CO2-Blase: Die Wette auf den Klimaschock

File photo of the sun seen behind smoke billowing from a chimney of a heating plant in Taiyuan
File photo of the sun seen behind smoke billowing from a chimney of a heating plant in Taiyuan(c) REUTERS (JON WOO)
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Damit das Klima nicht kippt, dürfen wir nur mehr ein Drittel der gesicherten Reserven an Öl, Gas und Kohle verbrennen. Doch die Konzerne bohren eifrig weiter. Platzt die Kohlenstoffblase, droht der Börsenkrach.

Wie sehen Klimahelden aus? Wer rettet den Planeten vor seiner unkontrollierten Erwärmung? Viele besorgte Bürger hoffen auf Politiker, die auf globalen Konferenzen mitreißende Reden schwingen. Oder auf Umweltaktivisten in Strickjacken, die beherzt Bohrtürme stürmen. Insider aber tippen auf eine ganz andere Spezies: smarte Finanzexperten, die in Anzug und Krawatte vor Computerbildschirmen sitzen, Zahlen wälzen und Investoren Angst einjagen.

Die Carbon-Tracker-Initiative hat sich am Themseufer eingemietet. Jenseits des Flusses liegt die City of London. Auf Europas Finanzplatz Nummer eins sind viele der weltgrößten Rohstoffkonzerne gelistet, wie BP, Shell, Anglo oder BHP Billiton. Händler und Fondsmanager machen hier das große Geld mit fossilen Brennstoffen. Grüne Wende? Auf den Dächern der Wolkenkratzer stehen ein paar Solarpaneele fürs gute Image. Klimawandel? Hier reagiert die Realität der Märkte. Kohle macht Kohle, und die Geschäfte laufen wie mit Öl geschmiert.

Ausgerechnet von hier aus verbreitet die kleine Truppe ihre Botschaft. Die Analysten kommen aus der Branche. Sie sprechen eine Sprache, die im Milieu verstanden wird. Keine Wir-haben-die-Welt-nur-geerbt-Poesie, sondern nüchterne BWL-Prosa: diskontierte Cashflows, Fehlinvestitionen, Abwertungsbedarf. Am Anfang, vor drei Jahren, war da nur ein Wort: Carbon Bubble, die Kohlenstoffblase. Und drei Zahlen, die einfach nicht zusammenpassen. Aus ihnen ergibt sich: Wir haben die Wahl zwischen einer Klimakatastrophe oder einer Weltfinanzkrise. Außer es gelingt, aus der Blase kontrolliert die Luft rauszulassen und zugleich die Erderwärmung zu stoppen.

Die erste Zahl ist bekannt: zwei Grad Celsius. Um höchstens so viel, sagt das Gros der Klimaforscher, darf die Temperatur bis 2050 steigen, um die dramatischen Folgen einer raschen Erderwärmung zu vermeiden: Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürme und Übersäuerung der Ozeane. Die Politiker haben in Kopenhagen und Cancún versprochen, dieses Ziel anzustreben. Verbindliches könnte 2015 in Paris folgen. Die Chancen dafür sind nach der Kehrtwende der USA und Chinas etwas gestiegen. Und sie könnten weiter steigen: „Wenn die Lebensumstände unerträglich werden, greifen irgendwann auch die renitentesten Regierungen ein“, ist Emanuel Heisenberg überzeugt. Der Enkel des großen Physikers treibt für den Berliner Thinktank, Stiftung Neue Verantwortung, die Debatte voran. Die zweite Zahl: 900 Gigatonnen. Diese Menge an Kohlendioxid dürfen wir noch durch Verbrennung fossiler Energieträger in die Atmosphäre blasen, wenn wir die Zwei-Grad-Grenze mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent einhalten wollen. Dieses CO2-Budget haben die Analysten von Carbon Tracker errechnet, auf Basis der Modelle der Internationalen Energieagentur (IEA).

Irrt der Markt? Erst die dritte Zahl bereitet Kopfzerbrechen: 2860 Gigatonnen. So viel CO2 steckt in den nachgewiesenen Reserven an Erdöl, Erdgas und Kohle. Sie gehören Staaten oder privaten Energiekonzernen, die sich ihr Kapital an den Börsen holen. Die Menge ist über dreimal so hoch wie das gerade noch klimaverträgliche CO2-Budget. Wird sie zur Gänze verbrannt, sagt Heisenberg, „steuern wir kerzengerade auf weit über vier Grad zu – auf den Kollaps“. Aber die Konzerne scheint das nicht zu beeindrucken: Sie explorieren eifrig weiter. Das kostet sie jährlich fast 700 Mrd. Dollar. Die Blase bläht sich also weiter auf.

Was passiert, wenn sie platzt? Dass Reserven nachgewiesen sind, bedeutet auch: Sie stehen in den Büchern. An der Börse bestimmen die ungehobenen Schätze den Marktwert mit. Das zeigte sich etwa, als Shell 2004 sie buchhalterisch um ein Fünftel reduzieren musste. Der Kurs brach um zehn Prozent ein, der Energiemulti war plötzlich um 4,4 Mrd. Euro weniger wert. Nun geht es aber um andere Dimensionen: Nach der Logik von Carbon Tracker sind die Reserven um zwei Drittel überbewertet. Die Großbank HSBC schätzt: Müssen die Konzerne so massiv abwerten, bricht ihre Börsenwert um 40 bis 60 Prozent ein.

Die Folgen dürften kaum auf die Branche beschränkt bleiben. Im britischen Aktienindex FTSE haben Rohstoff- und Bergbaufirmen ein Gewicht von etwa einem Drittel. Kracht die Branche, wäre sie wohl nur das Epizentrum eines globalen Erdbebens. Die britische Notenbank hat die Gefahr im Visier. Und Standard & Poor's entwirft Szenarien, nach denen fossile Energiekonzerne im Rating abstürzen.

Die Analysten und Händler aber zucken mit den Schultern. Die einfache, beruhigende Erklärung dafür wäre: Sie wissen es besser. Die Blase ist ein Hirngespinst. Oder der nette Versuch von Öko-Fuzzis, über aufgeschreckte Investoren ein wenig Druck auf die Energiemultis auszuüben. Freilich: An die vollkommene Information auf den Märkten glauben seit der Finanzkrise nicht mehr viele. Man kann die Gelassenheit aber auch als Wette deuten: darauf, dass die Politik keine scharfen Maßnahmen beschließt. Die so zahl- wie zahnlosen Klimagipfel legen nahe, dass diese Wette wenig riskant ist. Heisenberg aber sieht voraus: „Der heutige Energiemix wird durch seine Folgekosten so ineffizient, dass an einer hohen, weltweiten CO2-Steuer kein Weg vorbeiführt.“ Sobald der Markt damit ernsthaft rechnet, droht eine Panikreaktion: Alle wollen zugleich ihre BP- und Rio-Tinto-Aktien loswerden. Aus den Wertpapieren werden rasend schnell Papiere ohne Wert.

Diese Aussicht macht Investoren nervös. So sahen sich Exxon Mobil und Shell unlängst gezwungen, ihre Aktionäre in ausführlichen Stellungnahmen zu beruhigen. Auf die Erderwärmung und ihre Folgen lassen sie sich nicht ein; das sei Aufgabe der Klimaforscher. Dafür zeigen sie eindrücklich, wie unersättlich der Hunger der Schwellenländer nach Energie ist. Sollten die reichen Staaten diese Nachzügler durch strenge CO2-Regimes einbremsen, würden schwere Unruhen drohen. Umweltschützer und Energieanbieter reden also aneinander vorbei: Die einen warnen vor Naturkatastrophen, die anderen vor sozialen Konflikten.

Doch Shell sieht im Konzept der Carbon Bubble auch „grundsätzliche Mängel“. Beide Konzerne beteuern, dass sie intern hohe Folgekosten einkalkulieren: das Zehnfache des aktuellem Preises für CO2-Zertifikate. Das zeigt aber nur, wie groß die Margen bei den Projekten immer noch sind.

Fokus auf Staaten. Zwei Einwände haben Gewicht. Der erste: In den Büchern der Konzerne reichen die Öl- und Gasreserven nur für zehn bis 15 Jahre. Eine wichtige Kennzahl setzt neue Reserven eines Jahres in Bezug zur Produktion. Liegt diese Erneuerungsrate unter 100 Prozent, läuten bei Analysten die Alarmglocken: Die Firma lebt von der Substanz. Ihr bleibt also nichts anderes übrig, als auf Teufel komm raus weiter zu explorieren.

Das legt nahe, eher auf Staaten und staatsnahe Firmen zu hoffen, die mit 73 Prozent das Gros der Reserven halten. Sie haben tendenziell weniger Marktdruck, sie komplett und rasch zu verfeuern. Der zweite Einwand: Dass die Konzerne nicht weit vorausdenken, liegt auch daran, wie der Markt sie bewertet. Während Investoren bei jungen Technologiefirmen auf hohe Gewinne in fernerer Zukunft hoffen, zählen bei Rohstofftiteln die Cashflows auf kurze Sicht. Was erst in 20 Jahren passiert, fällt durch die starke Abzinsung kaum ins Gewicht. Damit können Blasen-Skeptiker elegant auf die neutrale IEA verweisen: Beim optimistischen Zwei-Grad-Szenario der Energieagentur geht zwar der Anteil von Öl, Gas und Kohle am Energiemix bis 2035 deutlich zurück. Weil aber der Gesamtbedarf steigt, sinkt der fossile Konsum absolut nur um elf Prozent – keine Größenordnung, die Investoren heute zu sorgen braucht. Ergo: Es gibt keine Blase.

Grüne Revolution. Freilich: Nach 2035 fällt der fossile Anteil im IAE-Pfad steil ab. Muss er auch, denn nach 2050 soll ja fast gar kein CO2 mehr in die Atmosphäre gelangen. Das Dilemma der IAE: Ihre Szenarien sollen dem Stand der Klimaforschung entsprechen, aber realistisch bleiben. Und realistisch ist, dass sich der Energiemix in den nächsten 20 Jahren nicht großartig ändert. So verschiebt sich die Wende nach hinten. Rascher, glaubt auch die IEA, sei sie ohnehin nicht leistbar. Heisenbergs Fazit: „Die Spin-Doktoren der Öl- und Gaskonzerne reichen uns Schlaftabletten und die IEA trägt dass Kissen hinterher.“ Shell will sich noch mehr Zeit lassen: Bis 2050 werde sich wenig tun. Umbrüche brauchten eben Zeit, das zeige die Geschichte. Verzichten könnten wir auf fossile Quellen erst Ende des Jahrhunderts. Was bis dahin mit dem Klima passiert? Schulterzucken.

Viel versprechen sich Shell und Exxon jedenfalls (im Gegensatz zu Carbon Tracker) von der Kohlenstoffspeicherung – wohl auch deshalb, weil sie bei dieser Technologie tüchtig mitmischen. Das Potenzial für Strom aus Sonne und Wind halten sie hingegen für schon bald ausgereizt. Was Heisenberg nicht wundert: „Wir setzen viel zu wenig auf die Möglichkeiten einer Technologierevolution durch erneuerbare Energien. Und wenn die nicht massiv gewollt und gefördert wird, tritt sie auch nicht schnell ein.“ Dennoch bleibt sie seine letzte, große Hoffnung: „Die Erfindung des Internets hat eine Tech-Spirale in Gang gesetzt, die die Welt in 20 Jahren verändert hat. Und so wird es auch mit der Revolution der sauberen Energie sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

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