Tokios Strom vom Tropf

Team of IAEA experts check out water storage tanks at TEPCO's Fukushima Daiichi Nuclear Power Station
Team of IAEA experts check out water storage tanks at TEPCO's Fukushima Daiichi Nuclear Power StationREUTERS
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Zweieinhalb Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima müsste Japans Stromversorger Tepco längst pleite sein. Doch der Konzern wird künstlich am Leben gehalten.

Endlich waren es gute Nachrichten, die die Welt aus Fukushima erreichten: Das havarierte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi soll endgültig stillgelegt werden. Neben den Reaktoren 1, 2, 3, bei denen Kernschmelzen eintraten, sollen auch die Blöcke 4, 5 und 6 nie wieder ins Netz gehen. Die letzten drei waren zum Zeitpunkt des Erdbebens und Tsunamis am 11. März 2011 für Routinearbeiten außer Betrieb genommen, Kernschmelzen blieben aus. Reaktor 4 nahm dennoch schweren Schaden. Die Blöcke 5 und 6 sind noch glimpflicher davongekommen.

Nun sollen aber auch die weitgehend intakten Reaktoren nie wieder Strom erzeugen. Das gab der Kraftwerksbetreiber Tokyo Electric Power Company (Tepco) diese Woche bekannt. Zu groß war der Druck der Öffentlichkeit geworden. Japan atmet durch: Der größte Stromversorger des Landes, der sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren regelmäßig durch Fahrlässigkeiten und Unwissenheit im Umgang mit der Katastrophe blamiert hat, nimmt von seinem ältesten und gefährlichsten Kernkraftwerk Abschied.

Rund 20.000 Menschen kamen im März 2011 durch das Erdbeben und den Tsunami ums Leben. Wegen der durch die Naturkatastrophe austretenden Radioaktivität leben bis heute 160.000 Menschen fern ihrer Heimat. Wichtige Wirtschaftszweige im Nordosten Japans, wie Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus, leiden an verheerenden Einbußen. Es kann nur besser werden, so scheint es, und so hofft man.


In staatlicher Hand. Gebannt ist die Gefahr aber noch lange nicht. 40 Jahre wird es dauern, bis die Blöcke unschädlich sind und abgebaut werden können. Für die Zeit danach schwebt Tepco schon ein neues Geschäftsmodell vor: Das Kraftwerksgelände soll zu Forschungszwecken genutzt werden.

Darüber schon inmitten des Strahlungsdesasters öffentlich zu sinnieren, mag zynisch anmuten. Im Fall Tepcos ist es aber notwendig. Nicht durch Zufall hat das Unternehmen jahrelang gezögert, Fukushima Daiichi offiziell stillzulegen, wodurch es die Blöcke auch aus der Bilanz streichen müsste: Tepco ist klamm, und wird es lange bleiben.

Die Umsätze sind seit Beginn der Katastrophe dank höherer Strompreise zwar gestiegen, gleichzeitig aber auch die Kosten. Das liegt daran, dass Japan derzeit atomstromfrei ist, die Versorger also Rohstoffe importieren müssen. Hinzu kommen die Kosten in Fukushima, deren Höhe unklar ist und die Tepco schon lange nicht mehr allein schultern kann.

Als dies 2012 deutlich wurde, richtete die Regierung einen Katastrophenfonds ein, in den seither an die 30 Milliarden Euro geflossen sind. Zudem nahm Tepco eine Kapitalerhöhung von rund 7,3 Milliarden Euro vor, bei der nur der Katastrophenfonds zeichnete. Tepco ist seitdem in mehrheitlich staatlicher Hand. Deswegen, und dank großzügiger Bankkredite, ist das Unternehmen noch liquid. Nach aktueller Aussicht kann es seinen Verbindlichkeiten noch über ein Jahr nachkommen. Langfristig sind aber echte Einnahmen nötig. Dafür müsste ein Kraftwerk her, das diese einspielt.

Eine Situation, die Tepco gut kennt. Dass Fukushima Daiichi überhaupt bis zum Tsunami 2011 auf Hochtouren lief, war schon das Ergebnis eines Unfalls. Bei einem Erdbeben im Juli 2007 an Japans Westküste hatte das Kraftwerk Kashiwazaki-Kariwa, mit einer elektrischen Gesamtleistung von 8,21 Gigawatt das leistungsstärkste der Welt, einen Transformatorbrand erlitten. Radioaktivität trat aus. Prompt musste Tepco Kashiwazaki-Kariwa vom Netz nehmen.

Neue Cashcow.
Die neue Cashcow war fortan Daiichi „aber es wurde kaum gewartet“, sagt der Atombefürworter Nobuo Tanaka vom Thinktank „Institute of Energy Economics Japan“. „Das meiste Geld floss weiter in Kashiwazaki-Kariwa, um das Werk schnellstmöglich wieder hochfahren zu können.“

So ist es bis heute. Bei der Atomregulierungsbehörde wurde der entsprechende Antrag für Kashiwazaki-Kariwa längst eingereicht. Arbeiter in Fukushima berichten unterdessen, dass Tepco sonst an allen Enden spart: Gehälter wurden gekürzt, weshalb dem Unternehmen knapp 1300 Angestellte weggelaufen sind, darunter vor allem die besser bezahlten und weniger verzichtbaren. Auch deshalb reißen beim Krisenmanagement die Fehler nicht ab. „Uns ist bekannt, dass technisch bessere Vorschläge häufig durch die Führung abgelehnt werden, weil sie zu teuer seien“, sagt Nancy Foust von der Internetplattform FukuLeaks, die das Geschehen in Fukushima analysiert.

Was mit dem Unternehmen auf lange Sicht passieren soll, steht in den Sternen. Es gibt die Idee, Tepco in je einen Stromerzeuger, Stromlieferanten und einen Betrieb für das Krisenmanagement aufzuteilen. Das könnte aber verlangen, das Unternehmen zunächst schuldenmäßig zu sanieren. Die Regierung schreckte bisher zurück, weil so nicht nur viel Steuergeld verloren ginge, auch Japans Banken haben viel Geld an Tepco verliehen. Gegen Jahresende dürften sich Tepcos Schulden auf rund 31 Milliarden Euro belaufen.

Anleger scheinen trotzdem an eine Zukunft Tepcos zu glauben. Der Börsenwert liegt noch bei rund sechs Milliarden Euro, was darauf hindeutet, dass viele Investoren auf einen Schuldenerlass bauen. Allerdings weiß niemand, wie das Unternehmen jemals alle Schulden wieder einspielen soll. In Fukushima geht es nicht nur um Dekontamination und die Außerbetriebnahme des Kraftwerks. Irgendwann, in etwa 40 Jahren, muss die Ruine abgebaut werden. Und neue Einnahmen hat der Betrieb dadurch auch keine.

Fakten

31 Milliarden Euro Schulden wird Tepco zu Jahresende haben. Wie und wann der Konzern sie je zurückzahlen soll, weiß derzeit niemand.
Anleger hoffen
auf einen Schuldenschnitt für den teilstaatlichen Versorger. Doch das würde Japans Haushalt und Banken schwer treffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2013)

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