Deutschland: "Die Kinderarmut ist beschämend"

Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen(c) AP (Michael Sohn)
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Die deutsche Familienministerin von der Leyen hat den aktuellen Familienreport vorgestellt. Sie sieht zwar Fortschritte, die Armut unter Alleinerziehenden bleibt jedoch hoch, die Geburtenrate niedrig.

Trotz Fortschritten in den vergangenen Jahren ist die Lage für viele Eltern in Deutschland weiter extrem schwierig. So können 660.000 Alleinerziehende mit einer Million Kinder nur mit Hartz IV überleben, wie die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen am Montag mitteilte. "Die Kinderarmut ist beschämend", räumte sie bei der Vorstellung des "Familienreports 2009" ein. Auch die Geburtenrate ist weiter viel zu niedrig, um das Schrumpfen der Bevölkerung zu bremsen.

Die Rate stieg zwar seit 2004 leicht an, von 1,33 auf 1,37 Kinder pro Frau. Doch sind mindestens 1,6 Kinder pro Frau nötig, um Sterbefälle auszugleichen, wie der Soziologe Hans Bertram sagte. Einige Wissenschaftler setzten sogar eine Rate von 2,1 Kindern an. In Frankreich, wo seit 1980 familienpolitisch gegengesteuert werde, liege die Rate aktuell bei 1,9. Wann ein solcher Wert in Deutschland erreicht werden könnte, sei nicht vorherzusagen, sagte Bertram. Zum Vergleich: Nach einer Schätzung von Eurostat hatte in der EU im Vorjahr nur Deutschland eine geringere Geburtenrate als Österreich (8,2 bzw. 9,2 Promille; Zahl der Lebendgeburten pro Jahr je 1.000 Einwohner).

Unklar ist nach den Worten Bertrams auch, wie sich die dramatische Wirtschaftskrise auf die Entscheidung von Paaren auswirkt, ein Kind zu bekommen. Generell sei ausschlaggebend, ob die künftigen Eltern eine Perspektive für sich sähen. Bertram betonte aber, dass der Staat mit einer verlässlichen Familienpolitik Paaren einen Teil der Unsicherheit nehmen könne.

Ministerin sieht positive Trends

Von der Leyen verwies in ihrem Report auf einige positive Trends, die sie zum Teil auf Erfolge der Familienpolitik zurückführte. So schätzt das Statistische Bundesamt die Gesamtzahl der Geburten 2008 auf bis zu 690.000. Das wären rund 5.000 mehr als 2007, als es bereits einen Zuwachs um 12.000 gegeben hatte. Auch die Zahl der Männer und Frauen mit Kinderwunsch sei hoch. Drei Viertel der Teilnehmer einer Umfrage gäben an, ihnen sei Familie wichtig.

Insgesamt müsse Familienpolitik gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise Priorität bleiben, verlangte die Ressortchefin: "Das ist keine Schönwetterpolitik." Langfristig könne der Ausbau von Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und von frühkindlicher Bildung das Land krisenfester machen. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft könne nachhaltige Familienpolitik das Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozentpunkte steigern und "fiskalische Effekte" von bis zu 70 Milliarden Euro im Jahr bewirken. Familienbezogene Leistungen für Geringverdiener stabilisierten zudem die Kaufkraft.

Experten bewerteten die Erkenntnisse aus dem neuen Familienreport zurückhaltend. Der Anstieg der Geburtenrate sei "kein Grund zur Euphorie", sagte die Familiensoziologin Uta Meier-Gräwe, die von der Leyen berät, im MDR. Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und das Zukunftsforum Familie kritisierten, solange drei Millionen Kinder in Armut lebten und jedes Jahr 80.000 Jugendliche ohne Schulabschluss blieben, seien die familienpolitischen Ziele nicht erreicht.Das Deutsche Rote Kreuz forderte kostenlose Mittagessen für Schulkinder in Ganztagsschulen.

Die Linke erklärte, wenn im Report über 70 Prozent der Befragten für bessere Unterstützung des Staats für Familien seien, so sei dies "ein Armutszeugnis für die Bundesregierung". Die Regierungsparteien SPD und CSU zogen hingegen ein positives Resümee. Deutschland habe "eine Trendwende geschafft", meinte die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär.

(Ag.)

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