Wirtschaftskrise: Spanier als Gastarbeiter in Nordafrika

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Symbolbild(c) REUTERS (JAVIER BARBANCHO)
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Verkehrte Welt: Weil sie zu Hause ihren Job verloren haben, suchen viele Spanier jetzt in Nordafrika eine Arbeit. Betroffen sind vor allem Akademiker.

Madrid/Bloomberg. Der aus Barcelona stammende Architekt Jean-Pierre Monguard Estragues sagt, es sei deutlich einfacher, Kunden und Projekte in Marrakesch als zu Hause in Spanien zu finden. „Es ist nicht die beste Bezahlung, die ich je gesehen habe, aber es reicht für meinen Lebensunterhalt, und ich kann sogar noch etwas nach Hause schicken“, sagt der 40-Jährige.

Vor fast zwei Jahren, nachdem er seinen Job verloren hatte und in Rechnungen erstickte, zahlten Freunde sein Flugticket nach Marokko. „Erfahrung und Know-how werden hier viel mehr geschätzt als in Spanien.“

Im vergangenen Jahr ist die Bevölkerungszahl Spaniens erstmals in mindestens vier Jahrzehnten zurückgegangen, nachdem sich mehr als ein Viertel der Spanier ohne Arbeitsplatz wiederfanden. Ganz anders sah es noch in den Boomzeiten aus: Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze, die in den fünf Jahren bis 2007 in der gesamten Eurozone neu hinzukamen, wurde in Spanien geschaffen.

Nach Ansicht von Monguard ist die Abwanderung eine „ökonomische, intellektuelle und kulturelle Katastrophe“, durch die die am besten ausgebildete Generation aus dem Land vertrieben werde.

Vor Marokko versuchte er auf Teneriffa mit einem Architekturbüro sein Glück, aber das scheiterte mit der zunehmenden Sparsamkeit der Kunden. Zu diesem Zeitpunkt sprach ein Freund ihn wegen Arbeit in dem nordafrikanischen Land an – und nun betreut er ein halbes Dutzend Projekte und überlegt, eine eigene Firma zu gründen.

Keine rasche Erholung in Sicht

Zwar hat Ministerpräsident Mariano Rajoy erklärt, dass sich Spanien langsam aus der Krise herausarbeite, die Folgen der Rezession muss das Land allerdings noch in den Griff bekommen: Die Arbeitslosenquote liegt bei 26,3 Prozent.

Fast ein Drittel aller Arbeitslosen in der Eurozone entfallen auf Spanien. „Die Leute werden auch weiterhin abwandern, solange sich die ersten Anzeichen einer Erholung nicht in einem signifikanten Stellenaufbau niederschlagen“, sagt José Antonio Herce, Associate Director bei der Beratungsfirma Analistas Financieros Internacionales in Madrid. „Diese Emigration ist aus menschlicher Sicht dramatisch, aus historischer Sicht hingegen ist es nicht das erste Mal, dass dies in Spanien geschieht, und eigentlich auch recht gesund.“

Im zweiten Quartal 2013 sank die Arbeitslosenquote in Spanien erstmals in zwei Jahren, erklärte das Statistikamt INE. Spaniens Rezession ließ in den drei Monaten bis Ende Juni etwas nach, und die Regierung baut auf Exporte und Tourismus, um die Wirtschaft nach sechs Jahren Rückgang wieder zu beleben. Die Zahl der Touristen wuchs in diesem Jahr bis Juli um 3,9 Prozent. „Es gibt einige positive Indikatoren, aber die spanische Wirtschaft bleibt zu stark von der Außenwelt abhängig“, sagt Maria Yolanda Fernández Jurado, Associate Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Universidad Pontificia Comillas in Madrid. „Mag sein, dass das BIP im zweiten Quartal weniger geschrumpft ist, aber die Binnennachfrage und die Industrieproduktion sind weit von Wachstum entfernt, und solange dies nicht passiert, werden wir keine Jobs schaffen können.“

In Marokko verdient Monguard die Hälfte dessen, was er nach Hause nehmen konnte, als er noch in seinem mittelgroßen Architekturbüro in Madrid beschäftigt war. Zwar mag er es nicht, dass es in dem Land eigentlich keine Religionsfreiheit und keine Rechte für Frauen gibt, dennoch plant er vorerst nicht, nach Spanien zurückzukehren. „Die politische Führung ist unfähig, betreibt Vetternwirtschaft und klammert sich an die Macht“, sagt er. „Die wirtschaftliche Lage in Spanien wird sich vor 2016 nicht verbessern.“

Auf einen Blick

Nach Griechenland weist Spanien mit 26,3 Prozent die höchste Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union auf. Besonders dramatisch ist die Jugendarbeitslosigkeit. Diese liegt in Griechenland bei 62,9 Prozent, in Spanien bei 56,1 Prozent und in Kroatien bei 55,4 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2013)

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