Bank of England in der Zwickmühle

 London Bridge
London Bridge(c) Reuters
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Die fallende Arbeitslosenrate und das gute Wirtschaftswachstum heben die Stimmung. Aber die positiven Nachrichten verstärken den Druck auf eine baldige Zinserhöhung.

London. Nach der schwersten Krise der Nachkriegszeit macht die britische Wirtschaft dieser Tage wieder mit guten Nachrichten von sich reden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hob in seiner jüngsten Prognose die Vorhersage für Großbritannien für 2014 auf 2,4 Prozent – den höchsten Wert aller führenden europäischen Industriestaaten. Zum Vergleich: Die Eurozone kommt auf schlappe ein Prozent. Unmittelbar darauf meldete die nationale Statistikbehörde den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit in fast 20 Jahren auf 7,1 Prozent.

Auch das Sinken der Inflation auf die Zielmarke von zwei Prozent hat die Zuversicht der Briten in die wirtschaftliche Zukunft gestärkt. Die Regierung reagierte erfreut, aber spürbar zurückhaltend: „Die jüngsten Zahlen zeigen, dass unser Plan funktioniert“, ließ Schatzkanzler George Osborne verkünden. Doch in die Jubelstimmung mischen sich warnende Töne.

Mit den verbesserten makroökonomischen Daten wächst nämlich der Druck auf die Anhebung des Leitzinssatzes, der seit März 2009 auf dem historischen Tief von 0,5 Prozent verharrt. Der neue Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, hat im Vorjahr angekündigt, bei einem Fall der Arbeitslosenrate auf sieben Prozent den Leitzinssatz zu überdenken. Damit war damals frühestens 2015 gerechnet worden. Greift die Notenbank ein, gefährdet sie den Aufschwung. Tut sie nichts (wie allgemein erwartet wird), gefährdet sie ihre Glaubwürdigkeit. Das werden die verunsicherten Märkte bestrafen.

Dazu kommen nicht nur von Regierungskritikern geäußerte ernste Zweifel an der Nachhaltigkeit des neuen Aufschwungs. Das Wachstum wird maßgeblich durch die rasante Zunahme der Investitionen in den Immobiliensektor angeheizt. Dafür verantwortlich zeichnet ein von der Regierung im Vorjahr aufgelegtes Programm („Help to Buy“), das wesentliche Erleichterungen brachte: Für Wohnraum bis zu 600.000 Pfund müssen Erstkäufer nur fünf Prozent des Kaufpreises haben, die Regierung schießt 20 Prozent des Betrages vor.

Kredite fließen wieder

Mit so viel Großzügigkeit gelang es, die Banken nach fünf Jahren fallender Kredite wieder zur Geldausleihung zu bewegen. Der Immobilienmarkt boomt wieder. Aber wie der Chefökonom der Großbank HSBC, Stephen King, warnt: „Irgendetwas ist nicht ganz richtig mit unserem Aufschwung. Die Produktivität hat sich nicht verbessert, und die Firmen expandieren durch billige Arbeitskräfte statt Investitionen.“

Jede Veränderung des Zinssatzes ist aber auch ein eminent politisches Problem. Dessen ist sich die formell unabhängige Notenbank ohne Zweifel bewusst. Während die Briten in den ersten Jahren der Krise ihre Schulden zurückzuzahlen versuchten, geben sie mittlerweile wieder mehr Geld aus als sie einnehmen: Die Sparquote der Haushalte sank zuletzt auf 5,4 Prozent, den tiefsten Stand seit 40 Jahren. Nach einer aktuellen Berechnung der „Resolution Foundation“ können bei einem Anstieg der Zinsen auf drei Prozent rund eine Million Haushalte ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen.

Schon heute sind die Briten „das am meisten verschuldete Volk Europas“, wie der Gewerkschaftsökonom Duncan Weldon sagt. Die Realeinkommen liegen auf dem Stand von 1997. Die privaten Schulden sind höher als die Sparguthaben, und theoretisch hatte zu Jahresende 2013 jeder erwachsene Brite Schulden von 28.489 Pfund. Die Sparer zahlen den Preis dafür, dass sie eine Minderheit geworden sind. Wahlen aber entscheidet die Mehrheit, und dessen ist sich jede Regierung 15 Monate vor der nächsten Parlamentswahl sehr genau bewusst. Auch diese.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2014)

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