Flughafen: In Kassel will niemand landen

Flughafen Kassel will niemand
Flughafen Kassel will niemand(c) EPA (UWE ZUCCHI)
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Der neu eröffnete Provinzflughafen ist schon jetzt ein Millionengrab. Alle großen Fluglinien winken ab. Der erste reguläre Flug fällt mangels Buchungen aus.

Berlin. Eines muss man den Hessen lassen: Ihr neuer Flughafen Kassel-Calden ist immerhin pünktlich fertig geworden. Anders als beim Berliner Chaos-Airport, dessen Start schon viermal verschoben worden ist, hat auch die heikle Brandmeldeanlage bei der Abnahme tadellos funktioniert. Am gestrigen Donnerstag eröffneten Provinzpolitiker ihr Prestigeprojekt nach 14 Jahren Planung und Bau – feierlich, aber mit getrübter Feierlaune.

Denn die Branchenexperten, die Manager der großen Fluglinien und die grüne Opposition in Hessen sind allesamt überzeugt: Kassel-Calden sei eine Totgeburt, es bestehe schlicht kein Bedarf. Nordhessen ist nicht dicht besiedelt, der nächste Flughafen in Paderborn liegt nur 70 Kilometer entfernt, auch Hannover und das Drehkreuz Frankfurt sind dank guter Schnellzuganbindung leicht zu erreichen.

Im Jahr 1999 beschloss eine schwarz-gelbe Landesregierung, einen Landeplatz für Privatflieger zu einem voll ausgerüsteten Verkehrflughafen auszubauen. Das sollte ursprünglich nur 35 Mio. Euro kosten. Geworden sind es 271Mio. – rein aus Steuergeldern, denn private Investoren waren partout nicht für das Projekt zu begeistern. Nun teilen sich Land, Kreis, Stadt Kassel und Dorf Calden die Anteile. Sie werden künftig auch die Verluste aus dem laufenden Betrieb aus öffentlichen Mitteln abdecken müssen.

Denn rote Zahlen sind programmiert. Nur 13 Flüge pro Woche wird es heuer geben, in Summe kommen nicht mehr als 100.000 Passagiere zusammen. Experten wissen, dass sich wegen der hohen Fixkosten (vor allem für die Sicherheit) ein Betrieb erst ab einer Million Fluggästen rechnet. Zur Eröffnung musste sich natürlich ein Flugzeug in die Lüfte erheben. Aber schon am Freitag fällt der erste reguläre Flug nach Antalya aus: Die türkische Fluggesellschaft Tailwind weigert sich, eine Boeing 737 mit nur sechs Passagieren zu starten. Sie werden stattdessen mit dem Taxi nach Paderborn gefahren. Das wird allerdings kein Einzelfall bleiben: Noch fünf weitere Flüge im April sind bereits storniert.

Sechs Passagiere für ersten Flug

In Paderborn ärgert man sich über die neue Konkurrenz ebenso wie im allzu nahen Erfurt. Auch diese beiden Kleinflughäfen plagen Existenzsorgen, und das Einzige, was Kassel bewirken kann, ist, ihnen einen Teil ihrer schon zu wenigen Passagiere abspenstig zu machen. Laut Zahlen des Flughafenverbandes erzielen nur fünf von 22 internationalen Verkehrsflughäfen in Deutschland ein positives Ergebnis.

Nach der Wiedervereinigung wurden viele aufgelassene Militärflughäfen zu zivilen Airports ausgebaut. Lokalpolitiker erhofften sich eine Belebung ihrer oft abgelegenen Region. Diese Hoffnungen wurden fast immer enttäuscht. Stattdessen kam es zu skurrilen Schildbürgerstreichen: Zweibrücken liegt von Saarbrücken keine 30 Kilometer Luftlinie entfernt – aber ein eigener Flughafen musste her. Immerhin liegt die 34.000-Einwohner-Stadt ja schon in einem anderen Bundesland.

Einige Regionalflughäfen stützen sich auf die irische Billigfluglinie Ryanair, die es zum Geschäftsmodell gemacht hat, Flughäfen im Nirgendwo, aber mit sehr niedrigen Gebühren anzufliegen. Aber die wankelmütige Gunst der Billigflieger ist ein zu unsicherer Anreiz für Unternehmen, sich in einer strukturschwachen Gegend anzusiedeln. Zudem konzentrieren sich die meisten Fluglinien immer mehr auf mittlere und große Flughäfen.

Im Falle des „Leuchtturmprojekts“ Kassel sieht es besonders düster aus: Weder Lufthansa noch Air Berlin wollen dort landen, es wird also keine Anbindung zu großen Drehkreuzen geben. Als einzige Linienverbindung fliegt Air Croatia einmal die Woche nach Split. Fehlanzeige auch bei den Billigfliegern. Rewe Touristik ist als Veranstalter im Boot, sucht aber immer noch nach einer Airline. Auch Charteranbieter wie Tuifly oder Condor winken ab. Ralf Teckentrup nimmt sich kein Blatt vor dem Mund: Der Condor-Chef nennt Kassel ein „Investitionsgrab“ und eine „komplette Fehlinvestition“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2013)

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