Welthandel: Der Protektionismus triumphiert in aller Stille

(c) EPA (Qilai Shen)
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Während Politiker noch den freien Handel predigen, schotten viele Länder ihre Wirtschaft immer mehr ab.

Wien. In den letzten Tagen hatten die Sonntagsredner für den freien Welthandel wieder große Auftritte. Laut und einhellig war der Aufschrei über die „Buy American“-Klausel im US-Konjunkturpaket. Sie sah vor, dass bei staatlich geförderten Infrastrukturprojekten nur amerikanischer Stahl zum Einsatz kommen darf.

Mehr brauchte es nicht. Die europäische Konkurrenz drängte die EU-Kommission zu einer Klage bei der Welthandelsorganisation (WTO). Chinas Premier Wen Jiabao warnte vor einer neuen Welle des Protektionismus. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel griff zum Hörer, um Barack Obama zur Räson zu bringen. Mit Erfolg: Der US-Präsident stoppte die Klausel.

Ein Sieg für den Freihandel? Wohl eher nur eine Verschnaufpause. Ein weltweiter Handelskrieg ist vorerst abgesagt. Doch auch wenn sich die Staatsspitzen auf dem G20-Treffen in Washington und dem Weltwirtschaftsforum in Davos feierlich zur internationalen Arbeitsteilung bekennen, ist der Protektionismus de facto längst wieder zurück. Er kommt auf leisen Sohlen, durch die Hintertür der Staatshilfen, Konjunkturpakete und der Geldpolitik.

So verdichten sich die Anzeichen, dass die im Herbst teilverstaatlichte Bank of Scotland im Auftrag der Regierung bevorzugt britische Hauskäufer und Unternehmen mit Krediten versorgt – und ausländische Firmenkunden immer öfter leer ausgehen.

Subventionen statt Zölle

Das klassische, plumpe Instrument der Protektionisten waren Zölle. Nur noch wenige Staaten – wie etwa Russland oder die Ukraine – setzen sie aktiv zum Schutz der nationalen Wirtschaft ein. Doch auch die neue, subtilere Waffe der Subventionen erfüllt oft den gleichen Zweck: Sie verzerren den Wettbewerb zugunsten heimischer Anbieter.

EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer-Boel will unter dem Druck der Bauern die Exporthilfe für Milchprodukte wieder einführen, die Brüssel erst vor zwei Jahren abgeschafft hatte. Griechenland schützt seine Landwirte mit einer halben Milliarde Euro vor dem Preisdruck auf den Weltmärkten. Auch China subventioniert tausende Exportgüter. Zudem gilt der Yuan immer noch als unterbewertet, und vor Kurzem hat Peking seine Aufwertung gegenüber dem Dollar ganz gestoppt. Ein künstlich schwacher Yuan aber stärkt Chinas Exporteure.

Doch auch die allgegenwärtigen Hilfspakete stehen unter Verdacht. Nicht immer immer lässt sich der protektionistische Wille so leicht nachweisen wie bei „Buy American“ – oder bei den Schweden, die ihre Milliardenhilfe für Volvo an die Auflage banden, dass der Autobauer ein neues Modell zu Hause statt in Belgien produziert.

Höchste Zeit für Doha-Runde

Die größte Gefahr sehen viele Ökonomen jedoch ausgerechnet im Regelwerk der WTO, die zum Schutz des Freihandels gegründet wurde. Es erlaubt vielen Schwellenländern weit höhere Zölle, als sie heute anwenden. Brasilien könnte seine Importabgaben ungestraft von 13 auf 30 Prozent anheben. Ähnliches gilt für Argentinien, Mexiko, Indien und Indonesien. Das einzige Mittel dagegen ist die Doha-Welthandelsrunde. Sie plant, die aktuell gültigen Sätze als neue Maximalwerte einzufrieren. Doch die Zeit drängt, und an einen baldigen Abschluss glauben nur noch wenige Optimisten.

WTO-Chef Pascal Lamy fürchtet bereits, in seinem Kampf bald ziemlich allein dazustehen. Denn seine Organisation kann nur dann einschreiten, wenn ein Land ein anderes verklagt. Ist aber kein Land mehr frei von Schuld, könnten sich alle hüten, den ersten Stein zu werfen und damit Gegenklagen zu provozieren.

Nun erhalten die Neo-Protektionisten auch noch höchsten akademischen Sanktus. Nobelpreisträger Paul Krugman verteidigte in seinem Blog in der New York Times die „Buy American“-Klausel. Noch schütteln die meisten Ökonomen darüber ungläubig den Kopf. Doch das Dogma wankt, und damit wächst die Gefahr, dass Politiker in aller Welt die kapitalen Fehler von 1930 wiederholen.

Damals hatte ein von den USA angezettelter Handelskrieg die Weltwirtschaft aus einer Krise in die Große Depression katapultiert. Für WTO-Chef Lamy gilt die daraus gezogene Lehre heute wie eh und je: „Wenn wir nach dem Motto Auge um Auge verfahren, sind wir am Ende alle blind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2009)

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