Die Bankenrettung kostet die USA inflationsbereinigt dreimal so viel wie der gesamte Zweite Weltkrieg – die Rezession wird „tiefer und länger“ als angenommen.
WIEN (ju). „Wir haben eine extreme Krise – und die Staaten haben extreme Gegenmaßnahmen gesetzt“, sagt Fondsmanager Michael Sieghart von der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS. Das kann man wohl sagen: Allein die Kosten des US-Bankenrettungspakets summieren sich laut DWS unterdessen auf 9100 Mrd. Dollar oder 60 Prozent des amerikanischen BIPs, wovon bereits 2800 Mrd. Dollar „abgerufen“ worden sind.
Um welche Summen es da wirklich geht, zeigt ein von den Deutschbankern angestellter Vergleich: Inflationsbereinigt hat der gesamte Zweite Weltkrieg die USA 3600 Mrd. Dollar, also „nur“ etwas mehr als ein Drittel der derzeitigen Finanzkrise gekostet. Selbst wenn man die neun folgenden größten Ausgabenbrocken in der Geschichte der USA (von den Kriegen im Irak, in Vietnam und in Korea über das gesamte Nasa-Weltraumprogramm bis zu den Kosten der Wirtschaftskrise 1930) inflationsbereinigt zusammenzählt, kommen (siehe Grafik) „nur“ 7410 Mrd. Dollar zusammen.
In Europa wird vergleichsweise gekleckert: In der gesamten Eurozone geben die Staaten für Kapitalinfusionen und Kreditgarantien rund 1650 Mrd. Euro aus, was knapp 20Prozent des BIPs entspricht. Ein „Ausreißer“ ist hier das krisengeschüttelte Irland, dessen Kreditgarantien für Banken 200 Prozent des BIPs ausmachen.
Trotz dieses „extremen“ Rettungsprogramms werden die Industriestaaten um eine „schwere und lange Rezession“ wohl nicht herumkommen. DWS rechnet offiziell mit einem BIP-Rückgang von 1,6 Prozent in den USA und 1,3 Prozent in der Eurozone im kommenden Jahr. Diese Vorschau dürfte aber deutlich zu optimistisch sein, denn in den vergangenen Wochen habe sich die Konjunktur „in einer Weise eingetrübt, wie man das noch nicht gesehen hat“, meint Sieghart. In einigen Branche gebe es „Herzstillstand“, Auftragseingänge seien praktisch zum Erliegen gekommen. Es sei deshalb derzeit „ein bisschen frivol“, Konjunkturprognosen in konkrete Zahlen zu kleiden.
Geldkreislauf weiter „verstopft“
Mit der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre sei die Lage trotzdem nicht zu vergleichen: Damals sei das BIP um fast ein Viertel geschrumpft. So dick werde es jetzt nicht kommen. Allerdings sei mit einer „deutlich schärferen und längeren Rezession als angenommen“ zu rechnen.
Das Hauptproblem, nämlich die „Verstopfung“ des Geldkreislaufs, ist noch lange nicht behoben. Die Notenbanken haben zwar unglaublich viel Geld in den Bankenkreislauf gepumpt, aber die Geldinstitute stecken dieses Geld nicht in Kredite für die Wirtschaft, sondern legen es wieder bei den Notenbanken an. Die Bankeneinlagen bei der amerikanischen Fed sind seit August dieses Jahres von rund 20 auf fast 600 Mrd. Dollar hochgeschnellt, die Einlagen der Euroland-Banken bei der EZB schossen von nahe Null auf mehr als 200 Mrd. Euro hoch. Erst wenn dieser Knoten „entwirrt“ sei, werde auch die Realwirtschaft wieder funktionieren. Das könne aber noch dauern.
Was heißt das für Anleger? Sieghart rät Privaten, vorerst zurückhaltend zu sein. Von Banken und Finanzwerten solle man überhaupt die Finger lassen, solange die Situation noch so unübersichtlich sei. Zumal dort auch die Bilanzen „geschönt“ seien: Schulden (Anleihen) würden zu den derzeit niedrigen Marktwerten bilanziert, obwohl sie ja zu 100 Prozent getilgt werden müssen. Das verbessert beispielsweise die Bilanz der beiden Schweizer Großbanken um zusammen nicht weniger als acht Mrd. Euro.
Mittelfristig seien die Anlageregionen Asien und USA sowie die Branchen Telekom, Pharma, Öl und Versicherungen attraktiv, schlecht schaue es dagegen für die Anlageregion Großbritannien sowie für Bankaktien und zyklische Konsumwerte aus.
Dass die Wiener Börse viel stärker als andere „geprügelt“ worden sei, hänge nicht nur mit der verflogenen Ostfantasie zusammen: Hier hätten, so DWS-Österreich-Chefin Marion Schaflechner, auch die durch Meinl und Immofinanz ausgelösten unschönen Vorgänge im Immobilienbereich für heftige Verunsicherung gesorgt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2008)