Volkswirtschaft: Japan wird Importmacht

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Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hat ihr höchstes Leistungsbilanzdefizit überhaupt erzielt. Japan wandelt sich von einer Export- zu einer Importmacht.

Tokio. Das Jahr 2014 hätte man in Tokios Regierungsbezirk Kasumigaseki wohl lieber ganz anders begonnen. Zu Beginn der Woche sah sich die japanische Regierung gezwungen, der Öffentlichkeit einmal mehr die Vorteile ihrer Wirtschaftspolitik zu erklären. Die nach Premierminister Shinzō Abe mit „Abenomics“ getaufte Strategie aus Konjunkturprogrammen, einer lockeren Geldpolitik und wachstumsorientierten Strukturreformen, die zu einem deutlich schwächeren Außenwert des Yen geführt hat, sollte eigentlich Japans wichtige Exportindustrie befeuern.

Dass dieses Feuer bisher nicht wirklich brennt, führt nun zu großer Ernüchterung in Japan. Aktuelle Zahlen des Finanzministeriums zeigen, dass das Land im November vergangenen Jahres erneut ein deutliches Leistungsbilanzdefizit erzielt hat, diesmal in Höhe von 592,8 Milliarden Yen (etwa 4,2 Milliarden Euro). Das ist das größte Minus seit Beginn solcher Aufzeichnungen im Jahr 1985. Die Leistungsbilanz fasst die grenzübergreifenden Ströme von Gütern, Dienstleistungen, einseitigen Übertragungen sowie Einkommen und Vermögen zusammen. Ihr Saldo zeigt an, ob im Gros mehr Geld in ein Land fließt oder dieses verlässt. Japans Zahlungen an die Welt sind somit höher als die Einnahmen.

Öl muss Energie aus Atomkraft ersetzen

Für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist dies eine äußerst bittere Erkenntnis. Traditionell ist Japan für seine starke Exportindustrie bekannt, die seit den Nachkriegsjahren großen Anteil am ökonomischen Aufschwung des Landes hatte. Insbesondere mit Elektronikprodukten (beispielsweise Canon, Nikon) und Automobilen (unter anderem Toyota) wird die Welt seit langem versorgt.

Aber gerade in diesen beiden Sektoren haben japanische Unternehmen zuletzt gegenüber der Konkurrenz aus Südkorea und auch China massiv an Boden verloren. Langfristig muss sich Japan wohl neu orientieren, da auch aus diesen Ländern längst hochwertige Produkte kommen, die den japanischen Konkurrenz machen.

Zugleich haben seit März 2011, als auf ein starkes Erdbeben und einen Tsunami eine Nuklearkatastrophe folgte, die Importe stark zugenommen. Einen wichtigen Teil nimmt die Einfuhr von Öl und Flüssiggas aus dem Mittleren Osten ein, nachdem Japan seine Atomkraftwerke nur noch bedingt nutzen kann. Derzeit ist wegen neuer Sicherheitsbestimmungen keiner der 50 Reaktoren im Land in Betrieb. Im November hat sich der Wert der Importe daher noch einmal um gut 22 Prozent gegenüber dem Jahr 2012 erhöht. Die Exporte stiegen in dem Zeitraum zwar auch, allerdings nur um knapp 18 Prozent.

Obwohl Abenomics japanische Exporte unterstützen soll, ist ironischerweise gerade diese Politik für das Defizit wesentlich mitverantwortlich. Ein ökonomisches Modell erklärt den Zusammenhang recht deutlich: Ein Spezialfall der sogenannten Marshall-Lerner-Bedingung, benannt nach den Ökonomen Abba Lerner und Alfred Marshall, sagt voraus, dass ein Land nach einer Abwertung seiner eigenen Währung zunächst seine Handelsbilanz verschlechtern wird. Denn während sich die plötzlich teureren ausländischen Produkte sofort durch höhere Rechnungen für Importeure bemerkbar machen, braucht es durch längerfristige Lieferungsverträge oft etwas Zeit, bis die Exporteure durch niedrigere Preise tatsächlich mehr verkaufen können.

Einkaufen vor der Steuererhöhung

Ist Japans schlechte Leistungsbilanz ausschließlich auf diese Weise zu erklären, so hat die Regierung Grund zur Hoffnung. Dann erschiene es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Saldo wieder verbessert.

Allerdings berichten mehrere Unternehmen, dass sie derzeit auch deshalb stärker importieren, weil viele Konsumenten und Betriebe noch vor April möglichst viel einkaufen wollen. Ab dann wird nämlich Japans Konsumsteuer von bisher fünf auf acht Prozent angehoben, ehe sie mittelfristig auf zehn Prozent steigen wird.

Zudem wird nicht davon ausgegangen, dass die Energieimporte schnell wieder nachlassen. Und Hiromichi Shirakawa, Chefökonom von Credit Suisse Japan, betonte in Tokio, dass Japan heutzutage tendenziell ohnehin mehr importiert als es exportiert.

Droht neue Haushaltskrise?

Bleibt das Leistungsbilanzdefizit langfristig bestehen, könnte Japan auf eine Haushaltskrise zusteuern. Die weiterhin steigende Staatsschuldenquote beträgt schon mehr als 230 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, höher als die jeder anderen Industrienation.

Früher oder später muss sich das Land womöglich im Ausland verschulden, was die Zinsen auf neue Staatsanleihen erhöhen dürfte. Auf dieses Szenario hat auch Abenomics bisher keine langfristige Antwort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2014)

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