EU schnürt umfangreiches Krisenpaket

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Neue Bilanzregeln für Banken und Staatsgarantien für Interbankkredite schon im November.

wien (ju/eid/ag).Die EU arbeitet offenbar intensiv an einem gemeinsamen Programm zur Bewältigung der Finanzkrise – und will die wichtigsten Punkte daraus noch im Oktober beschließen und im November in Kraft setzen. Frankreichs Präsident Sarkozy kündigte am Donnerstag schon „für die nächsten Stunden“ konkrete Ergebnisse an. Der EU-Gipfel in der kommenden Woche soll sich dann mit dem Programm auseinandersetzen.

Über die von Vizekanzler Wilhelm Molterer am Mittwoch angekündigten staatlichen Garantien für Interbankkredite (in Österreich soll die Kontrollbank als Clearingstelle dienen) scheint schon weitgehend Einigung zu herrschen. Auch Großbritannien, das bisher bei der Koordination der Krisenabwehr öfter ausgeschert ist, tritt vehement für diesen Plan ein.

Staatliche Garantien für Kredite von Banken an Banken könnten eines der derzeit größten Probleme beseitigen: Dass nämlich Banken einander wegen der herrschenden Unsicherheit kaum Geld borgen.

Ernst wird es auch mit neuen Bilanzierungsregeln: Auch die sollen so rasch in Kraft treten, dass sie für das letzte Quartal dieses Jahres schon gelten. In der EU wird der IFRS-Bilanzierungsmethode, die die USA weltweit durchgesetzt haben, Mitschuld an der Misere gegeben. Diese Bilanzierungsregeln führen dazu, dass die Gewinne der Unternehmen im Aufschwung stark übertrieben dargestellt werden. Im Abschwung müssen dagegen hohe Abwertungen vorgenommen werden, was die Unternehmen schlechter dastehen lässt, als sie tatsächlich aufgestellt sind.

Steuerexperte Karl Bruckner befürchtet in diesem Zusammenhang für 2008 massive Firmenwertabschreibungen, die die Bilanzen mancher Unternehmen blutrot färben könnten. Betroffen seien Firmen, die in der Hochkonjunktur kräftig akquiriert haben und dabei einen hohen „Goodwill“ in die eigene Bilanz gebracht haben. Sollte sich der bisher angesetzte Firmenwert angesichts der Krise verflüchtigt haben, muss er nach IFRS-Regeln in einem Schritt auf null abgeschrieben werden.

„Nach dem Unternehmensgesetzbuch (UGB) hätte eine Firma 15 Jahre Zeit, die Firmenwerte abzuschreiben, nach IFRS müssen sie sofort abgeschrieben werden, wenn sie nicht werthaltig sind“, erläuterte Bruckner am Donnerstag im Klub der Wirtschaftspublizisten.

Einen weiteren wunden Punkt von IFRS sieht Bruckner in der Stichtagsbewertung. Ist etwa eine Aktie zum 31.12. nur 16 Euro wert, muss sie so in die Bilanz eingestellt werden, auch wenn sie mittelfristig das Doppelte wert ist. Mit der Stichtagsbewertung kämen „sämtliche Schwankungen in extremer Form“ in die Bilanzen, sagte Bruckner.

Lockerung nur für Banken

Während Bruckner meint, dass die IFRS-Regeln für alle Unternehmen gelockert werden sollten, bastelt die EU derzeit nur an einer Lockerung für die Banken. EU-Binnenmarktkommissar Charlie Mc Creevy hat die nationalen Aufsichtsbehörden in der EU aufgefordert, den Banken umgehend die Bilanzierung von Finanzderivaten zum Anschaffungswert zu erlauben.

Befassen wollen sich die Regierungschefs bei ihrem Gipfel auch mit dem Thema „Gier“: Den teilweise im mehrstelligen Millionenbereich angesiedelten Abfertigungen von Managern sollen Grenzen gesetzt werden. Die tatsächliche Leistung müsse sich stärker in den Gagen widerspiegeln, heißt es in einem Vorbereitungspapier für den Gipfel.

Die Regierungschefs wollen über ein System nachdenken, das nicht, wie jetzt, kurzfristige Gewinnziele extrem in den Vordergrund rückt und Manager damit verleitet, zur Erreichung dieser Ziele unnötig hohe Risken einzugehen.

Banken-Verstaatlichung in den USA?

Unterdessen werden in den USA Überlegungen für weitere Bankenverstaatlichungen laut. Finanzminister Henry Paulson sagte in Washington, das jüngst verabschiedete Rettungspaket über 700 Mrd. Dollar gebe ihm die Möglichkeit, auf verschiedene Weise Geld ins System zu pumpen. Falls nötig, könne sich die Regierung im Gegenzug zu Finanzhilfen auch Beteiligungen im Bankensektor sichern.

Der US-Finanzminister wollte nicht sagen, ob es dazu schon konkrete Pläne gebe, Nach Angaben der „New York Times“ findet die „direkte Kapitalisierung“, also die Teilverstaatlichung wackelnder Banken zunehmend Anhänger in der Regierung und an der Wall Street. Der Hintergrund: Sollten sich die Banken erholen, könnte die Öffentliche Hand nach dem Wiederausstieg hohe Verkaufserlöse lukrieren und damit einen Teil der Staatshilfen aus dem Markt zurück holen.

AUF EINEN BLICK

Ein Krisenbewältigungspaket wollen die EU-Regierungschefs noch im Oktober schnüren und im November in Kraft setzen. Vorgesehen sind unter anderem Staatsgarantien für Interbanken-Kredite und neue Bilanzierungsregeln für Banken. Bei der Gelegenheit sollen gleich auch die Entlohnungssysteme für Bankmanager neu geregelt werden.

Die USA überlegen unterdessen, Banken systematisch über vorübergehende Teilverstaatlichung zu retten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2008)

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