In der Eurozone gehen die Preise um 0,6 Prozent zurück. Spanien lebt schon länger mit negativer Inflation – und meldet das stärkste Wachstum seit 2007. Dennoch lauern Gefahren.
Wien. Nur auf den ersten Blick haben die beiden Nachrichten, die am Freitag über den Ticker liefen, wenig miteinander zu tun. Die erste: Eurostat meldet, dass sich im Jänner die Deflation verstärkt. Um 0,6 Prozent sind die Preise in der Eurozone im Jahresvergleich zurückgegangen, nach 0,2 Prozent im Dezember. Die zweite: Die Spanier freuen sich, weil ihre Wirtschaft im vierten Quartal um zwei Prozent gewachsen ist – so stark wie seit sieben Jahren nicht mehr.
Aber genauer betrachtet wirken die Meldungen widersprüchlich – zumindest dann, wenn man die Welt mit den Augen von Mario Draghi sieht. Der EZB-Chef will ja vor allem deshalb um 1,14 Billionen Euro Anleihen kaufen, weil er Deflation so fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Die Zentralbank, könnte man meinen, hat gerade noch rechtzeitig gegengesteuert.
Kerninflation bleibt positiv
Aber die Spanier passen nicht ins Bild. Sie leben schon länger mit Deflation. Zuletzt ist der Rückgang spürbar geworden, mit 1,1 Prozent im Dezember – und gerade nun nimmt die iberische Wirtschaft richtig Fahrt auf. Treiber ist der Konsum. Die Verbraucher scheren sich offenbar nicht um die Ängste der Ökonomen. Statt ihre Käufe in Erwartung weiter sinkender Preise aufzuschieben oder aus Angst vor sinkenden Löhnen zu sparen, geben sie sich dem Konsumrausch hin. Ähnlich in Deutschland, wo die Preise um 0,3 Prozent nachgeben und die Kauflaune so gut ist wie schon lange nicht mehr.
Das liegt natürlich daran, dass bisher nur die Ölpreise wirklich einbrechen. Die Konsumenten zahlen weniger für Sprit und Heizung und geben das so Gesparte für anderes aus. Sie wissen, dass Rohstoffpreise launisch sind, und erwarten keinen Preisverfall auf breiter Front. Die Kerninflation ohne Rohstoffe liegt in der Eurozone bei 0,5 Prozent und wird für heuer mit 0,7 Prozent erwartet.
In Spanien aber hat sie die Nulllinie schon erreicht. Was also, wenn doch viele Preise sinken? Zunächst wohl wenig. Denn wir haben keine Erfahrungen damit, kennen nur ständig steigende Preise. Deshalb werden sich die Inflationserwartungen wohl erst mit einiger zeitlicher Verzögerung anpassen. Was aber dann?
Nach einer oft skizzierten Theorie halten sich Konsumenten zurück, wenn sie mit weiter fallenden Preisen rechnen, und lösen so eine Abwärtsspirale aus. Das ist wenig intuitiv: Wer den täglichen Bedarf aufschiebt, verhungert. Und wer einen Computer braucht, mag kurz zuwarten, weil er auf ein Angebot lauert, aber nicht ewig.
Doch Draghis Furcht dürfte anders motiviert sein: mit dem steigenden Realzins, der Unternehmen vom Investieren abhält. Die Zentralbank kann den nominalen Zinssatz nur auf Null drücken, weiter geht es nicht. Fallen die Preise, wird die Schuldenlast schwerer und der Schuldendienst teurer (für einen Kredit mit einem Zinssatz von einem Prozent muss man bei zwei Prozent Deflation real drei Prozent Zinsen zahlen). Vor allem in Spanien, Portugal und Irland sind sehr viele Unternehmen weiter hoch verschuldet.
Die Falle der starren Löhne
Dazu kommt das Problem der Löhne. Wäre der Arbeitsmarkt perfekt, müssten sie bei Deflation sinken – so wie sie bei Inflation immer zumindest um die Teuerung steigen. Aber eben wegen dieser Gewohnheit dürften sie eher starr bleiben. Das hat der österreichische Verhaltensökonom Ernst Fehr für den ähnlichen Fall einer sinkender Inflation in der Schweiz gezeigt (das einzige Gegenbeispiel ist die Deflation in Hongkong von 1998 bis 2003, wo die Löhne tatsächlich stark sanken – in einem anderen Wirtschaftsraum und Kulturkreis). Wenn aber Preise sinken, bedeuten schon stagnierende Zahlen am Lohnzettel, dass auch der Faktor Arbeit real teurer wird. Die Firmen sitzen also in einer doppelten Falle, ihre Kosten schießen in die Höhe.
Einziger Ausweg: Sie bauen Mitarbeiter ab. Die Arbeitslosigkeit steigt. So könnte es doch noch zu einer Abwärtsspirale kommen. Aber wie realistisch ist dieses Szenario? Fest steht: Wenn es kommt, dann sicher nicht bald. Einstweilen dürfen wir uns über sinkende Preise also noch ungetrübt freuen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2015)