Faule Finnen? Kürzer arbeiten statt Zeit absitzen

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Kein Volk in Europa ist effektiv kürzer in der Arbeit als die Finnen, trotzdem sind sie höchst erfolgreich. Der Grund: Niemand arbeitet flexibler. In Österreich gibt es auf dem Weg zu mehr Flexibilität mehrere Hürden.

Wien. Weder die Arbeiterkammer noch die SPÖ, ja nicht einmal die Gewerkschaften trauen sich, den jüngsten Vorstoß der deutschen Linken für eine generelle 30-Stunden-Woche zu unterstützen. Gut so. Denn um zu wissen, dass staatlich verordneter Zwang zur Minderleistung nicht funktioniert, reicht ein Blick nach Frankreich. Die Einführung der 35-Stunden-Woche hat dort nicht mehr geschafft, als die Überstunden in die Höhe und die Wettbewerbsfähigkeit nach unten zu treiben.

In der Einigkeit blenden Parteien und Unternehmen jedoch ein grundlegendes Problem aus: Leistung lässt sich nicht immer in Stunden messen. Und während Arbeitnehmer in ganz Europa bei Flaute in ihren Büros herumsitzen, muss jeder Zweite von ihnen zu Spitzenzeiten Überstunden schieben. Das ist teuer für die Firmen und frustrierend für die Mitarbeiter.

40 Prozent „tote“ Zeit im Job

Dass weniger Arbeit auch mehr Erfolg heißen kann, zeigt das Beispiel Finnland. Nach Zahlen von Eurostat hat 2010 kein anderes Volk in Europa kürzer gearbeitet als die Finnen. Sie waren im Schnitt 1679 Stunden tätig. Gleichzeitig haben sie im selben Jahr pro Kopf deutlich mehr Wohlstand geschaffen, als der EU-Schnitt (BIP pro Kopf: 113 Prozent des EU-Schnitts).

Die Daten beziehen sich auf die effektive Arbeitszeit; Krankenstand und Urlaube sind bereits abgezogen. Selbst die Franzosen haben – trotz offiziell kürzerer Wochenarbeitszeit – länger gearbeitet als die Finnen. Österreich pendelt sich mit 1840 Stunden im Jahr im oberen Mittelfeld ein. Zählt man nur die Arbeitsstunden, reihen sich die Griechen plötzlich unter den Fleißigsten des Kontinents ein. Wie weit es das Land mit diesem „Arbeitseifer“ gebracht hat, ist bekannt. Offenbar ist die Zahl der Stunden, die ein Mitarbeiter im Unternehmen absitzt, nicht der Hauptgrund dafür, ob er viel oder wenig erwirtschaftet.

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>Aber was ist der Grund für das schöne und erfolgreiche Leben der finnischen Arbeiter? Auch dort wurde die Arbeitszeit nicht mit der Brechstange zwanghaft nach unten geprügelt. Im Gegenteil. Das Bestreben des Staates, die Arbeitszeit seiner Bürger in fixe Schemata zu pressen, kann sogar hinderlich sein. In Finnland liegt die offizielle Normalarbeitszeit im EU-Schnitt. Aber: Kein anderes Volk in Europa arbeitet flexibler als die Finnen.

Das beginnt bei den großzügigen Rahmenbedingungen, die der Gesetzgeber jungen Finnen geschaffen hat, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Mit der Garantie auf Vollzeitkinderbetreuung, Papamonat, großzügige Karenzregelung und das Recht auf Teilzeit hält das Land die Mehrzahl der Mütter im Berufsleben. Aber auch wer keine Kinder hat, kann von seinem Arbeitgeber in Finnland viel Flexibilität erwarten. Nach einer Studie von Eurofound aus dem Jahr 2012 bieten über 80 Prozent der finnischen Unternehmen flexible Arbeitszeitmodelle an. Von Firmen und Experten am stärksten forciert werden sogenannte Arbeitszeitkonten.

Hier arbeiten Mitarbeiter, wenn es Arbeit gibt. Dann dafür auch länger und füllen so ihre Arbeitszeitkonten auf. Herrscht Flaute, können sie die Gutstunden tage- oder auch wochenweise konsumieren. Dies erhöht bei zwei Dritteln der Arbeiter die Zufriedenheit im Job. Zudem minimieren die Unternehmen so die „tote Zeit“, in der Mitarbeiter unproduktiv herumsitzen. In Europa sind das laut einer Studie des Beratungsunternehmens Proudfoot immerhin 30 bis 40 Prozent der gesamten Arbeitszeit.

In Österreich gibt es auf dem Weg zu mehr Flexibilität mehrere Hürden. So sträubt sich der Gesetzgeber bisher, Unternehmern und Mitarbeitern mehr Freiheit in ihren Verhandlungen zu gewähren. Die Industrie kämpft etwa schon seit Langem vergebens um eine Ausdehnung der täglichen Maximalarbeitszeit von zehn Stunden.

Wer länger bleibt, steigt auf

Aber auch viele Unternehmen müssen ihre Strukturen noch flexibler gestalten. Wer heute zu seinem Chef geht und eine Reduktion seiner Arbeitszeit vorschlägt, stößt vielleicht auf Verständnis und nicht unbedingt auf offene Ohren. Das liegt nicht immer daran, dass gerade zu viel zu tun wäre. Oft muss der Vorgesetzte auch darum fürchten, so bald keine „volle“ Planstelle mehr zu bekommen, wenn er eingeräumt hat, kurzfristig mit einem „halben“ Mitarbeiter auszukommen. Selbst wenn kürzeres Arbeiten möglich ist, karrierefördernd ist es so gut wie nie. In vielen Jobs gilt immer noch die Regel: Wer länger bleibt, steigt auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2013)

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