Peter Winzer: "Ich wäre sehr gern nach Wien gegangen"

(c) Clemens Fabry
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Der Österreicher Peter Winzer forscht an immer schnelleren Kabeln für das Internet - in den USA. In Österreich fehlten Geld und Wille für Spitzenforschung.

Sie wurden in Österreich ausgebildet, arbeiten aber in den USA, sind also sozusagen der personifizierte Braindrain. Wie ist es dazu gekommen?

Peter Winzer: Ich bin im Jahr 2000 hergekommen, um Auslandserfahrung zu sammeln. Damals war ich 27, Assistent an der TU Wien und hatte auch immer eine akademische Karriere in Österreich im Auge. Ich sollte für 15 Monate hierbleiben. Dann ist an der ETH in Zürich eine Stelle frei geworden für eine Professur. Ich habe mich beworben, war Erstgereihter, und die Gespräche sind auch gut gelaufen. Aber die ETH musste die Stelle dann wegen plötzlicher Geldprobleme streichen. Danach war es schwer, wieder auf eine Assistentenstelle zurückzukehren. Eine Professur an der TU war nicht frei. Das hat sich erst später ergeben.

Wann?

2008 habe ich mich bei der TU beworben – und war auch da Erstgereihter. Der damalige Rektor hat mir aber ein Angebot gestellt, das so schlecht war! Es war einfach inakzeptabel, eine ziemlich indiskutable Einstellung der TU: von der Laborausstattung übers Gehalt bis hin zur Attraktivität des Standortes.

Muss es nicht zumindest die Ambition einer öffentlichen Uni sein, auch bei der Anwerbung von Spitzenleuten mitzuhalten?

Es müsste und sollte so sein, aber ich habe das leider nicht so erlebt. Der ganze Prozess war für mich sehr enttäuschend. Ich wäre sehr gern nach Wien zurückgegangen. Aber es ist leider so, dass in Österreich oft noch immer das Gießkannenprinzip herrscht und Qualität nicht wirklich bevorzugt gefördert wird. Schade, denn die Ausbildung für die Studenten ist an der TU eigentlich top.

Würden Sie immer noch zurückkommen?

Ja, sehr gern. Aber es wird halt immer schwieriger. Meine älteste Tochter ist inzwischen 14. Aber Österreich bedeutet mir nach wie vor sehr viel. Vor zwei Monaten habe ich ein E-Mail an die Rektorin der TU geschrieben. Die machen gerade eine Initiative „TU Wien im Jahr 2025“. Ich habe eine kurze Nachricht geschrieben und gesagt, sie sollen mich doch kontaktieren, wenn sie die Meinung von im Ausland wissenschaftlich erfolgreich tätigen TU-Absolventen interessiert. Aber bis jetzt habe ich nichts gehört.

Gibt es in Österreich oder in Mitteleuropa keine Möglichkeiten, in der kommerziellen Forschung zu arbeiten?

Im Kommunikations- und Hightech-Bereich gibt es in Österreich sehr wenig. Im Maschinenbau mag das anders aussehen, das weiß ich nicht. Aber für Leute, die in der Kommunikationstechnik an der vordersten Front arbeiten, gibt es sehr wenig, was attraktiv ist.

Was kann der Staat machen, um das zu fördern? Steuerliche Maßnahmen?

Es geht darum, wirklich wichtige Firmen davon zu überzeugen, Spitzenforschung nach Österreich zu bringen. Und zwar nicht das, was viele Firmen als Forschung bezeichnen, wir hier aber Entwicklung nennen. Forscher sind bei uns dazu da, Innovation an der Speerspitze zu machen, Papers zu schreiben und Patente anzumelden. Da geht es darum, ganz neue Bereiche aufzubrechen. Bei der Entwicklung geht es aber darum, Produkte zu entwickeln.

Wie viele Patente haben Sie angemeldet? Und auf welche sind Sie besonders stolz?

Angemeldet über 80, bisher erteilt bekommen habe ich so um die 50. Meine letzten Lieblingspatente sind solche, bei denen es um eine ganz neuartige Methode geht, mehr Kapazität über Glasfaserkabel zu übertragen. Anfang der 1990er-Jahre wurde in einer Faser nur eine Wellenlänge übertragen. Das kann man vergleichen mit einer Straße, die nur eine Spur hat. Dann wurde das sogenannte Wavelength-Division-Multiplexing erfunden – auch hier bei den Bell Labs. Seitdem kann man mehrere Farben gleichzeitig über die Faser übertragen. Sozusagen eine Straße mit mehreren Spuren, auf der parallel mehrere Autos fahren können.

Damit ich das richtig verstehe: Wir reden von der Verbesserung bestehender Kabel?

Ja, das ist dieselbe Faser, so breit wie ein Haar. Und über diese Faser können Sie heute hundert verschiedene Farben schicken. Jede Farbe hat 100 bis 200 Gigabit pro Sekunde. Das ist der Stand der Technik. Aber man weiß eben – und das haben auch wir ausgerechnet –, dass die Kapazität auf diesen Glasfasern zu Ende geht. Man kann nicht noch mehr Farben gleichzeitig übertragen, die Spuren nicht noch enger machen.

Bisher hat man geglaubt, das unendlich ausweiten zu können?

Es hat ausgesehen, als ob es unendlich wäre, ja. Wenn man so will, waren um die Straßen nur Felder zu sehen und die Ausbaumöglichkeiten scheinbar endlos. Aber in Wahrheit sind sie fast zu Ende, das haben wir errechnet. Die Produkte, die wir heute anbieten, sind im Wesentlichen ausgereift. Die kann man vielleicht noch um den Faktor zwei oder drei verbessern. Aber man muss das mit dem Verkehr im Netz vergleichen. Der wächst bis zu 60 Prozent pro Jahr. Genau da haken meine letzten Patente ein.

Heißt das, wir brauchen neue Kabel?

Nicht unbedingt. In einem Kabel sind ja mehrere Fasern – zwischen zehn und 1000. Jetzt geht es darum, intelligente Systeme zu bauen, die mehrere Fasern gleichzeitig verwenden. Oder Fasern zu verwenden, in denen mehrere Signale derselben Farbe gleichzeitig laufen können. Wie bei einer Brücke mit mehreren Ebenen von mehrspurigen Straßen, für Autos, Busse und Fahrräder. Das ist die letzte Dimension. Hier versuchen wir, alles rauszuholen.

Aber dann braucht es irgendwann tatsächlich neuartige Kabel?

Ja, wenn keine Kabel vorhanden sind oder diese ausgereizt wurden, muss man neue installieren. Und da muss man sich überlegen, ob man viele der alten Fasern verlegt oder vielleicht nur zehn von einer neuen Sorte, die vielleicht die gleiche Kapazität schaffen wie 1000 von der alten Sorte.

Der Datenverkehr explodiert. Was ist dafür vor allem verantwortlich?

Von der Applikation her ist das sicher die Videoverbreitung. Die Killer-Applikation ist Real-Time-Video. Panasonic hat vor ein paar Jahren die Life-Wall vorgestellt. Da ist die ganze Wand eines Wohnzimmers ein riesengroßer High-Definition-Video-Screen. Die Idee ist, sich virtuell ins Wohnzimmer einer anderen Familie zu projizieren. Ob man das will oder nicht? Da werden wir nicht gefragt, unsere Kinder werden das machen. Es hat uns auch niemand gefragt, ob wir mit dem iPhone herumlaufen wollen. Aber stellen Sie sich den Datenaufwand vor, um eine ganze Wand an High-Definition-Video in Echtzeit zu übertragen.

Ich werde also eines Tages im Wohnzimmer sitzen, mit einem Bildschirm statt der Wand, und kann mit Freunden ein Spiel spielen? Das klingt eigentlich ganz gut. Aber da muss ich dann als Konsument sehr viel Geld für sehr schnelles Internet zahlen, oder?

Genau darum geht es. Ihre Kosten dürfen nicht steigen. Das ist ganz wichtig. Und das war bisher auch so, bei Computern und auch bei der Handyrechnung. Wir haben im Wesentlichen immer dasselbe bezahlt und immer mehr dafür bekommen. Das Service wird besser. Mittlerweile verschicken wir Bilder und surfen am Handy im Internet. Vor zehn Jahren war das nicht so.

Zurück zu den Kabeln: Wie weit sind Sie bei den zusätzlichen Ebenen in den Fasern?

Wir haben 2008 damit angefangen. Seitdem hat es sich zu einem riesigen Gebiet entwickelt. Wir wissen, welche Konzepte funktionieren und welche nicht. Das Ganze ist aber keine Produktentwicklung. Jetzt sehen wir uns gerade an, welche Vereinfachungen des Konzepts sich am besten in ein Produkt verwandeln lassen. Und das ist genau diese Schnittstelle zwischen Forschung und Entwicklung. Zuerst haben wir hochfliegende Forschungsideen, probieren Konzepte aus, die wir dann runterdestillieren, damit es wirklich zu einem erfolgreichen Produkt werden kann. Damit haben wir bei Bell Labs lange Erfahrung. Und das ist genau der Unterschied zu universitärer Forschung. Wir haben den unmittelbaren Konnex zur Industrie. Das heißt nicht, dass wir keine Forschung machen. Aber wir wissen immer, warum wir etwas machen. Die guten akademischen Forscher wissen das auch. Aber viele weniger gute verwenden die Ausrede der Freiheit der Forschung, um zu kaschieren, dass sie nicht wissen, warum sie in eine bestimmte Richtung forschen.

Was ist der nächste entscheidende Schritt? iPhone und Apps haben alles verändert, aber galten vor der Einführung als unvorstellbar.

Die Videowand ist nur eine von vielen Möglichkeiten, wie es weitergehen kann. Solche Sachen kann man nicht voraussagen. Und man wird es immer weniger können, weil immer mehr auf Software basiert, die ohne große Hardwareinvestition überall auf der Welt gemacht werden kann. Jeder Teenager in Afrika, der irgendwie ins Internet kommt, hat die Möglichkeit, Kurse des MIT zu „besuchen“. Und dann was draus zu machen. Bildung auf höchstem Niveau kommt durch das Internet einer derart breiten Schicht zugute, dass die Konsequenzen bei der Innovation unvorhersehbar sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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