Erlass: Vergib uns unsere Schuld(en)

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Ein neuer Schuldenerlass für Griechenland gilt nur mehr als Frage der Zeit. Diese Entlastung mag viele Gläubiger verärgern, gehört aber schon seit der Antike zur regelmäßigen Praxis.

Alle sieben Jahre sollst du ein Erlassjahr halten. So soll's zugehen mit dem Erlassjahr: Wenn einer seinem Nächsten etwas geborgt hat, der soll's ihm erlassen und soll's nicht eintreiben von seinem Nächsten oder von seinem Bruder; denn man hat ein Erlassjahr ausgerufen dem Herrn.“

Bereits das fünfte Buch Mose (15, 1–2) des Alten Testaments findet ihn an prominenter Stelle – den Schuldenerlass. So wie an jedem siebenten Tag den Israeliten das Arbeiten verboten war, so sollten sie auch alle sieben Jahre die Schulden erlassen und die in Schuldknechtschaft geratenen Mitbürger freilassen.

Es wäre also eine seit Jahrtausenden geübte Praxis, wenn in den kommenden Monaten passiert, was viele Experten nur mehr für eine Frage der Zeit halten: ein neuerlicher Schuldenschnitt für Griechenland. Denn es scheint klar, dass das Land seine Staatsverschuldung von zuletzt 175,5 Prozent des BIPs nicht aus eigener Kraft zurückzahlen wird können. Auch wenn dieser Schritt viele Gläubiger – zu großen Teilen die Steuerzahler der anderen Euroländer – ordentlich verärgern dürfte.

Gottes Wille. Die Gläubigen unter ihnen können sich zumindest damit trösten, dass so ohnehin nur der Wille Gottes erfüllt wird – gleich, welcher Religion man angehört. Denn nicht nur im Alten Testament, das als Thora das heilige Buch der Juden ist, findet sich der Wunsch nach Vergabe der Schulden, auch in den heiligen Schriften der beiden großen monotheistischen Religionen. Etwa im Vaterunser, dem einzigen Gebet, das laut Neuem Testament Jesus selbst seinen Jüngern beigebracht hat in folgender Passage: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“

Und auch im Koran, in dem laut islamischem Glauben 600 Jahre später die Worte Allahs an den Propheten Mohammed offenbart wurden, heißt es in der Sure 2:280: „Wenn jemand in Zahlungsschwierigkeiten ist, so übt Nachsicht, bis es ihm leicht fällt. Erlasst ihr ihm die Schuld aber als Almosen, so ist es für euch besser, wenn ihr nur wüsstet.“

Doch auch abseits dieser religiösen Schriften wurde der Schuldenerlass im Altertum als finanziell reinigender Schnitt für Gesellschaften gesehen. Das historisch bedeutsamste Gesetz dazu stammt just aus Griechenland. Dort verabschiedete der Athener Staatsmann Solon (638–558 v. Christi Geburt) die sogenannte „Seisachtheia“, was mit „Abschütteln der Bedrückungen“ übersetzt werden kann. Die bis dahin gültigen Gesetze, wonach Schuldner und deren Familien bei Nichtbezahlen ihrer Rückstände zu Sklaven der Gläubiger wurden, hatten zu sozialen Spannungen im Athener Stadtstaat geführt, die Solon beenden wollte. Mit Einführung seines Gesetzes wurden mit einem Schlag sämtliche Schulden gelöscht und alle Schuldknechtschaften beendet.

Aber schon damals war diese Maßnahme nicht unumstritten – wegen Insider-Handels. Solon hatte nämlich vor Einführung des Gesetzes mit Freunden darüber debattiert. Und diese kauften daher noch schnell auf Kredit Land, was nach Einführung des Gesetzes für Aufregung in Athen sorgte.

Schuldturm. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurde es jedoch still um den Schuldenerlass. Schon im alten Rom war es für säumige Schuldner wieder alltägliche Bedrohung, in der Sklaverei zu enden. Und auch im Mittelalter und der frühen Neuzeit war es gängige Praxis, Schuldner bei Nichtbezahlen ins Gefängnis – häufig in Form eines Schuldturmes – zu sperren.

Schuldenerlässe der etwas anderen Art verschafften sich mitunter Könige und andere Herrscher: Sie ließen die Gläubiger einfach hinrichten. Aber auch das einfache Volk machte von dieser Methode Gebrauch. Etliche antisemitische Pogrome des Mittelalters werden darauf zurückgeführt, dass sich die Schuldner durch das Erschlagen der Geldverleiher – die aufgrund des christlichen Zinsverbots Juden waren – entschulden konnten.

Der positiv besetzte Schuldenerlass kam erst im Lauf des 18. Jahrhunderts wieder auf, als in der zivilen Rechtssprechung erstmalig das Konkurs- und Insolvenzrecht verankert wurde. Zuerst galten diese Gesetze nur für Unternehmen, seit dem Ende des 20. Jahrhunderts gibt es aber auch für Privatpersonen die Möglichkeit, in Konkurs zu gehen und sich so – nach Ablauf von sieben Jahren – zu entschulden.

Im 20. Jahrhundert wurde aber auch der Schuldenerlass für Staaten gängige Praxis. Den Anfang machten die USA, die ihren Verbündeten nach dem Ersten Weltkrieg die Schulden erließen. Aber auch Deutschland, der Verlierer des Zweiten Weltkrieges, kam 1952 in den Genuss eines Schuldenerlasses. Mehr als die Hälfte der damaligen Schulden wurde erlassen, weil sie für die junge Republik nicht zu tragen waren. Dieser Schuldenschnitt gilt heute als einer der Gründe, die das darauf folgende Wirtschaftwunder ermöglichten. Den letzten großen Schuldenerlass, vor jenem Griechenlands, gab es 1999 für die 41 am höchsten verschuldeten Länder der Welt – vornehmlich in Afrika. Gerade Letzterer wird aber von vielen Experten kritisch gesehen. Viele Staaten saßen nur wenige Jahre später wieder auf einem Schuldenberg, da die Gründe für die staatliche Misswirtschaft nicht behoben wurden.

Dennoch übt der Schuldenerlass als reinigende Kraft der Gesellschaft vor allem in Kunst und Kultur auf viele eine magische Wirkung aus. Dies war bereits bei Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ so, bei dem der Geldleiher Shylock den freiwilligen Verzicht noch ablehnt und dafür später hart bestraft wird. Es ist aber etwa auch die Kernaussage des populären Films „Fight Club“ von 1999. Der Protagonist Tyler Durden schafft darin einen „Neuanfang“ für eine vom Konsum und den dazugehörenden Schulden zerfressene Gesellschaft – umgesetzt durch die Sprengung von Hochhäusern, in denen Kreditkartenfirmen ihre Daten aufbewahren. Knapp zehn Jahre vor Ausbruch der Finanzkrise ein beinahe prophetisches Bild.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015)

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