OECD: Deutschlands Arbeitsmarkt verkrustet

Arbeitsamt in Deutschland
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Die Arbeitsmarktreformen in Deutschland gelten als vorbildlich. Aber in den letzten Jahren seien sie ins Stocken geraten – das gefährde die Wettbewerbsfähigkeit, kritisieren Experten.

Wien. Dass die Arbeitslosigkeit in vielen EU-Ländern so hoch ist, liegt bekanntlich nicht nur an der Wirtschaftskrise – sondern auch am strengen Kündigungsschutz. Die Gesetze schützen Arbeitskräfte in regulären, unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. Junge Arbeitswillige stehen vor verschlossenen Türen und müssen, wenn überhaupt, mit befristeten Verträgen vorlieb nehmen. Auf der anderen Seite sind gut bezahlte ältere Arbeitnehmer de facto unkündbar – weil Kündigungen oft jahrelange Gerichtsverfahren nach sich ziehen. Aus Angst, die Beschäftigten in schlechteren Zeiten nicht mehr loszuwerden, scheuen Unternehmer Neueinstellungen.

Seit Ausbruch der Krise hat sich in den Industrieländern aber einiges getan, lobt die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem aktuellen Beschäftigungsausblick. In den Jahren von 2008 bis 2013 habe mehr als ein Drittel der OECD-Länder den Beschäftigungsschutz gelockert. Die Reformen seien vor allem in jenen Ländern passiert, die vor fünf Jahren noch die strengsten Bestimmungen aufwiesen – darunter Portugal, Italien, Griechenland und Spanien. Aber auch die Slowakei , Estland und Ungarn haben die Gesetze aufgeweicht – und zwar sowohl in Bezug auf Einzel- als auch auf Massenentlassungen. Die OECD misst Beschäftigungsschutz unter anderem an Abfertigungen, Kündigungsfristen, formalen Kündigungsverfahren und daran, unter welchen Bedingungen Kündigungen zulässig sind.

Die jüngsten Reformen dürften laut den Autoren dazu beitragen, dass die Arbeitsmärkte flexibler auf wirtschaftliche Veränderungen reagieren und sich das Gefälle zwischen befristet und unbefristet Beschäftigen verringert. Im Durchschnitt komme dies den Beschäftigten zwar zu gute – die Situation einiger Arbeitskräfte werde sich durch die Reformen aber deutlich verschlechtern. Die Regierungen müssten darauf achten, dass die negativen Folgen der Reformen abgefedert werden, so die OECD.

Deutschland hat strengste Regeln

Ausgerechnet Deutschland, dessen Arbeitsmarktreformen der Nullerjahre als vorbildlich gelten, kommt in dem Bericht jedoch gar nicht gut weg. Reguläre Beschäftigungsverhältnisse – also unbefristete Anstellungen – seien mittlerweile so streng geschützt wie in keinem anderen Land der OECD. Das gilt zwar nur, wenn auch der Schutz vor Massenentlassungen miteinbezogen wird. Aber selbst wenn man lediglich den Schutz gegen individuelle Kündigungen betrachtet, gehört Deutschland zu den strengsten Ländern (siehe Grafik) In den letzten Jahren habe es keine wesentlichen Reformen gegeben. „Dem deutschen Arbeitsmarkt geht es gut. Aber der strenge Schutz unbefristeter Beschäftigter könnte sich als Bremse für die Produktivität entpuppen“, sagt Mark Keese, Leiter der Abteilung Beschäftigungspolitik in der OECD, zur „Presse“. Er befürchtet eine zunehmende Spaltung des Arbeitsmarktes: Zwischen den immer häufiger nur noch befristeten Verträgen auf der einen Seite und den regulären auf der anderen Seite. Während der Krise hätte der Beschäftigungsschutz wahrscheinlich zu einem Erhalt der Arbeitsplätze beigetragen, heißt es im Bericht. Es bestehe aber die Gefahr, dass die Bestimmungen die deutsche Wettbewerbsfähigkeit verringern.

Österreich im Mittelfeld

In Deutschland können Betriebsräte – im Gegensatz zu allen anderen OECD-Ländern – Entlassungen bis zum Gerichtsentscheid hinauszögern. Zudem müssten Arbeitgeber beweisen, dass der Gekündigte in keiner anderen Funktion weiterbeschäftigt werden kann. „Kein Mitgliedsland wendet beide Kriterien gleichzeitig an“, so die OECD. Die Forderung nach einem lascheren Kündigungsschutz mag angesichts der Millionen Arbeitslosen in der EU zynisch klingen – aber Keese erklärt sie so: „Wenn die Kosten, jemanden einzustellen zu hoch sind, hält das Unternehmer davon ab, neue Mitarbeiter aufzunehmen.“

Österreich liegt, was den Kündigungsschutz betrifft, im Mittelfeld – die Bestimmungen seien „weder zu streng noch zu lasch“, sagt Keese. In den Jahren 2008 bis 2013 gab es keine Veränderungen. Lediglich ältere Arbeitnehmer genießen einen strengen Kündigungsschutz. „In Österreich ist eine Kündigung etwas ganz Normales, man bezahlt eben die Abfertigung und hält die Fristen ein. In anderen Ländern ist Kündigen fast unmöglich“, sagt Helmut Hofer, Arbeitsmarktexperte am Institut für Höhere Studien (IHS). Einen „zweigeteilten Arbeitsmarkt“ habe es hierzulande nie gegeben, befristete Jobs seien nur in geringem Ausmaß ein Thema. Der Kündigungsschutz in Österreich habe „keine großen negativen Auswirkungen“, so Hofer.

Auf einen Blick

Mehr als ein Drittel der OECD-Länder hat in den letzten fünf Jahren den Kündigungsschutz gelockert. Das werde den Beschäftigten im Durchschnitt zugutekommen, wenngleich sich die Situation einiger Arbeitskräfte durch die Reformen deutlich verschlechtern werde. Österreich liegt unverändert im Mittelfeld.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2013)

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