Die Ökonomie der Zuwanderung

Weiterbildung für Migranten
Weiterbildung für Migranten(c) Teresa Zötl
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Kosten Migranten mehr, als sie bringen? Diese Frage wird immer stärker auch unter Ökonomen diskutiert. Eine Antwort ist dabei klar: Langfristig ist der Bildungsaufstieg entscheidend.

Es ist wohl die Gretchenfrage an vielen Stammtischen: „Überwiegen bei der Zuwanderung die Kosten oder der Nutzen für die angestammte Bevölkerung?“ Denn obwohl es bei dem Thema auch um viele soziokulturelle Faktoren wie die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit (oder -bereitschaft) einer Gesellschaft sowie der neu ins Land kommenden Zuwanderer geht, ist es unter dem Strich vor allem der finanzielle Aspekt, der die Menschen interessiert. „Sie leben ja auf unsere Kosten“, lautet ein häufig geäußerter Vorwurf, der nicht zuletzt aufgrund der Pegida-Demonstrationen in Deutschland zurzeit für heftige Diskussionen sorgt.

So hat sich Anfang der Woche auch der populäre Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, mit einem heftig umstrittenen Beitrag in der „FAZ“ zu Wort gemeldet. Wie berichtet ging es in der Folge vor allem um die Frage, ob Kosten für nicht direkt zurechenbare staatliche Aufgaben wie Straßenbau oder Polizei – der sogenannte Staatsverbrauch – den Nettosteuer- und Abgabenzahlungen (also nach Abzug von sozialen Transferleistungen) der einzelnen Migranten gegenübergestellt werden sollten oder nicht.

Eine Frage, die für die ökonomische Bewertung der Migration eigentlich nicht wesentlich sei, sagt Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zur „Presse am Sonntag“. An der medialen Aufarbeitung einer von ihm verfassten Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung – wonach jeder Migrant dem Staat im Jahr 2012 im Schnitt 3300 Euro Gewinn brachte – hatten sich der Furor von Hans-Werner Sinn und die darauf folgenden Gegenreaktionen entzündet.

Rechnet man nämlich wie von Sinn gefordert den Staatsverbrauch der Nettoabgabenleistung gegen, ergäbe sich zwar für Migranten ein negativer Wert von 1800 Euro. Dieser Wert wäre aber auch für Deutsche negativ, und zwar in Höhe von 1100 Euro. Denn die Deutschen brächten im Schnitt eine Positivleistung von 4000 Euro, so die Studie. Und der Staatsverbrauch ist sowohl bei Deutschen als auch bei Migranten gleich hoch. Entscheidend sei daher nicht der absolute Nettoabgabenbeitrag der Migranten, sondern das Verhältnis zu jenem der Deutschen, so Bonin.


Altersstruktur. Um dieses zu ermitteln, machten die Ökonomen eine einfache Gegenrechnung von gezahlten Steuern und Abgaben auf der einen Seite sowie erhaltenen Leistungen wie Gesundheitsversorgung, Sozialtransfers, Ausbildungskosten und Pensionen auf der anderen Seite. Dabei zeigte sich, dass sowohl Deutsche als auch in Deutschland lebende Migranten für den Staat bis zum Eintritt ins Erwerbsleben mit Anfang 20 mehr Kosten verursachen. Dann steigt die Abgabenleistung zuerst einmal rasant an und verhält sich in weiterer Folge halbkreisförmig, erreicht bei einem Alter von etwa 45 Jahren den Höchststand, um bei Pensionsantritt wieder in den negativen Bereich zu fallen. Migranten kommen knapp fünf Jahre später in den positiven Bereich und fallen etwa fünf Jahre früher wieder aus diesem heraus, zudem liegt ihr höchster Beitrag mit etwa 10.000 Euro unter jenem der Deutschen mit 17.000 Euro. Dafür kommen sie den Staat in der Pension merklich billiger.

Entscheidend für das nur geringfügig schlechtere Ergebnis als das der Deutschen ist jedoch, dass sie „Vorteile in der Altersstruktur“ haben. In Relation befinden sich also viel mehr Zuwanderer im arbeitsfähigen Alter als in der angestammten Bevölkerung. Daher liegt ihr Nettobeitrag mit 3300 Euro nur um 17,5 Prozent niedriger als jener der Deutschen mit 4000.

Doch was geschieht in Zukunft, wenn auch bei den Migranten der Anteil der Pensionisten anwächst, wie es bei der angestammten Bevölkerung bereits geschehen ist? Um dies zu ermitteln, errechneten die Studienautoren sogenannte Generationenkonten, bei denen für jeden Jahrgang die zukünftig zu erwartenden Leistungen und Zahlungen auf den aktuellen Barwert abgezinst wurden. Auch hier ergibt sich für die Migranten ein in Summe positives Bild: Bezogen auf den aktuellen Altersschnitt werden sie pro Kopf 22.300 Euro mehr einzahlen, als sie an direkten Leistungen erhalten. In Relation zu den Deutschen fällt der Wert jedoch deutlich niedriger aus: Diese werden – obwohl sie im Schnitt bereits deutlich älter sind, also weniger Erwerbsjahre vor sich haben – pro Kopf 88.500 Euro beitragen, etwa das Vierfache. „Die 700 Euro Differenz sehen auf den ersten Blick nicht nach viel aus, auf das gesamte Leben gerechnet kommt aber einiges zusammen“, sagt Bonin.

Würden Migranten dieselben altersspezifischen Beiträge leisten wie ihre deutschen Pendants, würden sie – aufgrund der vorteilhafteren Altersstruktur – sogar 156.800 Euro pro Kopf an künftigen Leistungen bringen, so die Studie. Entscheidend sei daher, die Bildung und somit die Erwerbsfähigkeit vor allem bei den Nachkommen der Zuwanderer zu heben. Denn bei diesen fällt der Altersvorteil gegenüber der angestammten Bevölkerung ja weg. Die Folge: Bleiben Zuwandererkinder auf dem niedrigen durchschnittlichen Bildungsniveau der Elterngeneration, ergibt sich für sie sogar ein negativer Wert von 44.100 Euro über die gesamte Lebenszeit. Andere Studien würden jedoch zeigen, dass 40 Prozent der Zuwandererkinder bereits eine höhere Bildung erreichen als ihre Eltern.

Hierzulande gibt es eine ähnliche Untersuchung nur aus dem Jahr 2005. In dieser wurden die Werte allerdings nur für einzelne Jahrgänge, nicht aber für die durchschnittliche Altersstruktur der Gruppe berechnet, dafür aber nach Geschlecht aufgeschlüsselt. Bei männlichen Neugeborenen zeigte sich auch das Bild, dass die für die Lebenszeit erwartete Nettoleistung mit 58.300Euro bei Österreichern über jener von Migranten mit 19.700 Euro liegt. Bei weiblichen Neugeborenen drehte sich das Bild jedoch in zweierlei Hinsicht. So rutschen sowohl Österreicherinnen als auch Migrantinnen aufgrund der geringeren Lohnsteuer- und Sozialversicherungsleistung (Stichwort unbezahlte Hausarbeit) bei früherem Pensionsantritt in den negativen Bereich. Töchter von Zuwanderinnen konnten in Summe einen Transferüberschuss von 22.700 Euro erwarten, Österreicherinnen gar einen von 52.600 Euro.

Zahlen

3300Euro zahlen in Deutschland lebende Ausländer im Schnitt mehr an Abgaben, als sie an Leistungen erhalten.

4000Euro beträgt dieser Wert im Schnitt für Deutsche.

4Mal so hoch (88.500Euro verglichen mit 22.300Euro) wird der Beitrag der Deutschen jedoch, wenn man die gesamten zukünftigen Leistungen zusammenrechnet. Derzeit profitiert die Gruppe der Ausländer nämlich noch davon, dass überproportional viele im erwerbsfähigen Alter sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2015)

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