Öl: Putins mutmaßliche Schatulle

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Man redet wenig über ihn, weil er nichts preisgibt. Dabei hätte der Ölkonzern Surgutneftegaz viel zu sagen: etwa, wem er gehört. Und wozu er 23 Milliarden Euro auf der hohen Kante hat.

Wien. Als „fischreiches Gebiet“ bezeichneten die Ureinwohner des westsibirischen Tieflands die einst kleine Siedlung am Fluss Ob, 2200 Kilometer nordöstlich von Moskau. „Surgut“ in ihrer Sprache, also „fischreiches Gebiet“, heißt die jetzige Stadt noch heute. Neben den Fischen tummeln sich hier im Sommer vor allem Stechmücken über der aufgetauten Taiga. Wirklich reich ist die Gegend aber an einer anderen Ressource: an Erdöl.

Seit Jahrzehnten fördert es der gleichnamige Ölkonzern Surgutneftegaz. Und ist damit hinter der staatlichen Rosneft und dem privaten Branchenzweiten Lukoil zum drittgrößten Ölkonzern im weltweit größten Förderland avanciert. 61,5 Millionen Tonnen Erdöl hat Surgutneftegaz im Vorjahr gewonnen, sprich 11,7 Prozent der russischen Ölproduktion. 279 Mrd. Rubel (5,97 Mrd. Euro) hat das Unternehmen damit verdient. Der Umsatz lag bei 837 Mrd. Rubel.

Alles zusammen also weiter nicht auffällig, wären da nicht die großen Rätsel, die über dem Konzern mit seinen 115.000 Mitarbeitern schweben. Das größte: Wem gehört der börsenotierte Laden eigentlich? Aufschluss darüber gibt er selbst nicht. Die Besitzverhältnisse hat er hinter einem undurchsichtigen Geflecht an Gesellschaften versteckt. Wladimir Bogdanow, der das Unternehmen 1984, also neun Jahre vor seiner Privatisierung, übernommen hat und bis heute leitet, hat zuletzt vor zwölf Jahren gesagt, dass bis zu 70 Prozent der Anteile vom Management und dessen Verbündeten gehalten werden.

Seltsame Veränderungen

Zur Transparenz trug das wenig bei, zumal sich Surgutneftegaz immer weigerte, einen Finanzbericht vorzulegen, und dies erst tat, als im Vorjahr neue Vorschriften dazu zwangen. Das verwirrte freilich noch mehr. Plötzlich nämlich zeigte sich, dass der Anteil der Aktien, der im Konzernbesitz steht, sich von zuvor 40 Prozent auf unter einen Prozent reduziert hat, obwohl sich am Gesamtbestand der Aktien nichts geändert hat. Da half auch nicht, dass Kreml-Chef Wladimir Putin sagte, viele Aktien würden von Angestellten gehalten.

Ob Putin ablenken wollte? Möglich. Zumindest, wenn man dem russischen Politologen Stanislav Belkowski Glauben schenkt, der vor einigen Jahren behauptete, Putin kontrolliere 37 Prozent an Surgutneftegaz. Auch wenn der Kreml dies immer als Märchen hingestellt hat, die Mutmaßungen bestehen. Dies umso mehr, als auch der riesige Ölhändler Gunvor seine Gründung der Nähe zu Surgutneftegaz verdankt. Gunvor stand bis vor Kurzem zur Hälfte im Besitz von Gennadi Timtschenko, der als engster Putin-Vertrauter auf der US-Sanktionsliste gelandet ist.

Unsummen an Liquidität

Die Verschlossenheit ist nicht der einzige Grund, warum Surgutneftegaz verblüfft. Der zweite Grund sind die hohen Finanzreserven. Im Report 2012 trat ein nicht gebundenes Finanzguthaben (Cash und Bankdepositen) von über 20 Mrd. Euro zutage – so viel wie bei keinem einzigen Energiekonzern der Welt. Seither ist der Betrag auf 23,5 Mrd. Euro gestiegen, wobei sich die Summe auffälligerweise mit dem Aktienkurs verändert hat. Alles auf Sparsamkeit zurückzuführen, wie es Bogdanow macht, überzeugt nicht. Mit Investitionsplänen lässt es sich auch nicht erklären. Surgutneftegaz nämlich hegt so wenige Zukaufspläne wie niemand. Die einzige ausländische Akquisition erfolgte 2009, als Surgutneftegaz von der OMV 21,2 Prozent am ungarischen Ölkonzern MOL kaufte, von Ungarn zwei Jahre später aber zum Verkauf der Anteile an die MOL gezwungen wurde.

Immerhin ist Surgutneftegaz in Russland bei der Erkundung neuer Lagerstätten als Ersatz für die versiegenden führend, da der Konzern mehr als ein Viertel aller Erkundungsbohrungen ausführt. Und gleich wie bei den anderen Konzernen wird die Erschließung ostsibirischer Felder nahe China gerade jetzt immer mehr zur Priorität.

Im Übrigen bedient der Konzern seine Aktionäre recht fürstlich. Vor allem bei Vorzugsaktien beträgt die Dividendenrendite über acht Prozent, was Rekord innerhalb der Branche in Russland bedeutet. Wer freilich die größten Nutznießer sind, bleibt ein Rätsel, dessen Lösung man nur im Kreml und in der „fischreichen Gegend“ der Taiga kennt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2014)

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