Minsk: Aus der Ehe in die Gefängniszelle

Minsk Gefaengniszelle
Minsk Gefaengniszelle(c) Reuters
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Wirtschaft kann ein wahrer Krimi sein. Etwa, wenn der Chef eines weltweit führenden Konzerns im KGB-Gefängnis landet. Das ist zuletzt in Minsk passiert. Seltsam nur, dass sich westliche Investoren darüber freuen.

Vladislav Baumgertner Naivität vorzuwerfen wäre eine ziemliche Fehleinschätzung. Zwar wirkt der 41-jährige Russe mit seinem Musterschülergesicht durchaus unbedarft. Und seine postgradualen Management-Studienabschlüsse in England deuten auf viel akademische Theorie. Wer aber bereits in den turbulenten 1990er-Jahren in Russland diverse praktische Führungsposten auf dem Elektrizitätssektor innehatte und seit nunmehr zehn Jahren den weltweit größten Kaliumkonzern Uralkali leitet, kann so grün hinter den Ohren nicht sein. Das erkannte auch der Kreml, der ihn in die Liste der Top 100 seiner Kaderreserven aufgenommen hat.

Aber wie erfahren jemand im postsowjetischen Raum auch ist: Vor den unvorhersehbaren Fallstricken der weißrussischen Diktatur ist niemand sicher. Und so kam es, dass sich Baumgertner am Montag in der weißrussischen Hauptstadt Minsk plötzlich festgenommen sah.

Eben noch ist er mit Premierminister Michail Mjasnikowitsch, der ihn ja eingeladen hatte, am Tisch gesessen. Schon sitzt er im Gefängnis des KGB, wie die Staatssicherheit dort immer noch heißt. Machtmissbrauch wird ihm vorgeworfen. Darauf steht Freiheitsentzug von drei bis zehn Jahren.


Lukaschenko bestimmt. Wenn Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko nicht will, steht erst einmal alles still. Dabei ist über acht Jahre alles wie geschmiert gelaufen. So lange hat Uralkali mit Weißrusslands staatlichem Riesenkonzern Belaruskali eine Vertriebsallianz namens BPC gebildet, die 43 Prozent des Weltmarktes für Kalium kontrollierte. Das ist nicht unüblich auf dem Düngemittelmarkt, auf dem Kali neben Stickstoff und Phosphat als einer der Hauptbestandteile gilt.

Doch Ende Juli dachte Uralkali um. Fortan ohne die Weißrussen hat Baumgertner damals verlautet. Und zwar, weil ohnehin schon der Wurm im BPC-Kartell gewesen sei und auch die Weißrussen aus dem Bündnis auszuscheren begonnen hätten. Baumgertner sagte klar, dass er nicht mehr auf das Halten der Preise setze, sondern auf eine Ausweitung des Verkaufsvolumens. Mehr hat es nicht gebraucht. Weltweit witterten die Akteure einen Preiskrieg und verfielen in Panik.

Der Börsenwert der ganzen Branche fiel um 20 Milliarden Dollar. Die deutsche K+S drohte sogar aus dem DAX-Index zu fliegen. Der Preis für Kali, der vor vier Jahren noch bei 900 Dollar je Tonne gelegen ist und derzeit bei rund 400 Dollar pendelt, könnte im zweiten Halbjahr unter 300 Dollar fallen, warnte Uralkali.

Weißrussland lud Baumgertner zu einem Gespräch mit dem Premier. Und steckte ihn ins Gefängnis. Er habe dem Land einen Schaden von 100 Millionen Dollar zufügt, hieß es. Die Investoren im Westen jubelten, die Börsenkurse von K+S und anderen zogen nach oben, womit der Glaube dokumentiert wurde, dass Lukaschenko den Russen schon noch den Kopf waschen und sie zu einem Umdenken bewegen werde.

So einfach, wie es den Anschein hat, ist die Welt im Osten freilich nicht. Denn auch die Russen kennen sich in der Kiste der plumpen Tricks aus. Und so dauerte es keine drei Tage, bis Moskau seine bewährten Geschütze auffuhr: Da ist zum einen Gennadi Onischtschenko, der Chef der Sanitätsaufsicht, der ein Einfuhrverbot für Schweinefleischprodukte aus dem Nachbarland ausgesprochen und ein solches für Milch angedroht hat.

Da ist zum anderen der Konzern Transneft, der das Monopol auf die russischen Ölleitungen hat und der nun – offiziell wegen Renovierungsarbeiten – die Öllieferungen an den widerborstigen Nachbarn um rund ein Viertel kürzt.

Große Emotionen dort wie da, unterstützt durch die offizielle Forderung des Kremls, Baumgertner umgehend freizulassen. Man mag Lukaschenko im Moskauer Kreml nicht besonders. Aber weil er wegen seiner Brutalitäten vom Westen mit Sanktionen belegt ist, hält man ihm umso mehr die Treue. Beliefert ihn mit billigem Öl und Gas. Und nimmt in Kauf, dass man von ihm beim Weiterverkauf derselben um Milliarden betrogen wird.


Weißrussland will Geld. Gut, Weißrussland hat seine Druckmittel, fließt doch ein Fünftel der russischen Gas- und Ölexporte über den weißrussischen Transit nach Europa.

Russland ist daher an einem möglichst friktionsfreien Durchfluss interessiert. Und Lukaschenko, der Moskau als Bankomaten für sein finanziell angeschlagenes Land sieht, kennt den Preis: Just an dem Tag, an dem Uralkali-Chef Baumgertner verhaftet worden ist, hat Weißrussland erklärt, um die nächste Tranche aus einem von Moskau geführten Krisenbekämpfungsfonds anzusuchen. 2,56 Milliarden Dollar sind bereits ausbezahlt worden.

Dass Uralkali freilich einen Schwenk machen und in die Vertriebs-allianz zurückkehren könnte, wie westliche Investoren offenbar dachten, halten russische Analysten für unwahrscheinlich. Umso wahrscheinlicher schon, dass Weißrussland eine Kompensation für die Verluste aus dem Kaligeschäft, das eines der größten Devisenbringer für den Staat ist und das es ohne die zu Uralkali übergelaufenen internationalen Vertriebsspezialisten nicht managen kann, herausschlagen will. Topmanager Baumgertner fungiert im KGB-Gefängnis als Geisel, die den Einsatz im Poker erhöht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2013)

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