EZB-Bankenaufsicht: Der Interessenkonflikt ist programmiert

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Die Europäische Zentralbank hat die Macht über die 120 wichtigsten Banken der Eurozone übernommen. Es ist der wichtigste Integrationsschritt seit Einführung der Gemeinschaftswährung.

Wien. Das Babylon der Banker heißt Frankfurt am Main. Am Dienstag hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Aufsicht über die 120 wichtigsten Kreditinstitute der Währungsunion übernommen. Unter den 1000 neuen Mitarbeitern sind nicht wenige Übersetzer. Denn so manche Bank macht vom EU-Recht Gebrauch, sich nicht auf Englisch, sondern in der Landessprache mit der europäischen Behörde auszutauschen. Auch von den acht österreichischen Instituten bleiben zwei lieber beim gewohnten Deutsch: die Raiffeisenbanken von Nieder- und Oberösterreich.

Doch die babylonische Sprachverwirrung ist noch eine der kleineren Herausforderungen für die neue Super-Kontrollinstanz. Viel gewagter ist die Doppelrolle der EZB als Geldpolitiker und Aufseher. Der Interessenkonflikt ist programmiert: Als Zentralbank muss sie wegen der trüben Konjunktur wollen, dass die Geschäftsbanken mehr Kredite vergeben. Als Bankenaufsicht muss sie die gleichen Institute drängen, ihre Risken abzubauen. Gefällt werden die großen Entscheidungen zwar in getrennten Treffen, aber die Personen sind dieselben: die EZB-Ratsmitglieder, denen nun zwei Herzen in einer Brust schlagen sollten.

Wie kam es zu der heiklen Konstruktion? Am Anfang stand die Lehre aus der Eurokrise. In Irland und Spanien hatten die Aufseher beide Augen zugedrückt, als heimische Banken in Schieflage gerieten. So kam es zum Plan, große Institute, die auch meist länderübergreifend agieren, gemeinschaftlich zu kontrollieren. Europas Nettozahler im Norden forderten: Erst wenn die Aufsicht steht, darf der Abwicklungsmechanismus folgen und dürfen Banken mit Mitteln aus dem ESM gerettet werden. Aber wer sollte die Aufsicht übernehmen? Theoretisch prädestiniert schien die eben erst gegründete Europäische Bankenaufsicht (EBA). Aber die Londoner Behörde hatte sich mit ihrem allzu laschen Stresstest von 2011 diskreditiert (sie gibt nur noch allgemeine Regeln vor). Um eine neue Einheit aufzubauen, hätte man die EU-Verträge ändern müssen, was politisch kaum durchsetzbar war. Die Zeit drängte. Auf die Schnelle bot sich die EZB mit ihrem Know-how an: Niemand kennt die Geschäftsbanken der Eurozone so gut wie die Notenbank, die sie täglich mit Geld versorgt. Den Interessenkonflikt nahmen die Staats- und Regierungschefs zur Not in Kauf.

Von „Ausländern“ kontrolliert

Immerhin: Auf den unteren Ebenen ist die neue Organisation deutlich unabhängiger von patriotischer Rücksichtnahme. Zwar prüfen auch weiterhin nationale Aufseher, wie in Österreich die Finanzmarktaufsicht (FMA) und die Nationalbank. Aber an der Spitze jedes Teams, das für eine systemrelevante Bank gebildet wird, steht ein Vertreter der EZB, der aus einem anderen Land kommt als die Bank selbst. So kontrolliert etwa künftig eine Französin die Deutsche Bank. Im Supervisory Board kommen Vertreter aller nationalen Behörden zusammen. Dass sie so auch über das Schicksal fremder Banken mitentscheiden dürfen, soll sie über ihre teilweise Entmachtung hinwegtrösten. Die Hoheit behalten sie für 6000 kleinere Banken, die aber nur 15 Prozent der Bilanzsummen auf sich vereinen (in Österreich bleiben ihnen wegen der vielen kleinen Sparkassen und Genossenschaftsbanken mehr, nämlich 550 Institute oder 40 Prozent des Vermögens).
Aber auch für die „Kleinen“ gibt die EZB nun die Richtlinien vor und kann im Notfall jederzeit selbst die Kontrolle übernehmen. Und wenn es um wirklich viel geht, wie Sanktionen gegen eine Großbank oder gar ihre Abwicklung, hat eben Mario Draghis Runde im EZB-Rat das letzte Wort.

Dass sich in Österreich FMA und OeNB die Aufsicht teilen, macht die Abstimmung mit Frankfurt noch komplexer. Das gemischte System gibt es sonst nur in Deutschland, Finnland und vier kleineren Eurostaaten. In Deutschland führte das neue Regime zu Streit und Machtkämpfen. Denn die Bundesbank verliert weiter an Einfluss, weil die EZB nur einen stimmberechtigten Ansprechpartner pro Land akzeptiert – im deutschen Fall die Aufsichtsbehörde BaFin.
Hierzulande gab sich die OeNB damit zufrieden, dass ihr Oberaufseher, Andreas Ittner, seinen FMA-Kollegen, Helmut Ettl, nach Frankfurt begleiten darf – eine österreichische Lösung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2014)

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