Silicon Berlin: Gründer an der Spree

Silicon Berlin Gruender Spree
Silicon Berlin Gruender Spree(c) bilderbox com (Wodicka A 4062 Thening)
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Berlin ist drauf und dran, Europas Hauptstadt der Internet-Start-ups zu werden. Berlin zieht Kreativität, Talent und Mut wie magisch an. Auch Österreicher versuchen dort ihr Glück.

Wo werden große Ideen geboren? Am Strand. Anfangs war es nur ein Streich von drei smarten Burschen, die nicht erwachsen werden wollen. Der Kärntner Alex Napetschnig und sein Studienkollege aus Rom zettelten ihn an: Ihr türkischer Freund, der noch nie auf einem Surfbrett gestanden war, sollte sich in die wilden Wellen von Fuerteventura stürzen. Der Novize meisterte die Mutprobe, als Belohnung zischte er ein kühles Bier.

Und da war sie, die Idee für „Klash“: eine Gratis-App, mit der man Freunde dazu ermuntert, ungewöhnliche Dinge zu tun, mit Wetten angestachelt von der ganzen Meute. Zugleich eine Plattform, mit der Firmen ihre Marken in die Herzen junger Kunden pflanzen. Wer schafft die größte Blase mit dem neuen Kaugummi? Ein Service gegen Geld, versteht sich. Gutes Geld. Womöglich gar: sehr gutes Geld.

Die drei Studenten der Esade, einer Elite-Business-School in Barcelona, standen vor der Wahl: eine stromlinienförmige Karriere als Investmentbanker oder Unternehmensberater oder ihr eigenes kühnes Ding zu wagen. Dann aber, war ihnen klar, konnten sie nicht in Barcelona bleiben, und auch nicht zurück nach Wien, Mailand, Istanbul. Sie mussten nach Berlin.


Hier tummelt sich die Szene. Seit zwei Jahren verwandelt sich Berlin in Europas Hauptstadt der Web-Industrie. Wer mit einem Internet-Start-up hoch hinaus will, kommt um die Stadt an der Spree kaum noch herum. Hier tummelt sich die Szene, hierher strömen Talente aus aller Welt. Zählt man die Bereiche Biotechnologie und IT dazu, hat der Gründerboom bereits 50.000 Jobs geschaffen – in einer mit Arbeitsplätzen nicht gerade gesegneten Stadt.

Allein 2011 schossen 500 Unternehmen im Internetsektor aus dem fruchtbaren Boden des wuchernden Biotops. Auch wenn das große Geld in London zu Hause ist: Hält die Dynamik an, wird „Mitte“ die „City“ bald überrunden. Dann spielt Berlin in einer Liga mit Tel Aviv, New York, den Metropolen Südostasiens – und dem legendären Silicon Valley in Kalifornien.

Berlins großer Vorteil: Es ist billig, bis hin zum Bier in der Kneipe. Für die Österreicher von Archify, einem Dienst, der aufgerufene Webseiten archiviert, war klar: „Wien ist eine schöne Stadt, aber nichts für Start-ups. Wer international werden will, geht weg“, erklärt Gründer Max Kossatz. London war die erste Idee. Aber die Mieten: „Zwei Stunden mit den Öffis in die Stadt fahren, um in einem Keller an die Wand zu starren – der doppelt so teuer ist als in Berlin.“ Die frühere Grenzstadt zwischen Ost und West aber empfängt ihre Neubürger mit großzügigen Lofts, alten Fabriken aus Backstein und ausgedehnten Plattenbauten zu immer noch moderaten Preisen.

Dazu kommt ein Übermaß an Kreativität, das Kapital, das junge Künstler in die Stadt tragen: Maler, Fotografen, Musiker. Davon profitieren die Gründer. So heißt es von den schwedischen Machern des erfolgreichen Musikportals SoundCloud, dass sie die ersten Wochen nur von Club zu Club zogen, um Musiker zum Mitmachen zu animieren. Das Netzwerk ernährt sich selbst, tauscht Ideen und Personal aus. „Jeden Abend gibt es ein Treffen, auf dem ich wichtige Kontakte knüpfen kann“, schwärmt Kossatz.

So erlebte auch Alex Napetschnig das Besondere an Berlin, gleich am ersten Abend: „In der Jugendherberge erzählte mir einer von einem Start-up-Wettbewerb, der drei Tage später stattfand.“ Das Klash-Team machte sich ans Werk und gewann prompt den ersten Preis: ein Büro samt Ausrüstung für ein Jahr. Eine Sorge weniger. Jetzt mussten sie noch zwei Mitstreiter finden – und vor allem Investoren. Heute stehen Klash vor dem Vertragsabschluss. Und dürfen davon träumen, ein zweites Wooga zu werden.

Auch dieser Spiele-Entwickler startete vor drei Jahren ganz klein mit drei Mann. Heute beschäftigt Jens Begemann 255 Mitarbeiter aus 35 Nationen. Jede Woche kommen zwei dazu, ausgesucht aus 2000 Bewerbungen, die monatlich ins Haus trudeln. Kein Wunder, denn hier lässt es sich arbeiten. In der früheren Brotbackfabrik in Prenzlauer Berg geht es so emsig wie entspannt zu. Junge Leute in Turnschuhen und Holzfällerhemden, vor bunten Wänden und animierten Bildschirmen. Alle reden englisch, auf Du und Du bis rauf zum Chef.

Dabei wird hier ernsthaft gewerkt: an „Social Games“, die man mit Freunden auf Facebook spielt, Spielen fürs Smartphone, mit denen man sich die Wartezeit an der Supermarktkasse vertreibt. Vor allem Frauen zwischen 30 und 50 sind den liebenswerten Figuren von „Diamond Dash“ oder „Monster World“ verfallen. 50 Millionen Nutzer im Monat machen Wooga zum zweitgrößten Anbieter weltweit. Zwar ist das Runterladen gratis, und im Branchenschnitt kaufen nur zwei bis drei Prozent der User virtuelle Güter für reales Geld. Doch das scheint als Geschäftsmodell zu genügen: Investoren haben knapp 30 Mio. Euro in Wooga gesteckt. Wie bei allen Start-ups herrscht das Prinzip Hoffnung: dass die Zahl der Nutzer explodiert, die Firma Gewinn und ein Exit die Gründer reich macht.


Übernahme um 233 Millionen Euro. Schon vor elf Jahren hätte Begemann gern ein Start-up aufgemacht. Aber damals gab es Kapital „nur für Modelle, die ihren Erfolg schon drei Mal bewiesen hatten“. Also ging er erst einmal in die gute Schule von Jamba. Den Klingeltonanbieter starteten die drei Brüder Oliver, Marc und Alexander Samwer im Jahr 2000. Die Kasse klingelte vier Jahre später: Der US-Technologiekonzern Verisign übernahm um 223 Millionen Euro. Viel Geld, das die Gebrüder nun in die Gründerszene stecken. Vor allem in den viel bestaunten Inkubator Rocket Internet. Dieser „Brutkasten“ ist eine Fabrik der höheren Stufe, die jede Woche irgendwo auf der Welt eine kleine Firma vom Band lässt – gestützt mit erstem Geld und Know-how.

Das erfolgreichste Werkstück der Firmenschmiede ist der Online-Schuhhändler Zalando, der auch nach Österreich verkauft. Dicke Berliner Fische im E-Commerce sind auch die Essensbestellfirmen Lieferando und Lieferheld, die sich gegenseitig einen erbitterten Pizzakrieg liefern.

Schon der Klientel wegen nobler geht es bei Auctionata zu. Das Online-Auktionshaus ist der Durchstarter unter den österreichischen Berlin-Exilanten. Was als hochgemute Vision des Wiener Kunsthändlers Alexander Zacke begann („Die Presse am Sonntag“ berichtete), gewinnt nun in stuckverziertem Ambiente am Kurfürstendamm Konturen. Hier baut Zacke sein Team auf, aktuell 70 Mitarbeiter: „In Wien hätte ich hundert Jahre auf die richtigen Leute warten können.“

Anfang Dezember fand, nach vielen Probeläufen, die erste Echtzeit-Kunstauktion im Internet statt. Hinter der Show-Fassade liegt das Gros des Potenzials längst im „Shop“: einem Fixpreis-Marktplatz für Kunst und edle Sammlerstücke. Eine Art eBay für Reiche. Zacke ist nicht der erste, der die anspruchsvolle wie misstrauische Klientel dieses 300-Milliarden-Marktes ins Netz locken will. Aber noch keiner war so hartnäckig dran. Darauf setzten die Investoren, die mit 20 Millionen auf den Erfolg von Auctionata wetten.

Als Financiers stark im Geschäft sind Verlage wie Holtzbrinck und DuMont, die auf neue Karten setzten, weil ihr traditionelles Geschäft wegbröckelt. Ansonsten ist die Szene auf kapitalstarke Fonds aus London und Übersee angewiesen. Alle warten auf das große Ding, das durch die Decke geht.

Anfang des Jahres sah es so aus, als könnten es die 6 Wunderkinder werden. Ihr Aufgabenkalender Wunderlist, der jedermann zum besseren Umgang mit der eigenen Zeit verhelfen soll, hatte die magische Marke von einer Million Nutzern nach acht Monaten durchbrochen – schneller als Twitter. Entsprechend groß waren die Erwartungen an den Nachfolger Wunderkit. Doch das Wunder blieb aus, die Zahl der Nutzer weit hinter den Erwartungen zurück. Nach acht Monaten zogen die Macher das Produkt, „auf dem alle Hoffnungen ruhten“, zurück. „Emotional loslassen, öffentlich sagen, dass man sich geirrt hat“, war nicht nur für Marketingvorstand Benedikt Lehnert „eine echte Herausforderung“. Durch ihre Ehrlichkeit haben sich 6Wunderkinder Respekt verschafft – und die Kurve gekratzt. Eine neue Version der Wunderlist kam letzte Woche auf den Markt. Auch durch Täler führen Wege.

Das wissen die Investoren. Ihre Faustregel lautet: Ein Viertel der Start-ups scheitert, für die Hälfte reicht es gerade zum Überleben. Nur mit dem restlichen Viertel machen sie Geld. Selten richtig viel – aber es genügt, um alle zu nähren: Die Konten der Anleger mit Erträgen, die Köpfe der Gründer mit Hoffnungen, die stärker sind als die Angst vor dem Scheitern. Wie bei Klash: Nur wer sich aufs Meer hinauswagt, hat sich sein Bier verdient.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2012)

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