Arbeiter wollen französische Fabrik übernehmen

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Die 1173 Beschäftigten im Goodyear-Reifenwerk im nordfranzösischen Amiens wollen die Produktion in Eigenregie fortsetzen. Zuvor hatte sich der Titan-Boss über die laxe Arbeitsmoral der Franzosen ausgelassen.

Paris. Die 1173 Beschäftigten des Goodyear-Reifenwerks im nordfranzösischen Amiens wollen die zur Schließung verurteilte Fabrik selbst übernehmen. Die Gewerkschaft CGT hat zu diesem Zweck die Schaffung einer Arbeitnehmer-Genossenschaft angekündigt. Seit Monaten kämpfen die Arbeiter mit allen Mitteln gegen die vom US-Konzern beschlossene Stilllegung des Werks. Die Produktion von Spezialreifen für Agrar-Traktoren sei ihnen zufolge in Amiens durchaus gewinnbringend.

Zunächst hatte sich der Goodyear-Konkurrent Titan für die Fabrik interessiert. Statt eines freundschaftlichen Übernahmeangebots bekam das Personal in Amiens aber aus den USA einen bitterbösen Brief und eine kalte Dusche. Titan-Boss Maurice Taylor gab sich entsetzt über die Arbeitsmoral der Franzosen: „Die französischen Arbeiter arbeiten nur drei Stunden. Sie machen eine Stunde Pause, essen, danach diskutieren sie drei Stunden und drehen Daumen.“ Unter diesen Umständen könne die französische Regierung solche „vermeintlichen Arbeiter behalten“. Im Übrigen könne er statt von solchen viel zu gut bezahlten Faulenzern seine Pneus ja für einen Euro pro Stunde in China oder Indien fabrizieren lassen.

Den Gewerkschaften bei Goodyear verschlug es den Atem, denn sie arbeiteten wegen der von der Direktion angeordneten Kurzarbeit effektiv nur drei Stunden, sind aber sonst stolz auf ihre Produktivität. Empört reagierte darum auch der Reindustrialisierungsminister Arnaud Montebourg. Er bezeichnete in einer Entgegnung Taylor als „Extremisten“ und drohte ihm, künftig würden seine Exporte nach Frankreich einer besonders pedantischen Zollprüfung unterzogen. Im Übrigen könne der großsprecherische Taylor, dessen Unternehmen 35 Mal kleiner sei als Michelin, noch einiges von Frankreich lernen. Zum Beispiel, wie „kommunistische Gewerkschaften die bestbezahlten Jobs zerstören können“, fragte Taylor zurück. Mit seinem „French bashing“ und teils aus früheren Zeiten stammenden Vorurteilen erinnert er die Pariser Regierung daran, dass Frankreichs Arbeitsdisziplin in der Industrie in Übersee ein ernstes Imageproblem hat.

Was nützt es da, mit Statistiken des Konjunkturinstituts OFCE aufzutrumpfen, die angeblich beweisen, dass trotz 35-Stunden-Woche die französischen Beschäftigten pro Jahr nicht weniger als die Deutschen arbeiten und ihre Produktivität sogar höher sei. Man fragt sich auch in Frankreich, ob in Taylors Polemik nicht doch mehr als ein Körnchen Wahrheit stecke. 2012 sperrten in Frankreich 266 Fabriken zu, die französische Automobilindustrie streicht tausende von Arbeitsstellen. Die Gewerkschaften verteidigen währenddessen verbissen ihr Arbeitsrecht.

Proteste mit Asterix-Helm

In Amiens wollen die Ex-Goodyear-Arbeiter jetzt unter eigener Regie beweisen, dass sie zu arbeiten verstehen. Taylors Klischees haben sie in ihrem Stolz als Arbeiter und als Franzosen verletzt. Mit einem Asterix-Gallierhelm auf dem Kopf demonstrierte ein Arbeiter bei der Ankündigung des geplanten Selbstverwaltungsbetriebs, dass sie Widerstand leisten wollen. Noch fehle ihnen aber der „Zaubertrank“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2013)

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