Dirk Müller: "Man kann niemandem trauen"

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Als das Gesicht zum DAX wurde Dirk Müller zu einem der bekanntesten Börsenmakler. Heute ist er Buchautor. Die Schuld am Ausbruch der Eurokrise gibt er den USA, den Euro will er am liebsten abschaffen.

Sie haben Ihr halbes Leben an der Börse verbracht. Heute schlagen die Kurse dort mit jedem Wort der Notenbanker nach oben oder unten aus. Was hat das noch mit der Realität zu tun?

Dirk Müller: Leider oft sehr wenig. An den Finanzmärkten werden in Sekunden Milliarden geschaffen und vernichtet. Anleger sollten sich vor dem teuren Hobby Spekulation daher hüten. Besser man investiert in Unternehmen, denen man vertraut. Da gibt es genug, die Weltkriege und zig Währungen überlebt haben.

Sind Aktien noch empfehlenswert? Viele warnen, dass die Geldschwemme der Notenbanken schon die nächste Blase gefüllt hat.

Im Moment haben wir keine Blase. Natürlich, Schnäppchen gibt es kaum, aber Unternehmen, die fair bewertet sind. Und da das Geld auf dem Konto unweigerlich an Wert verlieren wird, muss man sich eben etwas überlegen.

Ist Gold als Kriseninvestment nach dem jüngsten Preisrutsch entzaubert?

Definitiv nicht. Gold ist wegen der Terminmärkte unter Druck. Reales Gold wird so stark nachgefragt wie nie zuvor. China kann gar nicht so viel importieren, wie es gern würde, die Münzpräger machen Überstunden. Es ist eine gute Chance, billig an Gold zu kommen. Nicht als Spekulation, sondern als Sicherheit. Eine Unze Gold bleibt eine Unze Gold. Und davon bekommt man immer einen vernünftigen Anzug.

Sie waren lange Börsenmakler, wurden dann Autor, Krisenerklärer, Berater des deutschen Bundesrats. Woher kam das plötzliche Interesse an der Politik?

Mein Bild war oft in der Zeitung, mit der Zeit kamen die Anfragen automatisch. Ich habe den Menschen erklärt, was ich sehe, und die haben es verstanden. Ich habe nicht den Anspruch, alles zu wissen oder die Welt zu retten, aber ich gebe meine Informationen ehrlich und offen. Ich muss niemandes Lied singen, keinem Werbekunden gefallen. Das ist ein großer Unterschied.

In den vergangenen fünf Jahren haben wir schon fast alles über die Krise gehört. Wem kann man denn noch trauen? Politikern, Ökonomen, Analysten?

Man kann niemandem trauen. Das liegt nicht daran, dass immer gelogen wird. Aber jeder sieht nur einen kleinen Teil vom Kuchen. Es gibt Leute, die zu hundert Prozent glauben, dass sie recht haben. Die ignorieren, dass sie gar nicht alles wissen können. Die Börse lehrt diese Demut, dass man immer dann auf die Schnauze fällt, wenn man sich zu sicher ist. Diese Demut habe ich. Ich kann nur über das sprechen, was ich aus erster Hand erfahren habe.

In Ihrem jüngsten Buch „Showdown: Der Kampf um Europa und unser Geld“ malen Sie ein düsteres Bild. Sie prophezeien der Weltwirtschaft ein Desaster.

Ich prophezeie keines. Wir sind schon mittendrin.

Woran erkennen wir das?

Daran, dass US-Banken zusammenbrechen, Immobilienmärkte, Währungen und Staaten kollabieren. Da muss ich nicht darauf warten, dass irgendwo ein Atompilz aufsteigt.

Sie haben schon 2009 vieles vorhergesagt, etwa die Enteignung der Sparer in Zypern. Was kommt noch auf uns zu?

Wenn die Politiker weiter so verbohrt sind zu glauben, dass es keine Alternativen gibt, kann sich alles, was wir gesehen haben, intensivieren. Natürlich war Zypern eine Blaupause für andere Eurostaaten, natürlich kann es nach Frankreich auch Deutschland an den Kragen gehen. Aber es gibt einen Weg, alles ins Positive zu wenden.

Ein Vorschlag aus Ihrem Buch ist, den Euro abzuschaffen ...

Ich plädiere nicht für die Abschaffung des Euro, aber so, wie wir ihn heute haben, bringt er mehr Probleme als Vorteile. Mit den nationalen Währungen hätten wir diese Probleme nicht. Aber ich nehme die ernst, die Sorge haben, was passiert, wenn man ihn abschafft. Schmerzlos wird kein Szenario sein. Mein Vorschlag ist ein Kompromiss: die Rückkehr zu den alten Währungen und den Erhalt des Euro als übergeordnetes Zahlungsmittel. So wie es der Ecu (Vorläufer des Euro, Anm.) war.

An der Verschuldung der europäischen Staaten ändert das aber nichts, oder?

Nein. Aber das erleben wir in allen entwickelten Volkswirtschaften als logische Folge unseres Finanzsystems, in dem Geld nur durch Kredit entstehen kann. Das führt automatisch zu einer ausufernden Verschuldung und zu einem Anstieg der Geldvermögen in gleichem Ausmaß. Das Problem ist die Verteilung. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Menschen die extreme Menge an Schulden nicht mehr stemmen können.

Und die Lösungen heißen Schuldenschnitt und Sparkurs?

Derzeit überlegen wir mit aller Gewalt, wie wir diese Schulden loswerden können. Alle sagen, dass wir Schulden abbauen müssen. Aber jeder Politiker verschweigt, dass Schulden und Geldvermögen ident sind. Vernichtung von Schulden heißt Vernichtung von Geldguthaben. Das heißt, derzeit vernichten wir Geld. Das muss nicht so sein.

Wie könnte es noch sein?

Die Ersparnisse der Privaten müssen wieder in den Umlauf, damit die, die Schulden haben, diese durch Leistung zurückzahlen können. Menschen in Europa müssten motiviert werden, sich an Unternehmen zu beteiligen. Der Staat sollte die Investitionen absichern. So könnte jeder Sparer sein Geld vom Konto abheben, ein Stück Windpark oder Glasfaserkabel besitzen und daran verdienen. Wenn er sein Geld zurückwill, gehören dem Staat im schlimmsten Fall Kraftwerke und Leitungen. Für die Milliarden an Bankgarantien, die er bezahlt, bekommt er nichts.

Sehen Sie die Banken als Krisengewinner?

Die Banken haben uns in die Krise geführt, mithilfe der Politik. Heute weigern sie sich, die Konsequenzen zu tragen. Europas Staaten und die EZB schützen die Banken maximal, um ihnen jede Form der Verlustbeteiligung zu ersparen. Das bürden sie stattdessen uns Bürgern auf. Banken werden massiv bevorzugt. Sie verdienen heute wieder Milliarden.

Woran liegt das?

Politiker verstehen oft die Zusammenhänge nicht ganz und lassen sich von der Lobby der Banken Lösungsansätze diktieren. Beim fünften Abendessen glaubt man es eben auch. Vor allem, weil die Gegenexpertise fehlt. So ist es normal, dass die Entscheidungen eher zugunsten der Banken ausfallen als zugunsten der Zivilgesellschaft.

Ihr Buch liest sich wie ein Krimi über die Euro-Schuldenkrise. Mit den USA als Unruhestiftern. Haben wir die Krise Ihrer Meinung nach Amerika zu verdanken?

Es gibt seit 2008 gezielte Einflussnahmen auf Europa. Es ist normal, dass Länder geostrategische Interessen vertreten. Amerika macht das aggressiver als andere. 2007 war Europa für Amerika ein Problem. Der Euro war auf dem Weg, den Dollar als Weltwährung abzulösen. Ein Viertel der Weltwährungsreserven war in Euro. Das Land lebt aber davon, dass man Öl fast nur gegen Dollar kaufen kann. Die USA brauchen diese ständige Nachfrage nach ihrem Geld. Kein Wunder, dass man dafür Sorge getragen hat, dass der Euro dem Dollar nicht gefährlich werden kann.

Können die USA den Euro tatsächlich so einfach in Bedrängnis bringen?

Die Probleme des Euro waren hausgemacht. Man kann keine Krise hervorrufen, deren Ursache nicht schon da ist. Die Spannungen und Ungleichgewichte in Europa waren selbst gemacht. Die Angriffe, die das Beben ausgelöst haben, kamen aber gezielt über den Großen Teich. Im Stakkato stattfindende Herabstufungen der Ratingagenturen zu den unpassendsten Zeiten. Obwohl es in den USA viel schlimmer ausgesehen hat. Amerika war vor dem Zusammenbruch, weil die Schuldenlimits erreicht waren – und dennoch mit der besten Bonität bewertet. In Europa gingen die Bewertungen reihenweise in Richtung Ramsch. Gleichzeitig gab es gezielte Versuche, Griechenland auch politisch zu destabilisieren.

Das klingt nach Verschwörungstheorie.

Wenn man sich nicht damit beschäftigt hat, kann man es als Verschwörungstheorie abtun. Als etwas, was gar nicht passiert sein kann. Hätte ich vor einem Jahr erzählt, dass die CIA sämtliche Handys abhört, hätten alle gelacht: Haha, der Spinner. Heute ist es passiert. Hätte ich einst erzählt, dass die USA in Kuba Gefangenenlager haben, in denen sie Insassen über Jahre ohne Anklage festhalten, hätte jeder gesagt: Verschwörungstheorie. Ich bin nach Griechenland gefahren, wo die Staatsanwaltschaft Anzeige erhoben hat wegen Hochverrats und versuchten Mordes am damaligen Präsidenten. Das muss man doch so ernst nehmen, dass man darüber reden darf, ohne als Verschwörungstheoretiker zu gelten.

Passiert Ihnen das oft?

Leider immer wieder. Was nicht ins Bild passt, wird oft ausgeblendet. Es macht mich ärgerlich, wenn ich intensiv recherchiere und dann Leute kommen, die keine Ahnung haben und einfach sagen: Das ist alles Quatsch.

Steckbrief

Dirk Müller (45)
ist deutscher Börsenmakler und Buchautor. Jahrelang hatte er seinen Platz an der deutschen Börse direkt unter der Kurstafel und wurde so zum begehrten Objekt von Fotografen, denen die Charts allein zu emotionslos waren. Seit einigen Jahren ist „Dirk the DAX“ als Autor, Krisenerklärer und Sachverständiger für den deutschen Bundesrat tätig. Im Internet betreibt Dirk Müller die Finanz-Informationsplattform www.cashkurs.com.

In seinem jüngst erschienenen Buch „Showdown: Der Kampf um Europa und unser Geld“ schreibt er über die Geburtsfehler des Euro, die gezielten Attacken der USA auf Europa und den teuren Irrweg, den die Politiker heute eingeschlagen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2013)

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