Mehr Alte: Japans Windelbranche denkt um

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Japan ist das erste Land, in dem die Branche mehr Geld mit Inkontinenz verdient als mit Babywindeln.

Tokio. Mao Dohi hat einen untypischen Job. Ihre Aufgabe ist es, die Neuigkeiten ihres Arbeitgebers der Öffentlichkeit positiv zu präsentieren. Keine leichte Angelegenheit in einem Land, dessen Märkte seit 20 Jahren kaum gewachsen sind. Aber dem Unternehmen der PR-Frau ist es in den letzten Jahren ganz anders ergangen. Dohis Arbeitgeber Unicharm ist ein führender Windelhersteller.

Dabei waren es nicht bloß die Wachstumsmärkte Südostasiens, in denen mehr Kinder mit Windeln versorgt werden müssen. Die wichtigsten Erfolge verzeichnet Unicharm auf dem Heimatmarkt. Japan ist das erste Land, in dem die Branche mehr Geld mit Erwachsenenwindeln verdient als mit Produkten für kleine Kinder.

Der Marktforscher Euromonitor International geht für die nächsten drei Jahre von einem Absatzwachstum von 25 Prozent aus. Raten, von denen andere Branchen nur träumen können. Schließlich schrumpft die Bevölkerung seit 2005, viele Unternehmen orientieren sich lieber auf Länder, in denen es künftig nicht weniger, sondern mehr Konsumenten geben wird.

„Aber das gilt ja auch für uns“, sagt Mao Dohi. Denn: Fast ein Viertel der japanischen Bevölkerung ist schon heute 65 Jahre alt oder älter. In den nächsten 40 Jahren soll der Anteil der alten Menschen auf 40 Prozent anwachsen. Mit dieser Kundengruppe erzielen Unicharm und sein Konkurrent Daio Paper ihre Haupterlöse. Mit einem Umsatz von 1,7 Mrd. US-Dollar pro Jahr ist Japan der weltweit größte Erwachsenenwindelmarkt, das entspricht einem Viertel des Weltmarktes – und eine Windel kostet zwischen 15 und 160 Yen (0,1 bis 1,08 Euro).

Mehr Pflege zu Hause

„Wir haben als Erste Windeln und Einlagen in einem hergestellt“, sagt Mao Dohi. Diese Innovationen haben Unicharm zum Marktführer in Asien und der Nummer drei weltweit gemacht. „Bisher ist auch der Markt für Babywindeln gewachsen“, sagt Dohi. „Aber langfristig schauen wir auf das Geschäft mit der Überalterung.“
Babywindeln verlieren an Bedeutung, eine Entwicklung, die sich im Land von Unicharm und Daio Paper seit Langem abgezeichnet hat. Japans Babyboom nach dem Zweiten Weltkrieg war viel kurzlebiger als anderswo. Er dauerte nur von 1946 bis 1949, danach fiel die Geburtenrate rasant und deutlich ab. Und die Nachkriegsgeneration geht langsam in den Ruhestand.

In Japan gibt es aber noch einen anderen Grund für den Boom der Alterswindeln. Vor zwei Jahren verabschiedete das Parlament eine Gesundheitsreform, die vorsieht, dass pflegebedürftige Menschen die meisten Behandlungen in ihrem Heim statt im Krankenhaus erhalten. Sonst würden die Kosten für den ohnehin hoch verschuldeten Staat noch weiter ansteigen. Im selben Jahr nahmen die Umsätze von Windeln für „leichte Inkontinenz“ gleich um ein Zehntel zu.
„Der Zukunft blicken wir optimistisch entgegen“, sagt Mao Dohi. Die demografischen Analysen geben ihr recht. Euromonitor International prognostiziert, dass sich auch in Deutschland ab 2025 mehr Erwachsenen- als Kinderwindeln verkaufen werden.

Großbritannien und die Vereinigten Staaten würden wegen höherer Geburtenraten ein Jahrzehnt später folgen. Auch in Österreich werden in den kommenden 20 Jahren noch die Babywindeln den Markt dominieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2015)

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