Philippinen: Die Magie des Pesos unter dem Tisch

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PHILIPPINES ECONOMYAPA/EPA/FRANCIS R. MALASIG
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Die philippinische Wirtschaft boomt. Aber die allgegenwärtige Korruption ist ein großes Hindernis für den Inselstaat. Ein aktueller Polit-Skandal ist nur die Spitze des Eisberges.

In den vergangenen Monaten avancierte Maria Gracia Pulido Tan zu einem Superstar. Seit die philippinische Rechnungshof-Chefin im August einen Bericht präsentiert hat, der eine jahrelange Korruptionsaffäre zahlreicher Parlamentarier offengelegt hat, tritt sie regelmäßig in Fernsehshows auf, gibt Interviews, nimmt Preise entgegen. Erst in dieser Woche gab sie wieder zu Protokoll: „Wir bereiten eine Klage vor.“ Gegen jene Behörden nämlich, die ohne gesetzliche Grundlage Steuergelder an Politiker überwiesen. Es geht um einen der größten Korruptionsfälle der Geschichte ihres Landes.

Pulido Tan sitzt in einem schicken Hotel, nicht weit von der philippinischen Zentralbank, und schlürft einen schwarzen Kaffee aus edlem Porzellan. „Was mich entsetzt, ist nicht so sehr die Korruption an sich“, sagt sie und verzieht das Gesicht. „Sondern, dass dies mit so einer Unverschämtheit getan wurde. Es wurde nicht einmal versucht, etwas zu vertuschen.“ In den Jahren 2007 bis 2009 allein haben Abgeordnete des südostasiatischen Inselstaats mindestens zehn Milliarden Philippinische Pesos (rund 163 Millionen Euro) veruntreut. Daran sind zumindest rund 200 Parlamentarier des gesamten politischen Spektrums in Form von 772 Projekten beteiligt.

Seit Monaten füllt der Fall die Titelseiten. Längst ist er wieder mindestens so wichtig wie die Wehen des Taifuns Haiyan, der im November rund 6000 Menschen getötet und die Leben mehrerer Millionen Menschen stark beeinträchtigt hat. Denn viele Ökonomen sehen in der grassierenden Korruption im Land eines der großen Hindernisse, das den Philippinen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten den Schritt zu einer wohlhabenden Gesellschaft verwehren könnte. Im Ranking der saubersten Länder der Nichtregierungsorganisation Transparency International belegen die Philippinen nur Rang 94. Im Vorjahr boomte die 90-Millionen-Einwohner-Nation zwar wirtschaftlich, die Wachstumsraten lagen mit mehr als sieben Prozent bisweilen über jenen Chinas und Indiens. Weiterhin lebt aber rund ein Viertel der Bevölkerung in extremer Armut.


Gefühl der Straffreiheit. „Der Korruptionsskandal schmeckt dadurch noch bitterer“, sagt Pulido Tan. Nach philippinischem Recht hatten Abgeordnete bisher Anspruch auf Fördergelder für ihre Kommunen. Nur hat die verantwortliche Behörde auch ohne konkrete Projekte Geld direkt an Politiker ausgezahlt. Teilweise wurden dafür NGOs erfunden, die nie aktiv waren. So kamen die Politiker an Geld, das größtenteils einfach versickert sein dürfte.

Der Skandal könnte aber noch viel weiterreichende Auswirkungen haben. „Schon lange Zeit hat überall in unserer Gesellschaft, aber gerade in den hochrangigen Kreisen, ein Gefühl der Straffreiheit geherrscht“, sagt Pulido Tan. Die Gewissheit, dass schon nichts passiere, wenn man sich mal nicht ans Gesetz hält. „Leider sehen sich bei diesem aktuellen Fall auch die normalen Bürger kaum dazu angehalten, sich noch ans Recht zu halten.“ Viele Menschen sagen nun, dass sie auch keine Steuern zahlen müssen, wenn das Geld ohnehin anders verwendet würde als erwartet.

Wie in vielen anderen Ländern auch ist Korruption in den Philippinen allgegenwärtig. Im ärmeren Stadtviertel San Andrés Bukid, eine halbe Autostunde vom Treffpunkt mit der Rechnungshof-Chefin entfernt, sitzt Florendo Castillo auf einem Hocker in einem Hinterhof und rupft einem Hahn die Federn. Der 67-Jährige züchtet, trainiert und verarztet Hähne. Jeden Morgen veranstaltet er auf seinem Hof Hahnenkämpfe, eines der beliebtesten Hobbys der Filipinos. Da sie aber auf Castillos Hof stattfinden und nicht in einer offiziellen Arena, sind sie illegal. „Jeder weiß, dass sie morgens um halb neun bei mir stattfinden“, sagt er und lächelt.

Damit der zuständige Polizist keine Probleme macht, zahlt ihm Castillo im Monat 3500 Pesos (rund 56 Euro). „Manchmal hält sich die Wache nicht an die Abmachung und sie nehmen mich trotzdem fest. Ich war deshalb schon ungefähr 20-mal im Gefängnis. Und sie machen es nur, damit ich mich freikaufe. Das kostet dann 500 Peso.“ Castillo, ein verschrumpelter, dünner Herr mit grauem Haar, erzählt das mit einem Lächeln. Zu viele Hähne und Kämpfe hat er überlebt, als dass er diese Mechanismen noch hinterfragen würde. „So läuft es eben“, murmelt er noch und schneidet dem Hahn auf seinem Schoß den Kamm ab, um ihn für den nächsten Kampf fitzumachen.

Ähnliche Erfahrungen machte Iris Gonzales. Die mehrfach ausgezeichnete Wirtschaftsjournalistin der Tageszeitung „Philippine Star“ sagt, dass man regelmäßig versuche, sie zu bestechen. Sie sitzt in einem Café in einem Geschäftsviertel in der Nähe der Asiatischen Entwicklungsbank und nimmt einen Zug von ihrer Zigarette. „Bei Pressekonferenzen oder Gruppeninterviews reichen Unternehmensvertreter hin und wieder Umschläge mit Geld rüber. Die versammelte Truppe von Journalisten, die eigentlich in Konkurrenz zueinander stehen, wird dann auf einen Schlag bestochen.“

Es gehöre nicht viel dazu, sagt Gonzales: „Viele Journalisten arbeiten für sehr wenig Geld. Hinzu kommt, dass es auf den Philippinen leider zur Kultur gehört, Leute für alles Mögliche zu entschädigen. Von einer kleinen Zuwendung zu unverblümter Bestechung ist oft nur ein kleiner Schritt.“ Bei einigen Interviews würden ihr 200 Pesos (rund 3,40 Euro) als „Benzingeld“ angeboten, einmal lag nach einem Interview ein Scheck über 5000 Pesos auf dem Tisch. „Ich lehne ab, weil ich mich nicht korrumpieren lasse“, erklärt Gonzales in einem kategorischen Ton. Dass es nicht alle Kollegen so halten, sei ihr aber klar.


Geld für Interviews. Auch im Straßenverkehr bringen einen ein paar zusätzliche Pesos, die unter der Hand gezahlt werden, manchmal weiter. Die Straßen der boomenden Hauptstadt Manila sind derart überfüllt und durch Abgase verschmutzt, dass die Regierung jedes zugelassene Auto nur noch an bestimmten Tagen in der Woche auf die Straßen lässt. „Aber ich lasse mir das nicht verbieten“, erwidert der Taxifahrer Gerardo Sicat. „Ich muss meine Umsätze machen.“ Deshalb bezahlt er die entsprechenden Beamten, damit die nicht so genau hinsehen. Eine alltägliche Sache, fügt er hinzu.

Wie hoch der gesamtwirtschaftliche Schaden ist, weiß niemand. Der Ökonom Emmanuel Esguerra, der in der wirtschaftspolitischen Planungskommission der Regierung sitzt, sieht in der Korruption seines Landes aber eine der größten Wachstumshürden. „Das müssen wir dringend in den Griff bekommen“, sagt er, wiederum in einem Hotel im edlen Stadtteil Makati. „Aber neue Gesetze genügen dafür nicht.“ Ein Mentalitätswandel müsste her, in allen Schichten.

Immerhin hat der Verfassungsgerichtshof schon reagiert: Die sogenannten „Priority Development Assistance Funds“, mit denen die Parlamentarier jahrelang den Fiskus betrogen haben, hat das Hohe Gericht nun für verfassungswidrig erklärt.

„Das ist ein Schritt nach vorn“, sagt Maria Gracia Pulido Tan mit einem Lächeln, lässt ihren Kaffeebecher an die Untertasse klirren. „Genug ist das aber noch lange nicht.“ Und sie gibt zu bedenken: So ganz ohne diese Fonds werden viele der armen Kommunen nun noch weniger Gelder erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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