In die Affäre um die Manipulation des wichtigen Zinssatzes Libor sind mehr Banken involviert als bisher bekannt. Die US-Justiz ermittelt nun gegen neun weitere Institute.
Wien/Dow Jones/Höll. Immer mehr Banken wird vorgeworfen, den wichtigen Zinssatz Libor manipuliert zu haben. Am Freitag wurde bekannt, dass die US-Staatsanwälte ihre Ermittlungen auf neun weitere Institute ausgedehnt haben. Der Vorwurf lautet: Betrug und Verstoß gegen kartellrechtliche Auflagen. Damit sind bereits 16 Finanzkonzerne im Visier der Ermittler. Zu den verdächtigen Instituten gehören namhafte internationale Geldhäuser wie die Deutsche Bank, Bank of America, die Société Générale, die Credit Suisse, die japanische Mitsubishi-Bank und die deutsche WestLB.
Schaden in Milliardenhöhe
Der Londoner Interbankensatz Libor gehört zu den wichtigsten Zinssätzen weltweit. Er wird einmal täglich in London festgelegt und zeigt an, zu welchen Konditionen sich Banken untereinander Geld leihen. Er basiert auf individuellen Angaben mehrerer Großbanken. Er dient als Referenz für Kredite an Unternehmen, Privatpersonen und weitere Finanztransaktionen in der Höhe von rund 500 Billionen Dollar (385 Billionen Euro). Die Analysten von Morgan Stanley schätzen den durch die Schiebereien entstandenen Schaden für die Weltwirtschaft auf rund 17,1 Mrd. Dollar (13,1 Mrd. Euro).
Das Vorgehen der US-Staatsanwälte ist kein Einzelfall. Auch die Justizbehörden in Europa und Asien haben Untersuchungen eingeleitet. Dabei soll festgestellt werden, ob die Banken an illegalen Absprachen um den Libor zwischen 2005 und 2009 beteiligt waren.
Immer mehr Hausbesitzer klagen
In den USA gehen die Staatsanwälte der US-Bundesstaaten New York und Connecticut unter anderem der Frage nach, ob Privatanleger, Landesbehörden und Gemeinden von den mutmaßlichen Manipulationen betroffen sind. Die 16 Banken erhielten von der Justiz eine Vorladung, sich zu den Anschuldigungen zu äußern.
Die meisten Finanzkonzerne gaben dazu keine Stellungnahme ab oder bestreiten die Vorwürfe. Andere sagten zu, mit den Behörden zu kooperieren. In den USA reichten Mitte Oktober mehrere enteignete Hausbesitzer eine Sammelklage gegen in Zwielicht geratene Banken ein. Sie behaupten, dass durch die koordinierten Zinsmanipulationen Immobilienkredite drastisch verteuert wurden. Europäische und amerikanische Kreditinstitute sollen den Libor künstlich hochgehalten haben.
Der Anwalt der Geschädigten, John Sharbrough, sagte, dass bis zu 100.000 Immobilienbesitzer klagen könnten. In den USA wird den Banken vorgehalten, Konsumenten jahrelang billige Kredite für den Kauf einer Wohnung oder eines Hauses nachgeworfen zu haben. Nach dem Platzen der Immobilienblase stiegen die Kreditzinsen sprunghaft an, viele Kreditnehmer konnten ihre Schulden nicht mehr tilgen und wurden enteignet. US-Gemeinden und andere Investoren, die Zinsabsicherungsgeschäfte abgeschlossen haben, gehen ebenfalls juristisch gegen Banken vor. Mittlerweile prüfen auch erste US-Bundesstaaten, ob die Anschuldigungen für Klagen ausreichen. Man arbeite mit anderen Justizbehörden zusammen, um zu ermitteln, ob dem Bundesstaat Verluste entstanden seien, sagte ein Sprecher des Staates Massachusetts. Auch Florida nahm Untersuchungen auf.
Die Notenbank von New York hat nach eigener Aussage bereits vor vier Jahren auf Unregelmäßigkeiten bei der Festsetzung des Libor hingewiesen und Reformen eingemahnt.
Libor wird nun reformiert
Als erstes Kreditinstitut hatte sich die britische Barclays mit Aufsehern in den USA und Großbritannien auf die Zahlung von einer Strafe von 450 Mio. US-Dollar geeinigt. Dabei räumte Barclays ein schweres Fehlverhalten ein: Hohe Konzernvertreter und Händler hätten den Libor manipuliert. Die Einigung und besonders das Eingeständnis sorgten in Großbritannien für einen politischen Aufschrei. In der Folge musste Barclays-Chef Robert Diamond den Hut nehmen.
Wegen der Manipulationen plant die britische Finanzaufsicht nun eine Reform des Libor. Damit sollen die Einflussmöglichkeiten der Banken verringert werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2012)