Schweden: Jeder Dritte will beim Staat arbeiten

(c) GEPA pictures / Ch. Kelemen
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Schwedens Wirtschaft wurde stark liberalisiert. Waren vor der Krise Jobs in der Privatwirtschaft begehrt, sehnen sich Studenten heute wieder nach einer Beamtenkarriere.

Stockholm. Schweden ist fast ein halbes Jahrhundert sozialdemokratisch geprägt gewesen. Das Land ist für seinen starken Wohlfahrtsstaat bekannt, den sich viele Politiker zum Vorbild nehmen. Doch nach den Wirtschaftskrisen der 1990er-Jahre durchlief das Land einen umfangreichen Privatisierungs- und Liberalisierungsprozess. Der öffentliche Sektor wurde abgebaut. Hochschulstudenten wurden von den weniger verstaubt wirkenden und besser bezahlten Angeboten in der Privatwirtschaft angelockt. Lang hieß es auch in Schweden, dass die besonders leistungsstarken Studenten stets in die Privatwirtschaft wollten, während die schwächeren staatliche Jobs suchten. So hat etwa der Beruf des Lehrers in Schweden inzwischen einen relativ geringen Status.

32 Prozent wollen in den Staatsdienst

Doch seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 wird Vater Staat bei den schwedischen Studenten wieder populärer. Heute wollen rund 32 Prozent aller Hochschulabsolventen am liebsten in staatlichen Anstalten oder für Kommunen und Regionen arbeiten, 68 Prozent favorisieren weiterhin die Privatwirtschaft. 2008 wollten nur 22 Prozent zum Staat. Dies ergab eine repräsentative Befragung des Amtes für staatliche Arbeitgeber. In der Befragung wurden rund 1100 Studenten aus den Bereichen Jus, Wirtschaft, IT, Technik und Gesellschaftswissenschaften befragt. Nur 14 Prozent der Befragten studierten Gesellschaftswissenschaften, bei denen staatlichen Anstellungsformen traditionell besonders populär sind.

„Es ist sehr erfreulich, dass wir unsere Stellung bei Akademikern als künftige Arbeitgeber verbessert haben. Wir haben sehr viel daran gearbeitet, den Staat als Arbeitgeber zu profilieren“, kommentierte Ulf Bengtsson, Generalsekretär des Amtes für staatliche Arbeitgeber. Es gehe darum, die kompetentesten Studenten zu bekommen.

In der Imagekampagne seiner Behörde ging es vor allem darum, das graue Bild vom Berufsleben in staatlichen Behörden, die Vorurteile von zu viel Bürokratie, festgefahrenen Entscheidungs- und Aufstiegsstrukturen und langweiligen Arbeitsaufgaben entgegenzuwirken. Dazu wurden besonders interessante Jobs für Staatsangestellte eingehend präsentiert.

Werbeanzeigen wurden geschaltet und Aufklärung vor Ort an den Hochschulen durchgeführt. Auch haben einzelne staatliche Bereiche wie die Polizei, die Steuerbehörde und die Universitäten mehr Mittel dazu aufgewendet, um sich als interessante Arbeitgeber zu vermarkten. Dabei haben sie sich anscheinend einiges von der Rekrutierungsarbeit der Privatwirtschaft abgeschaut, die es bereits gewöhnt ist, sich um kompetente Studenten zu bemühen.

Krisen wirken nach

„Die Studenten haben heute einen besseren Überblick darüber, was der Staat ihnen an Arbeitsplätzen zu bieten hat“, so Bengtsson. Zudem sei auch die Tatsache, dass in staatlichen Jobs oft etwas für das Wohl der Allgemeinheit getan wird, ein wichtiger Grund für Studenten mit idealistischem Anspruch, sich für diesen Bereich zu entscheiden.

Zu den Gründen für die neue Popularität des Staates zählen auch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Mentalität der Studenten, räumt Bengtsson ein. Wirtschaftskrisen wie in den 1990er-Jahren und dann wieder 2008 hätten dazu beigetragen. Auch wenn eine staatliche Anstellung heute keine Unkündbarkeit mehr bedeutet, gilt der Staat als sicherer Arbeitgeber. Zudem sind Studenten heute ein gutes Arbeitsklima, Freizeit und Selbstverwirklichung wichtiger als Karriere und Dauerbelastung, wie Arbeitsmarktstudien zeigen.

Allerdings gibt es selbst im einst so staatlich geprägten Schweden immer weniger Arbeit beim Staat. Nur noch fünf Prozent der Arbeitsplatzangebote kommen von dort. Unter dem Strich beträgt die Arbeitslosigkeit in dem Land knapp acht Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit (unter 25 Jahre) ist mit 22 Prozent aber weitaus höher.

AUF EINEN BLICK

Schwedens Junge kehren der Privatwirtschaft zunehmend den Rücken und wollen lieber beim Staat Karriere machen. Vor allem die öffentliche Hand selbst hat in den vergangenen Jahren an ihrem Image als Arbeitgeber gearbeitet und versucht, es von Vorurteilen zu befreien. Als Vorbild hat man sich dabei die Privatwirtschaft genommen. Die neue Popularität des Staates ist auch auf zahlreiche Krisen zurückzuführen. Ein Beamtenjob gilt gemeinhin als sicher. Aber der Staat spart, offene Stellen sind rar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2015)

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