»Wir nehmen Geld von allen, aber offen«

Peter Eigen, Korruption
Peter Eigen, Korruption(c) Wikipedia
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Man kann den Kampf gegen Korruption auch übertreiben, sagt Peter Eigen, Gründer von Transparency International. Der »Presse am Sonntag« erzählt er, warum die Weltbank sein Engagement gegen Schmiergeld lange verhindern wollte und selbst er schon einmal bestochen hat.

Wir wissen, dass Sie ein leidenschaftlicher Weintrinker sind. Nehmen Sie eine gute Flasche an, wenn Sie Ihnen geschenkt wird?

Peter Eigen: Natürlich. Meine Frau und ich haben kürzlich sogar ein ganzes Fass Wein geschenkt bekommen.

Ist es Ihnen dabei egal, von wem der Wein kommt, oder fühlen Sie sich mitunter auch bestochen?

Es kommt darauf an, ob jemand versucht, mich dadurch zu beeinflussen, um eine Entscheidung zu bekommen. Etwa über den Kauf von Computern für Transparency International. Aber generell finde ich Gastfreundschaft und kleine Gastgeschenke als Teil der Kultur in Ordnung. Vor allem, wenn es gegenseitig ist.

In Österreich wurden im Vorjahr die Antikorruptionsgesetze verschärft. Sponsoren von Kultur- und Sportveranstaltungen klagen seither, dass es nur noch schwer möglich sei, Amtsträger etwa zu den Salzburger Festspielen einzuladen. Geht das in Ihren Augen zu weit?

Öffentliches und transparentes Sponsoring ist sicher wichtig. Aber Karten für die Salzburger Festspiele sind nun einmal sehr teuer. Wenn dann auch noch das Hotel bezahlt wird, kommen rasch Riesenbeträge zusammen. Erhofft man sich dadurch auch noch Vorteile, wird es schnell anrüchig. Das muss man vermeiden. Ich glaube, viele der Unternehmen, die das kritisieren, würden sich freuen, wenn es klare Regeln gäbe. Wenn man sich in den USA mit Regierungsorganisationen trifft, darf man nicht einmal eine Tasse Kaffee bezahlen.

Konkretes Beispiel aus Deutschland: Der frühere deutsche Bundespräsident Christian Wulff wurde von einem befreundeten Filmemacher zum Oktoberfest eingeladen. Die Rechnung betrug 720 Euro. War der Eklat, der zu seinem Rücktritt geführt hat, übertrieben, oder hat er da schon zu viel angenommen?

Ich will mich zum laufenden Verfahren nicht äußern. Aber die 720 Euro für Bier und Würste sind sicher nicht das Entscheidende. Er war damals Ministerpräsident, und in dem Amt muss man eine besondere Sensibilität haben. Da kommt es nicht auf die Höhe an. Wir haben in Deutschland Fälle gehabt, in denen Kassiererinnen im Supermarkt für drei Euro Unterschlagung rausgeflogen sind.

Wo würden Sie persönlich die Grenze zwischen einem erlaubten Geschenk und Korruption ziehen?

Das kann man nicht allgemein sagen. Wenn ich in Kreisen verkehre, wo ein Abendessen 200 Euro kostet, können problemlos hunderte Dollar fließen. Aber manche Dinge sind sehr heikel. Ein Steuerbeamter, der entscheidet, welche Steuererklärungen sich die Finanz genauer anschaut, darf in meinen Augen keinen einzigen Cent annehmen.

Kann man den Kampf gegen Korruption auch übertreiben?

Ja, man kann es auch übertreiben. Deswegen ist es gut, wenn man die Regeln nicht zentral für die ganze Welt aufstellt. Das muss die Zivilgesellschaft in jedem Land für sich entscheiden. Manche NGOs sind da sehr misstrauisch und arbeiten nicht mit Beamten zusammen. Andere sind ganz eng mit der Regierung verbandelt. Das ist genauso falsch. Manche nehmen keinen einzigen Cent von Unternehmen an, weil sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Ich sage: Wir nehmen das Geld von allen. Aber wir machen es offen und transparent.

Konzerne argumentieren oft mit der regional unterschiedlichen Wahrnehmung, was Korruption ist und was nicht. Sie sagen: Wenn ich in diesem Land erfolgreich sein möchte, muss ich schmieren. Stimmt das etwa nicht?

Es gibt schon Unterschiede in den Traditionen verschiedener Gesellschaften. Aber das Argument wird scheinheilig gebraucht. Wenn man in Afrika einen Häuptling besucht, schenkt man ihm etwas Wertvolles. Und zwar öffentlich, damit man ihn ehrt. Aber man eröffnet nicht heimlich Schweizer Bankkonten für ihn. Der Theologe Klaus Küng hat einmal festgestellt, dass in allen Religionen Korruption verboten ist. Es gibt keine Gesellschaft, in der ein Minister Millionen kassieren darf, um falsche Entscheidungen zu treffen. Das ist nirgendwo akzeptiert.

Das zweite Argument vieler europäischen Unternehmen ist immer: Wenn wir nicht bestechen, machen es die Russen, Chinesen, Amerikaner ...

Und die Chinesen sagen dasselbe von uns. Die Deutschen haben es ihren Firmen ja lange sogar erlaubt und Korruption steuerlich abzugsfähig gemacht. Jeder behauptet, die anderen machen alles falsch.

Wer ist stärker in der Pflicht? Der Zahler oder der Nehmer?

Wenn große Unternehmen aus Europa etwa nach Afrika gehen und dort einem jungen Minister mit kleinem Gehalt zehn Millionen Dollar anbieten, ist sicher der Geber in der Verantwortung. Der, der es anbietet, ist der üblere Genosse.

Österreich ist in den vergangenen zwei Jahren im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International von Platz 16 auf 26 abgerutscht. Ist das Land so viel korrupter geworden, oder werden einfach mehr Skandale öffentlich?

Das wissen Sie besser als ich. Das Ergebnis spiegelt den Eindruck wider, den Österreich auf Kenner macht. Die haben den Eindruck, dass Österreich korrupter geworden ist. Ob das stimmt oder nicht, wissen wir nicht. Aber die Einschätzung der tausenden Befragten ist wichtig. Sie entscheiden, ob Unternehmen in Österreich investieren oder lieber in der Schweiz und ob sie Güter aus Österreich kaufen oder lieber aus einem ehrlichen Land wie Finnland kaufen.

Wer ist denn prinzipiell anfälliger für Korruption? Politiker, Unternehmen oder der normale Bürger?

Korruption ist der Missbrauch von anvertrauter Gewalt. Beamte sind daher besonders gefährdet. Aber auch die Einkäufer von großen Firmen. Im Grunde ist aber jeder Mensch anfällig für Korruption. Es kommt ganz darauf an, in welchem System er steckt und arbeitet. Private Werte decken sich leider nicht immer mit dem, was man beruflich macht. Ich bin nicht überzeugt, dass der Einzelne viel Widerstand gegen Korruption mitbringt.

Also hat jeder seinen Preis?

Das ist mir zu übertrieben. Es gibt bestimmt Leute, die integer sind. Aber wenn man bei einer großen Organisation arbeitet und merkt, dass andere Fortschritte machen, weil sie sich gegenseitig helfen, ob man sich da nicht anpasst ...

Sie selbst waren lange in einer großen Organisation, der Weltbank. Welche Rolle hat Korruption dort damals gespielt?

Die meiste Zeit musste ich akzeptieren, dass sich die Weltbank nicht in lokale Angelegenheiten einmischen wollte. Ich habe lediglich dafür gesorgt, dass meine Projekte nicht durch Korruption beeinträchtigt werden. Aber es wurde zunehmend unerträglich. Als ich im Jahr 1988 nach Kenia gegangen bin, wurde mir klar, dass die Weltbank zu stark in die Details eingreift, sich aber nicht kümmert, wenn es um Menschenrechte oder Korruption ging. Afrikanische Intellektuelle haben mir gesagt: Da müsst ihr euch einmischen. Das hat mir imponiert, und ich habe begonnen zu überlegen, wie ich das machen könnte. Die Weltbank hat mir das aber schnell verboten.

Stimmt es, dass Sie damals eigens nach Washington zitiert wurden und Ihnen der damalige Weltbank-Chef gesagt hat, Sie sollen die Finger von der Korruption lassen?

Ich habe ein Telex bekommen von der Rechtsabteilung, die mir das verboten hat. Also habe ich es in meiner Privatzeit gemacht. Dann wurde ich zum Präsidenten geladen. Ich dachte, er wollte sich bei mir bedanken. Aber ich bin gar nicht bis ins Büro gekommen. Die Sekretärin hat mir einfach nur ein einseitiges Memorandum in die Hand gedrückt, in dem stand, dass es inakzeptabel sei, als Weltbank-Direktor so einen Quatsch wie Korruptionsbekämpfung zu machen. Das war für mich letztlich der Grund, von der Weltbank wegzugehen.

1993 haben Sie dann Transparency International gegründet. Hat sich in den 21 Jahren seither etwas gebessert?

Auf jeden Fall. Am wichtigsten war sicher, dass Firmen aus reichen Ländern nicht mehr bestechen dürfen. Auf dieser Basis hat sich auch die Haltung der internationalen Organisationen geändert. Vorher haben die Mitgliedstaaten das verhindert.

Glauben Sie, dass man Transparency International irgendwann nicht mehr brauchen wird?

Ich hoffe es sehr, aber ich fürchte, dass korrupte und kurzsichtige Manager immer neue Wege finden, sich Vorteile zu verschaffen.

Sie waren 25 Jahre lang in Entwicklungsländern unterwegs. Hand aufs Herz, gab es da nie eine Situation, in der Sie selbst bestochen haben?

Nicht in meiner Zeit bei der Weltbank. Aber vorher als Student. Ich war 1963 in Ecuador und bin dort in eine Straßensperre geraten. Damals gab es einen Umsturz, und ich hatte einen Job auf dem Schiff bekommen, um nach Peru weiterzufahren. An der Straßensperre wurde ich aufgehalten, weil es ein Ausgangsverbot gab. Der Taxifahrer brach gegen einen Aufpreis einfach durch die Straßensperre. Die Soldaten sind uns mit dem Jeep nach und haben uns angehalten. Da habe ich einen Zehn-Dollar-Schein in meinen Pass gelegt, und der Soldat hat mich laufen lassen. Der Taxifahrer wurde verhaftet. Das war sicher Bestechung.

Das werden wir aber schreiben.

Da habe ich gar nichts dagegen. Überhaupt bin ich der Meinung, dass der Kampf gegen Korruption sicher nicht das allerhöchste Gut auf der Welt sein kann. Auch ich würde nie zögern, einem KZ-Wächter Geld zu zahlen, um meine Familie rauszuholen.

Geboren
wurde Peter Eigen am 11. Juni 1938 in Augsburg.

1967 bis 1972
war er Anwalt in der Rechtsabteilung der Weltbank in Washington D.C.

1973 bis 1974
war er juristischer Berater der Regierung von Botswana.

1975 bis 1988
arbeitete er als Weltbank-Manager in Westafrika, Lateinamerika und ab 1988 als Direktor der Regionalmission für Ostafrika.

1993
gründete er Transparency International.

Peter Eigen war aufgrund der Veranstaltung Curbing Corruption der International Anti-Corruption Academy und der Österreichischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit in Laxenburg bei Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2014)

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