„Entwicklungshilfe komplett einstellen“

(c) AP (Karel Prinsloo)
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Just zur aktuellen Entscheidung der EU, Hilfszahlungen an afrikanische Länder vorzuziehen, erscheint in den USA ein Buch einer renommierten Ökonomin.

New York/Wien. Die Europäische Kommission hat am späten Mittwochabend eine abgeänderte Strategie zur Unterstützung der ärmsten Länder dieser Welt präsentiert. Konkret sieht die EU vor, aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise Hilfszahlungen in Höhe von 4,3 Mrd. Euro vorzeitig zu leisten. Außerdem will man am Versprechen festhalten, im kommenden Jahr 69 Mrd. Euro an unterentwickelte Länder zu geben. Das ist ein deutlicher Anstieg: Im Vorjahr betrug die Zahlung um 20 Mrd. Euro weniger.

„Die Rezession darf kein Vorwand dafür sein, dass wir unser Versprechen nicht einhalten“, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Europa habe eine Führungsrolle im Entwicklungsbereich und müsse seine Hilfen weiter aufstocken, um den ärmsten Menschen eine Chance zu geben.

Die offizielle Position der EU ist also klar: Entwicklungshilfe ist essenziell, ohne die Unterstützung des reichen Westens wäre das Leid der Bevölkerung in den ärmsten Ländern noch größer.

Korrupte Regierungen

Dieses Argument ist nicht unumstritten. Just zum Zeitpunkt, zu dem die EU die vorgezogenen Zahlungen beschließt, erscheint in den USA das kontroversielle Buch der renommierten Ökonomin Dambisa Moyo. Darin argumentiert die aus Sambia stammende ehemalige Mitarbeiterin der Weltbank, dass sämtliche Entwicklungshilfen eingestellt gehörten.

Die Industriestaaten sollten demnach „endlich aufhören“, ihr schlechtes Gewissen mit Zahlungen an afrikanische Länder zu beruhigen. Anstatt sinnvoll genützt zu werden, würden die überwiesenen Gelder zumeist ohnehin nur korrupte Regierungen unterstützen, sagt Moyo.

Tatsächlich schätzt etwa die Afrikanische Union – ihr gehören alle Staaten Afrikas mit Ausnahme Marokkos an –, dass auf dem Kontinent jährlich 150 Mrd. Dollar (113 Mrd. Euro) ausschließlich durch Korruption „verschwinden“. Wenn man sich nun vorstelle, dass mehr als 70Prozent des Budgets der afrikanischen Länder aus Hilfsgeldern bestehen, sei es kein Wunder, dass „das bestehende System die Regierungen in armen Ländern ermutigt, ständig zum Telefon zu greifen und um Hilfe zu fragen“, schreibt Moyo. Der Westen würde aber deutlich mehr helfen, wenn er korrupte Regierungen sich selbst überließe und die Zahlungen ausnahmslos einstellte.

Als Beispiel nennt sie unter anderem den Kongo und Malawi. So habe der frühere Präsident des Kongo, Mobutu Sese Seko, von 1965 bis 1997 mehr als fünf Mrd. Dollar an Hilfsgeldern in seine eigene Tasche fließen lassen. Ein Umstand, den auch der Internationale Währungsfonds (IWF) wiederholt hervorgehoben hatte – bloß um seine Hilfszahlungen weiter zu erhöhen, wie die Ökonomin kritisiert. Ähnlich sehe das Bild in Malawi aus, einem der ärmsten Länder der Welt. Dort wurde der frühere Präsident Bakili Muluzi zu Jahresbeginn angeklagt, weil er zwölf Mio. Dollar an Hilfsgeldern veruntreut haben soll.

Das extremste Beispiel für Korruption durch ein autoritäres Regime finde sich in Angola. Für die Jahre 1997 bis 2002 könne die Regierung für jährlich 700 Mill. US-Dollar aus Öleinnahmen keine Rechenschaft ablegen. Das Geld sei einfach „verschwunden“. 2006 lebten in Angola laut den Vereinten Nationen 70Prozent der Bevölkerung in Armut.

Auf lange Sicht verhindern könne man derartige Missstände nur, wenn man Afrika sich selbst überlasse, schlägt die Ökonomin in ihrem Buch vor. Die einfache Regel Moyos: Fließt auch nur ein Cent von Hilfsgeldern in die falschen Hände, sollen die Zahlungen eingestellt werden. Dadurch würden sich die autoritären Regimes auf Dauer nicht über Wasser halten können und über kurz oder lang abgelöst werden.



„Der Westen würde am meisten helfen, wenn er die Zahlungen einstellt.“

Dambisa Moyo

Sobald die afrikanischen Länder bemerken, dass keine Hilfe mehr von außen kommt, würden sie „endlich versuchen, Investoren anzuziehen“. Dafür müssten aber zunächst bürokratische Hindernisse abgebaut und Demokratien etabliert werden, sagt Moyo.

Das Buch der Ökonomin ist unter amerikanischen Wirtschaftspolitikern aktuell in aller Munde. Kritiker entgegnen der Afrikanerin, dass sie sich durch ihren radikalen Ansatz bloß ins Rampenlicht stellen wolle. Anstatt konkrete Lösungsvorschläge zu präsentieren, würde Moyo nur provozieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2009)

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