Judith Collins: "Es ist sinnlos, Geheimnisse zu haben"

Judith Collins voellig sinnlos
Judith Collins voellig sinnlos(c) Fabry
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Neuseeland gilt seit Jahren als das am wenigsten korrupte Land der Welt. Justizministerin Judith Collins über unabhängige Justiz und Polizei. Und Politiker, die alle Gespräche und Ausgaben veröffentlichen müssen.

Die Presse: Frau Minister Collins, Sie kommen gerade von einem Gespräch mit Ihrer österreichischen Kollegin Beatrix Karl. Die muss ja förmlich an Ihren Lippen gehangen sein: Immerhin rangiert Neuseeland bei Transparency International schon seit Jahren auf Platz eins der am wenigsten korrupten Länder.

Judith Collins: Wir hatten ein sehr interessantes Gespräch, bei dem sich die Justizministerin nach unserem System erkundigt hat.

Das würde uns auch sehr interessieren. Sind die Neuseeländer anständiger als die Österreicher? Haben sie weniger unter der Wirtschaftskrise zu leiden?

Also das Argument Wirtschaftskrise halte ich schlicht für eine Ausrede. Eine Wirtschaftskrise ist keinesfalls Ursache von Korruption. Allenfalls führt sie dazu, dass mehr auffliegt, weil enttäuschte Personen etwas zur Anzeige bringen. Korruption kann es jederzeit geben.

Also auch in Neuseeland. Was war denn bei Ihnen der letzte große Fall von Korruption?

Der liegt schon ein paar Jahre zurück. Ich glaube, es war im Jahr 2004. Da wurde einem Abgeordneten vorgeworfen, Asylwerber privat als Arbeitnehmer beschäftigt und sich dann im Gegenzug für sie eingesetzt zu haben.

Wie ging die Sache aus?

Er wurde sofort seines Amtes enthoben und ist zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.

Österreich ist gerade dabei, einige Korruptionsfälle bei Gericht aufzuarbeiten. Wie kann man das Problem bei den Wurzeln anpacken?

Zunächst einmal ist es wichtig, dass sich die Politik aus der Justiz heraushält. Bei uns arbeitet die Justiz völlig weisungsfrei, es würde einem Politiker bei uns nicht im Traum einfallen, ein Urteil zu kommentieren. Auch unsere Polizei arbeitet völlig unabhängig. Der Polizeichef wird für fünf Jahre bestellt, allenfalls wird sein Vertrag einmal verlängert. Aber dann geht er.

Was aber noch nicht bedeuten muss, dass Politiker nicht doch in Versuchung kommen, Einfluss zu nehmen.

Das ist bei uns undenkbar – und damit bin ich beim springenden Punkt: In Neuseeland haben wir uns schon seit den Neunzigerjahren der völligen Transparenz verschrieben.

Das wird unsere Justizministerin ja höchst interessant gefunden haben. Das ist bei uns nämlich gerade ein hochaktuelles Thema...

Ich wiederum habe es interessant gefunden, dass sich in Österreich Lobbyisten registrieren müssen.

Bei Ihnen nicht?

Nein. Bei uns soll jeder Zugang zu Ministern und Abgeordneten haben und bei ihnen Anliegen deponieren dürfen. Jeder darf lobbyieren, und keiner soll sich dafür registrieren lassen müssen.

Aber wer hat bei Interventionen – oder sagen wir: politischen Anregungen – dann noch einen Überblick?

In Neuseeland haben Politiker die Pflicht, ziemlich alles, was sie tun, im Internet zu veröffentlichen. Wir haben ein sehr öffentliches System: Wenn sich zum Beispiel jemand bei mir meldet, weil er bei der Gesetzgebung eine Anregung hat, dann muss ich das sofort veröffentlichen. Alles, was solcherart in mein Büro kommt, wird der Öffentlichkeit mitgeteilt. Es werden auch sämtliche Entscheidungen der Kabinette publiziert. Die Bevölkerung sieht also, mit wem es Konsultationen gab, welche Beweggründe es für Entscheidungen gab und so fort. Auch polizeiliche Ermittlungen werden öffentlich gemacht. Die Devise bei uns lautet: Es ist völlig sinnlos, Geheimnisse zu haben, weil alles offen ist.

Klingt aber, mit Verlaub, auch ein wenig beängstigend...

Na ja, wenn es triftige Gründe gibt, etwas nicht zu veröffentlichen – zum Beispiel Personenschutz – dann kann man auch davon absehen. Dazu haben wir eine Ombudsstelle, der alle Argumente dargelegt werden müssen. Und die gibt dann ihren Sanktus dazu, dass etwas nicht publiziert wird.

Aber zeitaufwendig ist das Ganze schon, oder?

Durchaus. Es kommt vor, dass das System missbraucht wird, indem es pro Jahr sechs gleich lautende Anträge für Gesetzesänderungen gibt. Die müssen natürlich regelmäßig veröffentlicht werden, was sehr zeitraubend ist. Transparenz hat eben ihren Preis.

Und Ausgaben von Politikern sind natürlich auch kein Geheimnis?

Bei meiner jetzigen Europa-Reise werden sämtliche meiner Ausgaben bis ins kleinste Detail veröffentlicht. Wenn in meinem Hotelzimmer eine kostenlose Flasche Wasser steht, wird das ebenfalls bekannt gegeben. Wäre es eine Flasche Wein, würden das unsere Zeitungen auf der Seite eins vermelden.

Schön, dass Sie bei all dem Aufwand trotzdem Zeit für dieses Interview hatten...

Sobald Sie weg sind, werde ich via Twitter verlautbaren, dass ich Ihnen ein Interview gegeben habe. Das ist bei uns völlig selbstverständlich.

Zur Person

Judith Collins, Jahrgang 1959, begann ihre Karriere als Anwältin. Im Jahre 2002 wechselte sie in die Politik, als Abgeordnete der konservativen National Party. Als die Partei mit den Wahlen 2008 die Regierung stellte, wurde Judith Collins Polizeiministerin. Ende 2011 wechselte sie an die Spitze des Justizministeriums.

In Neuseeland wird Collins als mächtigste Frau des Landes bezeichnet. Sie hat den Ruf, eine harte Verhandlerin zu sein, ihr Spitzname lautet „Crusher Collins“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2013)

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