Verdrängungskampf: Große wachsen, Kleine sterben aus

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Eine dramatische Entwicklung prägt das Bild im Einzelhandel. Heute gibt es in Österreich um knapp zehn Prozent weniger Geschäfte als noch vor sieben Jahren.

Der Handel erweist sich mit einem bei der Halbjahresbilanz 2012 ausgewiesenen Gesamtumsatz mit 25,1 Milliarden Euro in einem unsicheren Wirtschaftsumfeld als stabiler Faktor. Gegenüber dem Vergleichszeitraum von 2011 gibt es nominell ein Plus von 2,0 Prozent, das sich nach Berücksichtigung der Preissteigerungen real in ein kleines Minus von 0,1 Prozent verwandelt. Aber der unter der nationalen Inflationsrate von 2,4 Prozent liegende Preisanstieg von 2,1 Prozent für den Handel überrascht angesichts der sich verstärkenden Konkurrenzsituationen wenig.

Mehr überrascht da schon der starke Strukturwandel in der Handelslandschaft. Gab es 2005 noch 53.600 stationäre Einzelhandelsgeschäfte, so sind es gegenwärtig nur mehr 48.400. Mitgezählt werden auch Verkaufslokale von Großhandelsunternehmen und etwa 4000 Ladengeschäfte von Erzeugern wie Bäcker und Fleischer.

Einstandortunternehmen sperren zu

Allein der im ersten Jahresquartal 2012 ermittelte Rückgang mit 2100 weniger Geschäften gegenüber dem Vorjahr erhält eine dramatische Komponente. Zumal die tatsächliche Zahl der Geschäfte, die den Rollbalken heruntergelassen haben, noch weitaus höher liegt, da es in der Beobachtungsperiode auch zahlreiche Neueröffnungen gab. Peter Voithofer, Direktor der KMU Forschung Austria, zählt für diese Entwicklung eine ganze Palette von Gründen auf. Die Verdrängung von Marktteilnehmer durch Filialisten nennt er ebenso wie Nachfolgeprobleme bei den kleinflächigen Einstandortunternehmen, die den Hauptanteil der Schließungen ausmachen.

Auch Rene Tritscher von der Bundessparte Handel der Wirtschaftskammer sieht die rückläufige Entwicklung der Geschäftszahl im Markteintritt von großflächigen Anbietern begründet. Dass Filialanbieter größere Flächen für ihr Sortiment brauchen, sei keine neue Erkenntnis. Und wenn Shoppingcenter und Fachmarktzentren über Umbau und Redimensionierung nachdenken, gehe es zumeist in Richtung mehr Flächen und größere Geschäfte. Die durchschnittliche Geschäftsgröße ist binnen eines Jahres um über sechs Prozent auf 340 Quadratmeter angewachsen.

Grundsätzlich sind für Peter Voithofer von den Schließungen Unternehmen betroffen, die auf der Stelle treten und in Veränderungen mehr Risiko als Chance sehen. Dass die dadurch beschleunigte Reduzierung der Angebotsvielfalt Kritik auslöse, bezeichnet der Handelsexperte als Sozialromantik. Denn der „erstaunliche" Rückgang, dessen Ende für den KMU-Chef noch nicht absehbar sei, werde durch die Konsumenten ausgelöst. Einen ähnlichen Trend bei der Geschäftsanzahl im Detailhandel zeigt eine GfK-Studie für die benachbarte Schweiz.

Branchenspezifische Konzentration

Der Trend führt zu einer verstärkten Konzentration. Eine geringere Anzahl von Geschäften teilt sich den etwa 55 Milliarden Euro großen Umsatzkuchen in Österreich. Drogerie und Parfümerie, der Lebensmittelhandel, Optik und Foto sowie der Leder- und Schuhhandel sind Branchen, die in dieser Entwicklung schon weit fortgeschritten sind. Einzelstandorte aus dem Textilhandel, der Haushaltselektronik, dem Sporthandel sowie dem Bau- und Heimwerkerbereich müssen sich warm anziehen, denn in ihren Branchen ist die Konzentration noch unterdurchschnittlich ausgeprägt. Während im Modehandel die großen Ketten die Einkaufsstraßen dominieren, sind viele kleine Textilhändler in B-Lagen vertreten.

Wenn kleine inhabergeführte Geschäfte schließen, sind diese Flächen oftmals für den Handel verloren. Für Filialketten zu klein und im Flächenschnitt meistens unpassend für Konzepte, die europaweit gleich ausgerollt werden. In der Folge siedeln sich als Nachfolger häufig Betriebe vom Schnellimbiss bis zum Ein-Euro-Shop an, die ihren Flächenbedarf an das Angebot anpassen, aber zu keiner Verbesserung der Standortqualität beitragen, weiß Roman Schwarzenecker, Gesellschafter beim Berater Standort + Markt. Damit beginne sich die Spirale nach unten zu drehen und der Zug, doch noch einen Filialisten als Frequenzbringer anzusiedeln, sei abgefahren.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Nebenstraßen können sich nur dann behaupten, wenn die Positionierung passt. So wie in der Wiener Neubaugasse, die sich „die Straße der Spezialisten" nennt und weiterhin Vielfalt bietet. Die hohe Kundenfrequenz der angrenzenden Einkaufsmeile Mariahilfer Straße und ein U-Bahn-Anschluss vor der Haustüre tragen zur Standortqualität ebenfalls bei. Filialunternehmen, oft als Frequenzbringer heiß begehrt, sind in der Neubaugasse im siebten Wiener Bezirk nicht erwünscht. Aber das ist sicherlich eine Ausnahme. Denn grundsätzlich sind die nichtfilialisierten Handelsgeschäfte nicht an den Haupteinkaufspfaden zu finden, sondern ins zweite Glied gedrängt. Schwarzenecker hat herausgefunden, dass der Filialisierungsgrad in den Seitenstraßen des „Goldenen U" in Wien von Kärntner Straße, Graben und Kohlmarkt unter zehn Prozent liegt.

Wenn ab Herbst der irische Bekleidungskrösus Primark im Innsbrucker Sillpark sein erstes Österreich-Geschäft auf mehreren Tausend Quadratmetern eröffnet und anderen Filialisten das Fürchten lehren wird, dann mussten zuvor wieder einige kleinflächige Anbieter den Standort verlassen, um Platz zu schaffen. Das Ergebnis für diese Entwicklung wird die Wirtschaftskammer nächstes Jahr wieder präsentieren. Aber letztlich, und da sind sich alle Experten einig, geben die Kunden mit ihrer Kaufentscheidung ein Votum ab. Für den Handel dürfte die Rechnung jedenfalls aufgehen, stieg doch die nominelle Verkaufsflächenproduktivität 2011 um ein Prozent. Der Umsatz pro Quadratmeter Verkaufsfläche hat sich um 50 Euro auf 4220 Euro erhöht. Dazu haben 1,7 Prozent mehr Beschäftigte beigetragen, was auch der Arbeitsmarkt wohlwollend zur Kenntnis nehmen wird.

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