"Das Herz von Opel hat aufgehört zu schlagen"

A banner reading 'We were Opel employees with heart and soul' is seen in front of the Opel plant on its final day of production in Bochum
A banner reading 'We were Opel employees with heart and soul' is seen in front of the Opel plant on its final day of production in Bochum REUTERS
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Nach 52 Jahren rollte in Bochum am Freitag der letzte Opel-Wagen vom Band. Mit der Werkschließung endet ein einstiges Vorzeigeprojekt.

Mit einem dunkelgrauen Opel Zafira sind am Freitag gegen 00.30 Uhr 52 Jahre Bochumer Industriegeschichte zu Ende gegangen. Der Familienvan war der letzte Wagen auf der Produktionslinie des Opel-Werkes im Ruhrgebiet - danach werden die Anlagen demontiert und teils nach Rüsselsheim gebracht, verkauft oder verschrottet. Der Autobauer, der seit Jahren unter Überkapazitäten leidet und 2016 endlich wieder schwarze Zahlen schreiben will, schließt sein Bochumer Werk - ein gravierender Einschnitt für die Region, aber auch für Opel.

"Das Herz von Opel hat aufgehört zu schlagen", sagte ein langjähriger Beschäftigter. Die Firmenzentrale in Rüsselsheim als Gehirn, aber Bochum als Herz - so sehen es die Bochumer Opelaner. Für Montag ist nur noch eine letzte Betriebsversammlung im Werk ist geplant. Am nächsten Freitag (12.12.) geben die meisten Opelaner Werkskleidung und Ausweis ab, berichtet der Betriebsrat.

Im Schnitt über 20 Jahre am Band

Mehr als 20.000 Menschen haben in der Ruhrgebietsstadt einst Opel-Fahrzeuge montiert. Kadett und Manta, Astra und später der Familienwagen Zafira - die millionenfach verkauften Wagen sind Teil der Mobilisierung Deutschlands. Die Bochumer Opelaner sind im Schnitt 50 Jahre alt und über 20 Jahre am Band oder im Betrieb. Ihre Vermittlungschancen auf einem Ruhr-Arbeitsmarkt mit ohnehin überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit sehen Fachleute trotz guter Ausbildung und zweijähriger Transfergesellschaft mit großer Skepsis.

700 Arbeitsplätze bleiben - garantiert zunächst bis 2020 - in Bochum im zentralen Ersatzteillager von Opel. Das Lager läuft aber nicht mehr unter dem Opel-Logo, sondern wird vom Partnerunternehmen Neovia betrieben. Rund 2.700 Menschen landen in der Transfergesellschaft.

Bochum 1965
Bochum 1965Imago

Einstiges Vorzeigeprojekt

Mit der Werksschließung endet ein einstiges Vorzeigeprojekt des Strukturwandels an der Ruhr. Das Werk war auf früherem Bergbaugelände errichtet worden, als im Revier das Zechensterben begann. Es beschäftigte nach der Eröffnung 1962 aus dem Stand rund 10.000 Menschen - viele davon arbeitslos gewordene Kumpel.

Mit erfolgreichen Automodellen wie Kadett und Manta wuchs die Mitarbeiterzahl schnell auf rund 20.000. Qualitätsmängel, Fehler in der Modellpolitik und die immer schärfere Konkurrenz ließen seit den 90er Jahren aber den Opel-Marktanteil in Deutschland und damit die Bochumer Beschäftigtenzahlen zusammenschmelzen.

Überlebenskampf begann vor zehn Jahren

Spätestens seit 2004, als Opel die Motorenproduktion in Bochum beendete, begann in dem Ruhrgebietswerk der Überlebenskampf. Die Mitarbeiterzahl lag damals wieder bei den rund 10.000 vom Beginn und schrumpfte weiter. 2009 entging Opel nur um ein Haar der Insolvenz. Damals ahnten wohl viele, dass das Bochumer Werk keine Zukunft mehr haben würde. "Opel musste wegen der Überkapazitäten auch nach der Schließung von Antwerpen 2010 noch ein Werk in Europa herausnehmen", sagt Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer. Das ebenfalls bedrohte britische Werk Ellesmere Port habe dann geschickter verhandelt als Bochum - die Entscheidung fiel gegen das Ruhrgebiet.

A protestor holds on a placard during a workers meeting at the Opel plant in Bochum
A protestor holds on a placard during a workers meeting at the Opel plant in BochumReuters

Ein Sanierungstarifvertrag sollte die Schließung der Bochumer Produktion mit - aus heutiger Sicht - relativ großzügigen Angeboten wie der Fortsetzung der Produktion bis 2016 abfedern. Aber die Bochumer Beschäftigten trauten ihrer Konzernführung nicht. Sie lehnten den Vertrag als einziges deutsches Werk im Frühjahr 2013 mit großer Mehrheit ab.

Die Werksschließung konnten sie damit nicht verhindern. Rund 550 Millionen Euro zahlt der Autokonzern nach Gewerkschaftsangaben nun für die Jobbörse und Abfindungen in Bochum. Im Schnitt bekommt jeder Mitarbeiter nach Gewerkschaftsberechnung rund 125.000 Euro, die aber versteuert werden müssen.

"Perspektive 2022" gesucht

Wenn die Autoproduktion endet, soll das riesige Werksgelände in innenstadtnaher Lage nicht zur Industrieruine werden wie so viele andere Anlagen an der Ruhr. Die neu gegründete Entwicklungsgesellschaft "Perspektive 2022", an der die Stadt und Opel beteiligt sind, will zunächst rund 70 Hektar Werksgelände aufbereiten und neuen Investoren anbieten. Dafür seien zunächst acht Jahre und 50 Millionen Euro Entwicklungskosten einkalkuliert, sagt "Perspektive"-Geschäftsführer Rolf Heyer.

Vieles wird abgerissen. Die Arbeitsplätze der Zukunft entstünden danach nicht mehr in einem großen, sondern in einer bunten Palette von 50, 70 oder 100 kleineren Unternehmen, sagt Heyer. Geworben werde vor allem um Gewerbebetriebe mit Metallbezug, aber auch IT-Firmen seien denkbar. Die Post hat bereits angekündigt, 2016 ein Paketzentrum mit bis zu 600 Tarifarbeitsplätzen zu errichten.

Verwaltungsgebäude unter Denkmalschutz

Ein Zeugnis der einst blühenden Autofabrik könnte dauerhaft stehenbleiben: Das tausendfach fotografierte Bochumer Opel-Verwaltungsgebäude am Werk I mit dem gewaltigen Opel-Schriftzug auf dem Dach ist vor kurzem vom zuständigen Landschaftverband vorläufig unter Denkmalschutz gestellt worden.

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(APA/dpa)

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