Nach IWF-Aufreger: Wer keine Schulden hat, zahlt

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Der Abbau von Staatsschulden durch Zwangsabgaben für Vermögensbesitzer wird schon länger diskutiert. Statt der vom IWF in die Debatte geworfenen einmaligen Abgabe könnten auch hohe befristete Vermögensteuern drohen.

Der „Presse“-Bericht über Gedankenspiele des IWF zu einer zehnprozentigen Vermögensabgabe zwecks Verringerung der Staatsschulden hat eingeschlagen wie eine Bombe. Auch beim IWF in Washington selbst: Dort legte man am Montag höchsten Wert auf die Feststellung, dass es sich dabei nicht um konkrete Pläne oder Forderungen des Internationalen Währungsfonds handelt. Sondern nur um „analytical work“ in der Oktoberausgabe des IWF-eigenen „Fiscal Monitor“.

Was nichts daran ändert, dass die Pläne, Vermögensbesitzer (nicht nur Sparer) zur Sanierung der Staatshaushalte heranzuziehen, vor allem in Europa, aber auch in anderen Teilen der industrialisierten Welt immer konkreter diskutiert werden. Einfach deshalb, weil es keinen anderen gangbaren Weg aus der Staatsschuldenkrise mehr zu geben scheint.

Der IWF hat im „Fiscal Monitor“ die Notwendigkeit angenommen, die Staatsschuldenstände auf das Vorkrisenniveau von 2007 zurückzuführen. Um das zu erreichen, müsste man in der Eurozone eine einmalige Substanzsteuer von zehn Prozent auf alle Nettovermögen (Sparbücher, Wertpapiere, Immobilien, Gold etc. abzüglich Schulden) einheben.

Es gibt viele Experten, die das für viel zu wenig halten. Angestoßen wurde die Diskussion schon vor zwei Jahren von der renommierten Boston Consulting Group (BCG), die in einer damals nur mäßig beachteten Studie („Back to Mesopotamia – The Looming Thread of Debt Restructuring“) zum Schluss gekommen war, dass sich die Schuldenkrise in den Industrieländern auf herkömmliche Weise nicht mehr lösen lässt.

Alle herkömmlichen Mittel seien schon probiert worden, hätten aber angesichts der Größe des Problems nicht gegriffen:

► Austerität (also sparen und Schulden zurückzahlen) allein sei bei den derzeitigen Schuldenständen ein „Rezept für eine lange, tiefe Rezession und soziale Unruhen“.
► Aus der Schuldenkrise „herauswachsen“ sei angesichts der demografischen Situation in den Industriestaaten und der Wettbewerbsschwächen in einigen Ländern der Eurozone illusorisch.
► Die Schulden wegzuinflationieren habe nicht funktioniert: Fed und EZB hätten mit dem Öffnen der Geldschleusen verzweifelt versucht, hohe Inflationsraten zu generieren, seien damit aber mangels Kreditnachfrage gescheitert.
► Großflächige „Haircuts“ bei den Haltern der Staatsanleihen (hauptsächlich Banken) seien wegen der Schwäche des Bankensektors illusorisch.
► Die bereits in Gang befindliche finanzielle Repression (Spar- und Anleihezinsen deutlich unter der Inflationsrate) reiche nicht aus, weil man sie in einem Umfeld mit niedrigem Wachstum und niedriger Inflation nicht lange genug durchhalten könne.

Bleibt, wenig überraschend, eine allgemeine Vermögensabgabe, um die Schulden zu reduzieren. Boston Consulting ist allerdings wesentlich radikaler als der IWF: Nachhaltig saniert sei ein Staat nur dann, wenn die Schulden insgesamt (also Staat, Unternehmen und Private zusammen) nicht mehr als 180 Prozent des BIPs ausmachen. Und davon sind selbst die besten europäischen Länder ein schönes Stück entfernt. Um das zu erreichen, müssten in der Eurozone Schulden im Ausmaß von mehr als 6000 Mrd. Euro verschwinden. In den USA müssten umgerechnet sogar mehr als 8000 Mrd. Euro an Forderungen „vernichtet“ werden.

Das geht mit einer Einmalabgabe etwas schwerer – außer man will Volksaufstände provozieren. Deshalb gilt in den einschlägigen „analytischen Arbeiten“ das Modell „Deutschland 1952“ als besonders elegant: Damals hatte Deutschland seinen entgleisten Staatshaushalt mit einer 50(!)-prozentigen Zwangsabgabe saniert. Allerdings nicht auf einen Schlag, sondern in Form einer auf 30 Jahre befristeten jährlichen Vermögens-Zwangsabgabe von 1,67 Prozent. Die in Österreich und Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern aufgebrochenen Vermögensteuer-Diskussionen gehen in diese Richtung.

Schuldenschnitt wie nach Krieg

Auch in der „analytischen Arbeit“ des IWF werden Beispiele für die Machbarkeit eines Schuldenschnitts auf Kosten der Vermögensbesitzer angeführt: Solche Vermögensabgaben hätten nach dem Ersten Weltkrieg in vielen europäischen Ländern und nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Japan funktioniert.
Allerdings, so die BCG-Experten, müsse ein solcher Schritt überraschend und großflächig (europaweit) durchgeführt werden, um Umgehungen und Kapitalflucht zu verhindern.

Die Vergleiche mit den Nachkriegs-Schuldenschnitten implizieren, dass die Schuldenlast mitten im längsten Frieden der europäischen Geschichte praktisch „Kriegsniveau“ erreicht hätte. Tatsächlich scheinen viele Experten zum Schluss gekommen zu sein, dass dem so ist. Und dass es nicht mehr lange möglich sein wird, die heiße Kartoffel immer ein Stück weiterzuschupfen, statt das Problem an der Wurzel zu lösen.

Auch wenn es offiziell meist dementiert wird: Die Diskussion um einen großflächigen Schuldenschnitt ist längst im Gang. Die (für die Schuldner positiven) Erfahrungen bei den „Haircuts“ in Griechenland und Zypern haben sie noch verstärkt. Und wer das Ganze auf die eine oder andere Weise bezahlen wird, steht auch schon fest: Diejenigen, die am Tag X über Nettovermögen verfügen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2013)

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