Die Schokoladenseite der Krise

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Alle reden davon, wie schlecht es der Wirtschaft geht. Doch die, die den Menschen die Krise versüßen, profitieren ebenso von der Flaute wie Kinos, Fast-Food-Läden und Sexgeschäfte.

Sollen sie halt Kuchen essen“, soll Marie Antoinette 1793 gesagt haben, als man ihr mitteilte, dass die Menschen in der Krise kein Brot mehr haben. Der gute Rat kostete die Königin von Frankreich den Kopf. Anno 2009 aber scheint man den Tipp der gebürtigen Österreicherin zu befolgen. In der Krise, wenn zum Leidwesen der Firmen überall gespart wird, muss sich ein Wirtschaftszweig keine Sorgen machen: die Hersteller von Schokoladen. So viel Süßigkeiten wie derzeit wurden noch nie gegessen.

Nicht nur die, die die Krise versüßen, profitieren von ihr: Alles, was vom tristen Alltag ablenkt, verzeichnet seit einigen Monaten steigende Umsatzzahlen: Die Kinos (Besucherplus von 2,8Prozent); man sieht mehr fern (acht zusätzliche Minuten pro Tag), leiht öfter Videos aus (plus vier Prozent), man geht lieber in ein Fast-Food-Restaurant essen (plus drei Prozent) und in billige Cent-Märkte einkaufen. Und auch eine ganz spezielle Industrie trotzt der Flaute: Sexartikel verkaufen sich so gut wie eh und je.

Der Boom auf dem Schokomarkt setzte mit dem Eintreffen der schlechten Nachrichten aus den USA ein. Mit der Wirtschaftskrise, die nach und nach über den Atlantik kam, stieg auch der Verkauf von Süßigkeiten. Am Ende des Jahres 2008 stand ein Plus von 4,4 Prozent. Der Schokoladeverkauf allein legte laut ACNielsen um 8,8 Prozent zu. In Summe gaben die Österreicher 745 Millionen Euro für Süßigkeiten aus – fast 50 Prozent mehr, als die Unterrichtsministerin bei den Lehrern einsparen wollte.

Heuer, da die ganze Dramatik der Krise bewusst wird, kommen manche Firmen mit der Produktion von Schokolade gar nicht mehr nach. Die Schweizer Firma Lindt rechnet 2009 mit drei bis sechs Prozent mehr Umsatz, die britische Cadbury kalkuliert ebenfalls mit sechs Prozent. Milka sieht seinen Absatz in Österreich bisher stabil, stellt aber einen Trend zur Tradition fest: Die Menschen kaufen die klassische 100-Gramm-Schokolade, die schon Opa und Oma in schlechten Zeiten geholfen hat. Innovative Produkte kommen weniger an.

Kinos plus 14 Prozent

Zur Zerstreuung gehen auch mehr Menschen in die Kinos. Im ersten Quartal dieses Jahres zählte man in Österreich 4,5 Millionen Besucher – so viele wie seit 2004 nicht mehr (und damals liefen „Harry Potter“ und „Shrek 2“). Allein im Jänner waren es um 14Prozent mehr als 2008, am Ende bleibt für die ersten drei Monate dieses Jahres ein Plus von 122.745 Besuchern (2,8 Prozent). Richard Lugner meldet für das „Lichtspieltheater“ in seiner Einkaufscity gar einen Zuwachs von zwölf Prozent.

Das liegt möglicherweise an einem zweiten Krisenmagneten: dem Burger-King, der im gleichen Gebäude Pommes und Hamburger verkauft. „Wir haben so viel Kundschaft wie noch nie“, erzählt ein Mitarbeiter. Was er allein an Pommes jeden Tag verkaufe, „das ist ein ganzer Mount Everest“.

Das mag etwas übertrieben sein, aber in den 30 Restaurants in Österreich zählte die Fast-Food-Kette ein Umsatzplus von drei Prozent (von Juli 2008 bis Februar 2009). Allein gegen Ende des Vorjahres gingen um fast fünf Prozent mehr Menschen zu Burger-King (Marktführer McDonald's wollte keine Besucherzahlen nennen).

Eine Beobachtung bewahrheitet sich ebenfalls: In Krisenzeiten ziehen sich die Menschen zurück wie die Schildkröten. Das stellen etwa die Baumärkte fest. „Die Menschen bauen ihr Haus zum Wohlfühlraum aus“, erklärt man bei einem Heimwerkermarkt. Dazu passt das Video am Abend im Kreis der Familie: In Deutschland wurden seit Jänner um vier Prozent mehr DVDs ausgeliehen als im ersten Quartal 2008 (für Österreich gibt es keine Statistik).

Das „Cocooning“, wie man den Rückzug in das häusliche Privatleben nennt, zeigt sich nicht nur bei der Videostatistik, sondern auch beim TV-Konsum. In Deutschland stieg die Fernsehnutzung um acht Minuten (auf täglich 235Minuten). Auch im Internet wird mehr gesurft: statt 79 Minuten pro Tag derzeit 94.

Nüchtern in den Untergang

Dem Untergang, den uns finstere Wirtschaftsforscher prognostizieren, sehen die Menschen jedenfalls lieber nüchtern ins Auge. Der Bierabsatz in Deutschland brach drastisch ein: Man trank um 6,8 Prozent weniger als von Jänner bis März 2008 (auch in Österreich verzeichnet man einen Rückgang, nennt aber keine Zahlen). Vermutlich gab es damals noch mehr zu feiern.

Gut und noch dazu kostenlos – das ist eine Kombination, die in Krisenzeiten Garant für Wachstum ist: Die Sexgeschäfte des deutschen Beate-Uhse-Konzerns können nicht über Einbrüche klagen. Man verkaufe so gut wie eh und je.

In der Öffentlichkeit aber gibt sich der Mensch in der Krise züchtig. Die Empirie lehrt, dass die Wirtschaftsaussichten mit der Länge der Röcke einhergehen: je kürzer, desto besser, je länger, desto schlechter. In den 50er-Jahren liebten es die Frauen kurz, in den 70er- und 80er-Jahren waren die Röcke schon länger, und der Modetrend für 2009 lautet: mindestens knielang. (Klicken Sie hier für eine Übersicht über weitere skurrile Zusammenhänge in der Wirtschaftswissenschaft)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2009)

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