Bangladesch: Billigshirt oder Betriebsrat?

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"Gewerkschaft" ist für die meisten Textilarbeiter in Bangladesch ein Fremdwort. Sie bekommen 28 Euro im Monat und haben keine rechtliche Vertretung. Doch das ändert sich gerade.

Es ist nicht ungefährlich, sich in Bangladesch für Arbeiterrechte einzusetzen. Das zeigt der Fall des Aktivisten Aminul Islam. Vor einem Jahr verschwand Islam, kurz nachdem er bei Auseinandersetzungen in einer Textilfabrik vermittelt hatte, die unter anderem für Tommy Hilfiger produziert. Tage später wurde er ermordet aufgefunden, sein Körper wies Folterspuren auf.

Bis heute ist nicht geklärt, wer Islam ermordet hat. Außer Zweifel steht, dass er mit seiner Arbeit für das „Bangladesh Center for Workers Solidarity“ einigen in die Quere gekommen ist. Die Bemühungen, in der Textilindustrie in Bangladesch eine Arbeitnehmervertretung aufzubauen, stehen erst ganz am Anfang. „In den rund 6000 Textilfabriken in unserem Land arbeiten 3,5 Millionen Menschen. Nur 140 Fabriken haben eine Gewerkschaft. Der Rest ist unorganisiert“, seufzt Mohammad Abu Taher, Generalsekretär der Bangladesch Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeitergewerkschaft, der am Donnerstag auf Einladung der Produktionsgewerkschaft (Proge) in Wien war. Denn laut Gesetz obliegt die Entscheidung, ob Mitarbeiter sich in einer Fabrik gewerkschaftlich organisieren dürfen, den Fabrikleitern. Und die wenigsten wollen das.


Politiker als Fabrikbesitzer. Eine nationale Gewerkschaft, der alle Arbeiter der Textilbranche zugeordnet sind, gibt es nicht und die Politik hat auch kein Interesse daran, das zu ändern: „Über 50 Prozent unserer Parlamentarier sind selbst Fabrikbesitzer“, sagt Abu Taher. „Klar, dass die nicht daran interessiert sind, Arbeiterrechte zu stärken.“Doch die Serie von Katastrophen in Textilfabriken, zuletzt der Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Dhakar, bei dem 1129 Menschen ums Leben kamen, hat einiges in Bewegung gebracht. Unter dem Druck der Öffentlichkeit fühlen sich die Textilketten, die in Bangladesch produzieren lassen, nun genötigt, bessere Arbeitsbedingungen einzufordern.

Die bisher größte Errungenschaft ist ein Sicherheitsabkommen mit 1000 Fabriken, das von 45 Abnehmerfirmen, darunter die Textilketten H&M, Inditex und Esprit, unterzeichnet wurde. Das Abkommen verpflichtet die Fabriken dazu, Gebäude- und Brandschutzstandards einzuhalten. Einen Teil der Kosten tragen die Unternehmen, für die produziert wird.


28 Euro Monatslohn. Weniger nachdrücklich zeigen sich die Textilketten bisher bei der Forderung nach einem höheren Mindestlohn. Dieser beträgt in Bangladesch 3000 Taka, das sind 28 Euro im Monat. Damit kommt man auch in Bangladesch kaum über die Runden. Die Textilgewerkschaft fordert nun, unterstützt von Organisationen wie IndustriALL und der Clean Clothes Kampagne, eine Anhebung des Mindestlohns auf 120 Dollar (90 Euro). Damit wäre man etwa auf dem Level von Indonesien, wo Arbeiter zwischen 120 und 150 Dollar bekommen, und immer noch unter China oder Kambodscha, wo ein Minimum von 200 Dollar gezahlt wird. Die Regierung habe noch nichts zugesichert, sagt Abu Taher, sei aber erstmals gesprächsbereit.

Trotz aller Missstände ist die Textilindustrie aus Bangladesch nicht mehr wegzudenken. Sie hat seit den 1980er-Jahren mit der Privatisierung und der Einführung von exportorientierten Zonen einen sagenhaften Boom erlebt. Heute macht sie 80 Prozent der Exporte aus, 2012 wurden Waren im Wert von 17 Mrd. Euro allein in die EU geliefert, dem größten Handelspartner von Bangladesch. „Die Textilindustrie ist der einzige Sektor im Land, der Jobs kreiert“, sagt Abu Taher. Doch der Konkurrenzdruck steigt, die Fabriken wetteifern um Aufträge und liefern sich eine regelrechte Preisschlacht.

Die Furcht der Unternehmer, Abnehmer zu verlieren, wenn sie Arbeiter besser zahlen, mehr in Sicherheit und Feuerschutz investieren und dann die gestiegenen Kosten an die Textilketten weitergeben, ist groß. Doch langsam wird Unternehmern wie Politikern klar, dass auch humanitäre Skandale dem Geschäft schaden können. Gewerkschafter Abu Taher ist optimistisch: „Es geht zwar alles sehr langsam. Aber es bewegt sich etwas.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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