Flieger, grüß mir die Sonne

Flugzeug mit Kondensstreifen
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Mitsubishi Heavy Industries baut das erste japanische Passagierflugzeug seit einem halben Jahrhundert. 2017 soll es fliegen und damit den Markt für Regionaljets aufwühlen.

Gegen Ende letzten Jahres bot sich ein Bild, das man zuletzt eher in Erinnerungen an längst vergangene Jahre wähnte. Ein riesiges Tuch über einer mammutartigen Karosse, davor lauter wichtige Persönlichkeiten, die begeistert klatschten, tuschelten, Fotos schossen. Es ging ja nicht um irgendwas. Auf dem Flughafen in Nagoya präsentierte der Konzern Mitsubishi Heavy Industries den Prototyp seines neuen Passagierflugzeugs, dem seit 52Jahren ersten Modell aus Japan. Bei der Enthüllung schwang eine Menge Patriotismus mit. Endlich kommt einmal wieder etwas Großes von hier.

„Lange Zeit war Japan für seine Stärken unter anderem im Automobilbau bekannt“, prahlte etwa Teruaki Kawai, Präsident von Mitsubishi Aircraft, der neu gegründeten Tochter von Mitsubishi Heavy Industries. „Wir müssen aber auch neue Industrien finden, und der Flugzeugbau bietet sich an.“ Mitsubishi will so das Geschäft für Kurzstreckenflugzeuge beflügeln. In Konkurrenz zu Airbus und Boeing, die vor allem Langstreckenflugzeuge bauen, tritt der japanische Konzern damit nur indirekt. Die unmittelbaren Gegner sind die beiden Marktführer Bombardier aus Kanada und Embraer aus Brasilien. Laut Teruaki Kawai will der Konzern binnen 20 Jahren 50 Prozent des weltweiten Marktes kontrollieren, der bisher immer von westlichen Produzenten dominiert wurde.


Ehrgeizig, nicht unrealistisch. Schon heute stehen über 400 Bestellungen in den Auftragsbüchern, viele von den japanischen Fluglinien All Nippon Airways und Japan Airlines, aber auch ausländische Kunden wie die amerikanische SkyWest oder die burmesische Linie Mandalay sind dabei. Nicht zuletzt wegen des Wirtschaftswachstums in Asien geht man bei Mitsubishi Aircraft davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren 5000 Regionaljets ausgeliefert werden. Auch wenn ebenso neue Rivalen aus China und Russland auf den Markt drängen, will der japanische Konzern bis 2018 1000 Stück verkauft und ab 2020 die Gewinnzone erreicht haben. Unter Experten gelten diese Ziele als ehrgeizig, aber nicht als unrealistisch.

Die wichtigsten Vorteile des Modells namens MRJ (Mitsubishi Regional Jet), das 92 Sitze hat, sollen die Sicherheit und der geringe Treibstoffverbrauch sein. Vor allem dank neuer Triebwerke soll das Flugzeug um ein Fünftel weniger als die Maschinen der Konkurrenz schlucken. Auch ein Modell mit 78Plätzen wird entwickelt. Allerdings ist der MRJ wegen seiner ausgereiften Technik auch teuer. Die Entwicklungskosten belaufen sich auf 180 Milliarden Yen (rund 1,3 Milliarden Euro). Die Konkurrenz aus Russland und China dürfte günstiger werden.

Es gab Zeiten, da wäre an Flugzeuge aus Japan kaum zu denken gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem das ostasiatische Land als eine der Achsenmächte weite Teile seines Kontinents kolonisiert, letztlich aber nach Abwurf der Atombomben und der Kriegserklärung der Sowjetunion verloren hatte, gab es ein Verbot für den japanischen Flugzeugbau. Von hier, wo auch Flieger von Mitsubishi für Kamikazeflüge eingesetzt worden waren, sollte nichts mehr kommen, das den Frieden und die Stabilität in der Pazifikregion ins Wanken bringen könnte. Ab den 1960er-Jahren baute Mitsubishi am japanischen Propellerflugzeug YS-11 mit, das 1973 zum letzten Mal produziert wurde. Seitdem ist es um Japans Luftfahrt ruhig geblieben.

Ein Neuling auf dem Feld des Flugzeugbaus ist die japanische Industrie aber keinesfalls – sie war auch nie so richtig weg. Wie andere nationale Betriebe profitierte Mitsubishi Heavy Industries von der starken Nachfrage in Europa während des Ersten Weltkriegs. Der Konzern wurde zu einem weltweit führenden Schiffbauer, es folgten weitere Geschäftsbereiche, darunter der Flugzeugbau. Auch mit Ende des Zweiten Weltkriegs ging das Know-how in diesen Bereichen nicht ganz verloren. Seit Langem sind japanische Betriebe wichtige Zulieferer unter anderem für den US-amerikanischen Konzern Boeing.

Damit wieder ganze Flugzeuge aus Japan kommen, ist auch der öffentliche Sektor mit Förderungen aufgesprungen, hat Forschungs- und Entwicklungsarbeiten unterstützt. Der größte Autohersteller der Welt, Toyota, hält ebenso Anteile an Mitsubishi Aircraft. 1400 Beschäftigte arbeiten an dem Projekt, wenngleich rund zwei Drittel der Flugzeugteile aus dem Ausland kommen. Die Türen kommen etwa von Airbus Helicopters im bayerischen Donauwörth, die neuen Triebwerke stammen vom US-Konzern Pratt & Whitney.


Neu in elitärer Branche. Und Mitsubishis Bemühungen in der Luftfahrt sind nicht die einzigen aus Japan. Auch der Autobauer Honda entwickelt ein kleineres Geschäftsreiseflugzeug namens Honda-Jet. Da dies in Partnerschaft mit General Electric geschieht, wird es zwar nicht wie der MRJ in Japan gebaut, sondern in North Carolina. Dennoch versteht sich der Honda-Jet als japanisches Prestigeprogramm. So handeln Tokioter Stadtgespräche derzeit manchmal von der Aussicht, dass 2020, wenn in Japans Hauptstadt die Olympischen Spiele stattfinden, vor allem heimische Flieger auf den Rollfeldern zu sehen sein könnten. Es wäre eine patriotische Genugtuung wie vor 50 Jahren, als Tokio die ersten Olympischen Spiele in ganz Asien veranstaltete und die Welt mit dem Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen beeindruckte.

Die Auslieferung des ersten Mitsubishi-Flugzeugs hat sich aber immer wieder verschoben. Als das Unternehmen 2008 den Bau ankündigte, sollte es 2013 fertig sein. So tragisch scheint die Verspätung aber nicht zu sein. Auch China hinkt einige Jahre hinterher, das neue Modell des brasilianischen Herstellers Embraer soll erst Jahre nach dem Start von Mitsubishi auf den Markt kommen. Der japanische Konzern wird somit auch ein Indikator dafür sein, wie der prestigereiche Flugzeugmarkt den Eintritt neuer Wettbewerber aufnimmt. Der erste Flug ist für Juni 2015 geplant. Wenigstens dann dürfte sich das stolze Staunen, das sich zuletzt in Nagoya bot, noch einmal wiederholen.

In Kürze

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es dem Land der Kamikazepiloten verboten, eigene Flugzeuge zu bauen.

In den 1960er-Jahren stieg das Land wieder in das Geschäft ein. 1973 war damit Schluss – bis heute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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