Russlands Großunternehmer sind wegen des Konflikts mit der Ukraine und mit dem Westen höchst unzufrieden. Aber sie fürchten den Kreml und simulieren daher Loyalität.
Wien. Michail Prochorow hat mit seinen 2,04 Metern Körperlänge nicht nur die Größe eines Basketballers. Der 48-jährige Russe, der von „Forbes“ auf 10,9 Mrd. Dollar Vermögen geschätzt wird, hat in den vergangenen Jahren auch als erster Großunternehmer seit Langem Mut und Fähigkeit bewiesen, eine Oppositionspartei zu führen und den Kreml doch nicht so sehr zu reizen, dass er das eigene Geschäft gefährdet. Dieses reicht von der Rohstoffproduktion über Investmentbanking bis zu Immobilien und Medien. Aus der Parteienarbeit zog sich Prochorow zuletzt zurück, gibt sich wieder mehr als Geschäftsmann. Und sieht sich nun offenbar veranlasst, seine Loyalität zum Kreml zu demonstrieren. Als Form wählte er gestern einen offenen Brief in der Zeitung „Kommersant“. Darin legt er dar, dass er die Realität gewordene Konfrontation zwischen Russland und dem Westen als Herausforderung für die russische Wirtschaft und als Anlass erachtet, „viele, längst akut gewordene Probleme zu lösen und entsprechend die Chance zu einem ernsthaften Sprung zu nutzen“. Alles in allem gehe es um die Suche inländischer Wachstumsquellen und um mehr Immunität gegenüber Sanktionen.
Nur keine Regeln verletzen . . .
Ist vieles in Prochorows Detailanalyse grundsätzlich richtig, so ist sie in der Gesamtheit vor allem politisch korrekt. Und es ist das bislang stärkste Beispiel dafür, wie die Tycoons eine abweichende Position in der Krim- und Ukraine-Frage vermeiden. „Alle Tycoons geben sich jetzt konformistisch, auch wenn sie eine andere Position haben“, sagt Alexej Makarkin vom Moskauer Institut für politische Technologien auf Anfrage: „Sie verstehen, dass sie keinen Einfluss nehmen können und dass Kritik im Kreml als Regelverletzung aufgefasst würde.“ Was passieren könnte? „Im Extremfall könnte man sogar enteignen. Die anderen Tycoons würden sich sofort von ihnen distanzieren, Verständnis von der Gesellschaft gäbe es nicht.“
In der Tat nähert sich das Rating von Kreml-Chef Wladimir Putin dem historischen Maximum. Haben ihm laut Umfrageinstitut Lewada-Centre vor einem Jahr 57 Prozent Vertrauen entgegengebracht, so sind es jetzt 71 Prozent. Und obwohl Soziologen warnen, dass die Patriotismuswelle schnell abflauen kann, wird sich an der Vorsicht der Tycoons nichts ändern.
„Russlands Weg ist dornig und gewunden, und es gibt viele unterschiedliche Bewegungen zurück und nach vorn. Dennoch ist es der Weg, den das Volk geht. Man soll die Situation nicht dramatisieren“, sagte dieser Tage etwa Michail Fridman, den „Forbes“ in seiner neuen Liste gestern als zweitreichsten Russen hinter dem Internetinvestor Alischer Usmanow ausgewiesen hat. Fridmans Statement, das er bei einer Veranstaltung abgab, betraf die Frage nach Russlands Weg generell. Gedeutet wird es aber auch hinsichtlich der aktuellen Situation.
. . . und den Unmut kaschieren
Abgesehen vom internationalen Konflikt wird Russlands Wirtschaft eine lange Stagnation vorausgesagt. Im ersten Quartal schrumpfte sie, vor allem die als Wachstumspfeiler ersehnten Investitionen gingen um 4,8 Prozent zurück.
Regierungsvertreter erachten nicht die westlichen Sanktionen selbst als Problem, sondern die Drohung, sie auszuweiten. Das lastet auch auf den Tycoons: „Sie fürchten die Sanktionen sehr“, sagt Makarkin. „Sie sind es gewohnt, dass sie in die globale Wirtschaft eingebunden sind und Kredite im Westen erhalten.“
Konkret auf den Sanktionslisten gelandet sind bisher ohnehin nur jene „neuen Oligarchen“, die mit Putin aufgestiegen und die Entscheidung wegen der Krim „mit Tränen in den Augen“ quittiert hätten, wie Putin gestern sagte: Sie seien seine „guten Freunde“. Wie Gennadi Timtschenko, mit 15,3 Mrd. Dollar auf Platz sechs der „Forbes“-Liste. Er hat – wie gestern bekannt wurde – nicht nur seine Anteile an den Öltradingunternehmen im Westen abgestoßen, sondern nun auch seine Anteile an einer der größten Holzhandelsfirmen in Schweden. Und seine Frau konnte eine Operation nicht zahlen, sagte Putin: Ihre Kreditkarte sei nämlich blockiert gewesen.
Konformismus
Tycoons. Auch wenn Russlands Großunternehmer unglücklich über Russlands Konflikt mit dem Westen und den wirtschaftlichen Folgen sind, so vermeiden sie doch, Kritik zu äußern. Zu schlecht sind die Erfahrungen, die Ex-Oligarchen wie Michail Chodorkowski gemacht haben, der für seinen Dissens auch ins Gefängnis ging. Wer sich jetzt hervortun will, verschweigt nicht nur seinen Unmut, er zeichnet etwa – wie Michail Prochorow – die westlichen Sanktionen als positiv für Russland.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2014)