Chaos in Mainz: Deutsche Bahn blamiert sich

Gähnende Leere am Mainzer Bahnhof. Von 15 Fahrdienstleitern sind sieben krank und drei auf Urlaub.
Gähnende Leere am Mainzer Bahnhof. Von 15 Fahrdienstleitern sind sieben krank und drei auf Urlaub.(c) REUTERS (RALPH ORLOWSKI)
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Weil ein paar Fahrdienstleiter ausfallen, bricht am Mainzer Bahnhof der Zugverkehr zusammen. Der Hintergrund: Beim Personal hat die Deutsche Bahn die Weichen zu spät gestellt.

Berlin. Mainz, wie es singt und lacht? Die sangesfreudigen Rheinländer haben derzeit wenig Grund zur Fröhlichkeit. Zumal dann nicht, wenn sie Bahnfahrer sind. Der Hauptbahnhof der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz ist seit Montag auch tagsüber weitgehend lahmgelegt. Fernzüge wie ICE und IC machen einen großen Bogen um ihn. Die Regionalzüge fahren nur mit halber Frequenz.

Schon in der Vorwoche stand der Verkehr abends und in der Nacht still. Jetzt ist das Chaos perfekt. Und daran wird sich so bald nichts ändern: Statt wie anfangs versprochen nur ein paar Tage bleibt Mainz bis mindestens Ende August vom Schienennetz abgekoppelt, gesteht die DN Netz AG. Das sei ihm „sehr peinlich“, fügt ihr Chef, Frank Sennhenn, hinzu.

Die Bahn mache sich mit der Situation in Mainz „international lächerlich“, ärgert sich nicht nur FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Wie aber kann so etwas passieren? Die unmittelbare Ursache erscheint banal: Von den 15 Fahrdienstleitern sind sieben krank geschrieben und drei auf Urlaub. Mit einer solchen Häufung an Ausfällen habe man ja nicht rechnen können, rechtfertigt sich das Management. Hinter vorgehaltener Hand vermuten freilich viele, die Krankheitsfälle seien vorgetäuscht, die Gewerkschaft wolle damit Druck machen, mehr Personal einzustellen.

Mangel an Fahrdienstleitern

Das Unternehmen appelliert an die drei Urlauber, auf Firmenkosten früher zurückzukommen. Doch die Mitarbeiter, vermuten Insider, werden sich hüten, der Bitte Folge zu leisten. Sie zögen sonst den Hass der Kollegen auf sich, die dann bei ihrem nächsten Urlaub mit Ähnlichem rechnen müssten.

Fest steht: Die Personalsituation der Deutschen Bahn ist gerade bei den Fahrdienstleitern auf Kante genäht. Ihr Job ist ähnlich heikel wie jener der Fluglotsen. Vor allem müssen sie das Streckennetz rund um ihr Stellwerk genau kennen. Deshalb sind sie auch nicht einfach durch Kollegen aus anderen Städten zu ersetzen – diese müssten erst drei Monate auf ihrem neuen Einsatzort eingeschult werden. Vom Start weg dauert die Ausbildung zum Fahrdienstleiter sieben Monate. Eine rasche Entlastung ist also nicht in Sicht.

Problem der Überalterung

Schon mehrfach gab es ähnliche Ausfälle: in Zwickau, im hessischen Bebra und in Nordrhein-Westfalen. 12.500 Fahrdienstleiter regeln den Schienenverkehr, laut Gewerkschaft um 1000 zu wenig. Nun fürchtet der Staat als Eigentümer der Bahn, das Chaos von Mainz könnte sich ausweiten und der Imageverlust der Bahn auf die Regierung zurückfallen. Freilich hat die Politik gehörig Mitschuld an der Situation.

Für den geplanten Börsengang 2008 lautete die Devise: Kosten senken, Personal abbauen, Investitionen zurückstellen. Das brachte die Deutsche Bahn zwar unter der Ägide von Exchef Hartmut Mehdorn in eine stabile Gewinnsituation. Doch als der Börsengang abgesagt wurde, blieb ein personell ausgedünntes Unternehmen samt Investitionslücke zurück. So werden etwa nur 415 der rund 3000 Stellwerke vom Computer gesteuert. Weil sie technisch nicht auf dem letzten Stand ist, kann die Bahn nicht kosteneffizient arbeiten und ist weiterhin auf zu viel Personal angewiesen. Dazu kommt die Überalterung: Die Fahrdienstleiter sind im Schnitt 47 Jahre alt.

Der aktuelle Bahn-Chef, Rüdiger Grube, hat die Weichen zwar schon seit 2009 von Sparen auf Rekrutieren umgestellt. Im vergangenen Jahr kamen 10.000 neue Mitarbeiter dazu, in den ersten sieben Monaten heuer 6000 weitere. Aber das alles geschah, wie sich nun zeigt, zu spät und wohl auch zu halbherzig.

Indirekt gesteht der Konzern die Mängel in seiner Personalpolitik ein – durch Veränderungen im Management: Im Jänner musste Oliver Kraft, der Chef der Netzsparte, seinen Sessel räumen. Nun heißt es aus dem Aufsichtsrat, dass auch der Produktionsvorstand seinen Hut nehmen muss.

Auf einen Blick

Die Deutsche Bahn sollte 2008 an die Börse gebracht werden. Dafür wurden die Kosten gesenkt, Personal abgebaut, Investitionen zurückgestellt. Als der Börsengang abgesagt wurde, blieb ein personell ausgedünntes Unternehmen samt Investitionslücke zurück. Laut Gewerkschaft fehlen 1000 Fahrdienstleiter. In Mainz und an anderen Orten kommt es derzeit zu Chaos und Zugausfällen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2013)

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