Das Bessere liegt doch so nah

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So hätte man die Steuerreform auch angehen können: mit einem Vergleich unter Nachbarn. Er zeigt: Deutsche zahlen weniger Steuern, die Schweiz verwaltet sich auch günstiger.

Die Nebel haben sich gelichtet, die Steuerreform liegt auf dem Tisch. Die Regierenden zeigen sich zufrieden, die Kommentatoren besorgt, vor allem wegen der reichlich vagen Gegenfinanzierung. Wo bleiben die konkreten Einsparungen in der Verwaltung, die so oft und feierlich versprochen wurden? Um eine Ahnung zu bekommen, was hier an Milliarden zu heben wäre, genügt schon ein einfacher Blick über die Grenzen.

Oder sagen wir besser: ein zweifacher. Denn wenn es um das gelobte Land Schweiz geht, werden im polemischen Überschwang gern heimische Äpfel mit helvetischen Birnen verglichen. Die Steuer- und Abgabenquote sei um 15 Prozentpunkte geringer als in Österreich, die Kosten der Verwaltung gar um ein ganzes Drittel. Ganz so schlimm (oder so verlockend) ist es freilich nicht. Aber auch mit sauber verglichenen Zahlen haben uns Eidgenossen und Deutsche einiges voraus.

Fangen wir mit den Steuern an. Eine einheitliche Basis bietet, mit den jüngsten Daten für 2013, die OECD. Sie weist für Österreich eine Fiskalquote von 41,7Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Die Schweiz kommt tatsächlich nur auf 26,9 Prozent. Aber bei der Schweizer Zahl fehlt ein großer Brocken: die Beiträge zur Sozialversicherung.

Verzerrte Quote. Sie werden in der Schweiz zum Teil von privaten Anstalten eingehoben, weshalb die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung sie dem Privatsektor zurechnet. Da aber jeder Bürger verpflichtet ist, mit fixierten Beträgen für Krankheit und Pension vorzusorgen, gehören diese zum Ländervergleich der Abgabenquoten. Damit steigt der Schweizer Wert auf 39,6 Prozent, was nicht mehr so weit vom österreichischen entfernt ist. Der überraschende Sieger im Drei-Länder-Bewerb ist Deutschland mit 36,5 Prozent. Müssten Österreicher so wenig Steuern wie die Deutschen zahlen, hätten sie von vornherein 17 Milliarden Euro mehr in den eigenen Taschen.

Zumindest im ersten Schritt. Denn der Staat agiert auch als riesige Umverteilungsmaschine, indem er Sozialtransfers, Förderungen und Subventionen verteilt. Wenn er weniger nimmt, kann er auch weniger geben. Wie hoch aber das Volumen der Umverteilung sein soll, legen die Bürger jedes Landes an der Wahlurne fest. Die Österreicher wollten zuletzt weniger – deshalb der Druck wegen einer Reform. Aber ob sie genau so viel wollen wie die Deutschen (oder sogar so wenig wie Amerikaner), ist damit nicht gesagt. So viel lässt sich jedoch sagen: Österreich liegt bei den Steuern im obersten Drittel, weit über dem Schnitt der Industrieländer. Damit liegt der Verdacht nahe, dass weniger für den Staat mehr für alle brächte.

Freilich ging es bei der Debatte über die Gegenfinanzierung der Steuerreform um etwas anderes, auf das sich im Prinzip alle einigen können: Wo der Staat selbst Güter bereitstellt und verwaltet, soll er das so effizient wie möglich tun. Um hier die relevanten Kosten zu vergleichen, zieht die OECD von den staatlichen Ausgaben alle monetären Transfers, Versicherungsleistungen und Investitionen ab. Übrig bleiben Personalkosten für Beamte, Sachaufwand (Vorleistungen) und „soziale Sachtransfers“ – das sind die Mittel zur Finanzierung von ausgelagerten Krankenhäusern oder Bildungseinrichtungen, die den Bürgern großteils gratis zur Verfügung stehen.

Wie teuer uns diese „Verwaltung im weiten Sinn“ im Vergleich zu anderen Ländern zu stehen kommt, hat das Wifo publik gemacht – in einer Studie aus dem Jahr 2008, die bis heute mächtig fortwirkt. Denn demnach hat die Schweiz, relativ zum BIP, die bei Weitem niedrigsten Verwaltungskosten aller Industrieländer – jene „um ein Drittel weniger“ als Österreich, was seitdem in keinem Klagelied über ausstehende Verwaltungsreform fehlen darf.

Aber kann man den Daten trauen? Zunächst sind sie zu aktualisieren: Für Österreich kommt man 2013 auf 20,8 Prozent des BIPs, für Deutschland auf fast genau gleich viel. Die Schweiz aber schlägt mit 12,9 Prozent weiterhin alle Industrieländer um Längen. Erraten: Die OECD-Daten haben hier die gleiche Unschärfe wie bei den Steuern. Es fehlen Finanzierungsbeiträge für die formell privaten Sozialversicherungen.



Neun Milliarden. Mithilfe des Thinktanks Avenir Suisse hat „Die Presse am Sonntag“ auch hierfür einen korrigierten Wert ermittelt. Die Kosten steigen dann auf 18,0 Prozent, was plausibler erscheint. Dennoch bleibt die Schweizer Verwaltung um ein Wesentliches günstiger als die österreichische: umgerechnet um 9,2 Milliarden. Das macht 1074 Euro pro Kopf – pardon, würde machen. Denn auf eine echte Verwaltungsreform lässt die diffuse Absichtserklärung der Koalition nicht hoffen.

Freilich lassen Länder sich nicht so einfach vergleichen. Auf festerem Boden bewegen sich komplexe Kalküle wie jene des Wifo, das damals ein Einsparungspotenzial von drei Milliarden ermittelt hat. Aber in Zeiten des Unmuts über verpasste Reformchancen sei es erlaubt, gröber über den Daumen zu peilen: Die Schweiz hat in etwa so viele Einwohner wie Österreich, einen ähnlich ausgeprägten Föderalismus, ist bestens verwaltet, hat sehr gute Schulen und Spitäler – und die Kosten dafür sind um so viel niedriger als bei uns, dass sich allein mit der Differenz fast zwei Steuerreformen finanzieren ließen. Noch Fragen?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2015)

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