Bosshart: „Die Jungen sind nicht mehr stolz auf Besitz“

 David Bosshart, Konsum, Trendforscher
David Bosshart, Konsum, Trendforscher (C) GDI
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Der Schweizer Trendforscher David Bosshart über sein „Age of Less“, über Tauschen und Teilen, die Gratiskultur, die Chancen sozialer Medien und Folgen verlorenen Vertrauens.

Die Presse: Sie sind als begehrter Redner auf Kongressen viel unterwegs. Aber Sie haben immer nur eine kleine Reisetasche dabei. Warum?
David Bosshart: Je mehr man reist, desto sorgfältiger packt man ein. Man kann mit relativ wenig Gepäck sehr gut leben. Reisen diszipliniert. Man lernt, was wirklich wichtig ist, und was man wirklich braucht zum Leben.

Sie propagieren das „Age of Less": mehr Lebensqualität durch Verzicht. Ist das nicht ein Thema für Eliten, ein Luxustrend für die schon Gesättigten?
Verzicht funktioniert nicht, Ballast abwerfen schon. In der westlichen Welt sind wir alle bequeme Wohlstandsmenschen geworden. Es ist für uns normal, dass die Sozialsysteme funktionieren, dass wir ins Flugzeug steigen, dass unser Abwasser gereinigt wird. Aber sicher: Alle innovativen Themen kommen von einer Elite. Bis sich etwas im Bewusstsein einer Mehrheit abbildet, dauert es länger. Wenn wir nicht lernen, bewusster zu konsumieren, wird der Streit um Ressourcen zunehmen. Allerdings scheint das Umweltbewusstsein in China und Brasilien heute bereits höher zu sein als in den reichen westlichen Ländern, wie neuere Untersuchungen zeigen.

Die Produktivität wächst, das spart Arbeit. Ohne Wachstum, das den Effekt ausgleicht, haben wir Massenarbeitslosigkeit - so sinkt die Lebensqualität massiv.
Es stimmt: Das Wichtigste für Menschen ist, dass sie tätig sind. Sie definieren sich über Tätigkeiten, gewinnen daraus die Wertschätzung der anderen. Deshalb ist Arbeit wichtig. Aber die Ökonomen meinen immer nur: bezahlte Arbeit. Wir brauchen künftig einen stärkeren Mix aus bezahlter und freiwilliger Arbeit. Die Sozialkosten explodieren. Was unsere Pensionisten kosten, ist Raubbau an der nächsten Generation. Wer pflegt die Menschen, wer sorgt für sie? Der Staat kann nicht einfach das Substitut für die Familie sein.

Trotz Verzicht und Nachhaltigkeit: Shopping bleibt immens beliebt, fast eine Religion. Warum?
Die materiellen Bedürfnisse sind schon befriedigt. Konsum muss heute zusätzlich Sinn vermitteln. Regionale Produkte machen mehr Freude als anonyme. Österreich ist da ja Weltmeister. Umkehrt macht vielleicht ein T-Shirt keine Freude, das nur mehr 99 Cent kostet, aber aus Bangladesch kommt, wo Kinder unter miserabelsten Bedingungen arbeiten. Der Preis wird relativer, als wir gedacht haben.

Wie verändert sich die Konsumkultur der jungen Generation?
Nach dem Krieg und noch in der Babyboomer-Generation war man stolz darauf, ein Auto und ein Haus zu besitzen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Die Jüngeren konkurrieren nicht mehr regional um Arbeitsplätze, sondern global. Ihnen wird klar: Die Phase des grenzenlosen Konsums ist vorbei. Sie lernen rasch, dass es Spaß macht, gebrauchte Waren zu erwerben, zu tauschen, zu mieten statt zu kaufen, Autos zu teilen. Es ist ihnen wichtig, mobil zu sein, aber nicht mehr, einen teuren Wagen zu haben.

Junge Menschen gehen besser mit dem Überangebot an Informationen um. Sie ignorieren und löschen, was sie nicht interessiert, etwa Werbung. Wie kann man Produkte noch vermarkten?
Jede Generation ist durch ein Medium geprägt. Bei meiner war es das Fernsehen. Heute haben wir personalisierte Medien. Die Jungen benutzen „schlaue Werkzeuge" im Internet, sind interaktiv, erwarten sofortige Antwort. Der Konsument gelangt auf Augenhöhe, er lässt nicht mehr einen Schrott von Angeboten zu, die er nicht will. Zum wichtigsten Thema wird: Wie kann man Daten gut vernetzen, wer darf an meinen Daten teilhaben? Je mehr ich über mich preisgebe, desto präziser lerne ich, was für mich interessant ist. Aber dafür will ich auch viel zurückbekommen. Das ist die Richtung für die Zukunft.

Handy, Musik, Reisen: Jugendliche wachsen damit auf, dass ihre Lieblingsprodukte immer billiger werden - oder gratis. Wozu führt diese Erwartungshaltung?
Das bringt viele Geschäftsmodelle durcheinander. Bei Google sind die Suchanfrage oder die vielen Karten gratis, aber dahinter steht ein Konzept, mit dem man Geld verdient, etwa durch Werbung. Das gegenseitige Subventionieren wird zur großen Herausforderung, auch für Handel und Konsumgüterindustrie. Wir stehen hier am Anfang einer Revolution.

Finanzkrise, Fleischskandal, Datenausspähung: Wir erleben einen massiven Vertrauensverlust. Wozu führt das im Konsum?
Ganz klar: Es wird alles tendenziell teurer, weil es nach den realen Kosten budgetiert werden muss! Marktwirtschaft funktioniert nur mit Vertrauen, Marken schaffen es. Wichtigste Vertrauensquelle ist immer noch der menschliche Kontakt. Technologie gewinnt aber an Bedeutung: Amazon ist beliebt, weil es funktioniert und zuverlässig ist, weil ich zielgenaue Empfehlungen bekomme. Ohne Vertrauen geht nichts, alle sind herausgefordert, dass es sich wieder auf hohem Niveau einpendelt.

ZUR PERSON

David Bosshart (54) ist Leiter des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, eines Schweizer Thinktanks mit Schwerpunkt Handel. Der Trendforscher spricht auf der re.comm 2013.Der Real Estate Leaders Summit findet vom 20. bis 22.November in Kitzbühel statt. „Die Presse“ ist Medienpartner. Infos/Tickets unter: www.recomm.eu [ GDI ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2013)

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