalregeln für die Banken eingeführt werden, die nicht prozyklisch wirken, also den Abschwung verstärken. Und es müsste eine rasche Lösung für die faulen Wertpapiere geben. Luxemburgs Regierungschef Juncker gestand dieser Tage allerdings ein, dass es auch in diesem Punkt noch keine gemeinsame Linie der EU-Staaten gebe. „Dies ist aber die entscheidende Bedingung dafür, dass die Kreditvergabe im Bankensektor wieder in Gang kommt.“

Lange interne Verhandlungen

Weil die Europäische Union nicht so rasch agieren kann wie ein Nationalstaat, werden all die internen Verhandlungen zur Bereinigung der Probleme auf dem Finanzmarkt wohl noch Monate, vielleicht sogar Jahre dauern. Zu viele nationale Interessen behindern erneut schnelle Reformen. Das Fatale daran ist, dass Europa wegen dieser internen Trägheit auch bei seiner internationalen Mitgestaltung die Hände gebunden sind.

MITGLIEDER DER G20

Nordamerika: Vereinigte Staaten, Kanada, Mexiko

Südamerika: Brasilien, Argentinien

Europa: Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Europäische Union, Russland, Türkei

Afrika: Südafrika

Asien: China, Indien, Japan, Südkorea, Indonesien, Saudiarabien

Australien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2009)

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