IWF-Ausblick: Potenzial für Wachstum sinkt weltweit

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Die möglichen Wachstumsraten kehren nicht auf den Vorkrisenpfad zurück. Die Gründe: Die Schwellenländer haben die große Aufholjagd bei der Produktivität schon hinter sich. Und die Industrieländer sind einfach überaltert.

Wien. Die Krise ist vorbei, jetzt holen wir das Versäumte nach! So hieß es früher nach jedem wirtschaftlichen Rückschlag, ob durch Rezessionen oder Kriege, und so traf es auch meist ein. Im besten Fall waren die Wachstumsraten nach der Zäsur sogar höher als davor, wie zu Zeiten von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Im nicht ganz so guten Fall waren die Raten gleich hoch wie vor der Krise. Auch damit wurde der Einbruch recht rasch überwunden, nur im Vergleich zu den ungetrübten Prognosen blieb das absolute Volumen auf Dauer zurück. Noch nie aber sind auch die möglichen Wachstumsraten durch einen „Schock“ auf Dauer gesunken.

Genau das aber suggeriert ein oberflächlicher Blick auf eine Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Rahmen des „World Economic Outlook“. Ihr Fazit lautet: Die Weltwirtschaft kann prozentuell gar nicht mehr so stark wachsen wie vor 2008, weder in den Industriestaaten noch in den Schwellenländern (siehe Grafik unten). Die geschätzte Größe ist das „Potenzialwachstum“: die mögliche Steigerung bei stabilem Geldwert, ohne starke Inflation oder Deflation. Sie hängt nur von Kapital, Arbeit und der Produktivität beider Faktoren ab. Die tatsächliche Konjunktur schert kurzfristig aus: Kleinere Schocks bringen die Entwicklung aus der Bahn, weil Preise und Löhne sich nicht gleich anpassen. Das Potenzialwachstum erklärt damit mehr als eine statistische Trendlinie, aber weniger als ein „nachhaltiges“ Wachstum, für dessen Berechnung man Blasen auf den Märkten im Voraus erkennen müsste. Das trauen sich die IWF-Forscher nicht zu; schon die Schätzung des Potenzialwachstums ist heikel genug. An ihm orientieren sich aber Notenbanker und Politiker, weil es ihren Spielraum anzeigt.

Kann nun eine Krise den Weltlauf so durcheinanderbringen, dass das mögliche Wachstum nach ihr auf Dauer zurückbleibt? Permanente Effekte sind zwar denkbar: Wer lange keinen Job findet, kehrt dem Arbeitsmarkt ganz den Rücken. Oder: Unternehmen investieren vor lauter Unsicherheit so lange nicht, bis der Kapitalstock geschwächt und die Kurve des Fortschritts geknickt ist. Aber: So schlimm war die Krise in den meisten Ländern nicht. Das zeigt auch der IWF: Früher oder später sind die Krisenfolgen passé.

Dass der dritte Balken (die Prognose 2015 bis 2020) deutlich niedriger ist als der erste (der Schnitt 2001 bis 2007), hat mit der Krise dazwischen also wenig zu tun. Was aber sind die wahren Gründe? In den Industriestaaten ging das Potenzialwachstum schon vor der Krise zurück. Das lag an der Produktivität: Die besonders stürmische Entwicklung von IT und Internet rund um die Jahrtausendwende konnte so nicht anhalten. Auch wenn sich der Schub nicht wiederholt, ist aber das mittlere Produktivitätswachstum der Vorkrisenzeit erreichbar. Auch das Wachstum des Kapitalstocks kommt langsam, aber doch wieder in Fahrt. Wo es auf Dauer an Dynamik fehlt, ist die Beschäftigung – wegen der alternden Gesellschaft. In Japan und Deutschland wird die Erwerbsbevölkerung bald schrumpfen. Überall enthält sie immer mehr Ältere, von denen relativ viele nicht mehr arbeiten. Schon in den Nullerjahren waren die Geburtenraten längst im Sinkflug, aber die noch voll erwerbstätigen Babyboomer verdeckten das demografische Problem.

Es stellt sich, immer mehr, auch für die Schwellenländer. China, Russland und Brasilien altern rapide. Aber die größte Bremse bildet hier die Produktivität: Vor der Krise hat die Zweite Welt so ungestüm aufgerückt zum technologischen Niveau der Ersten, sich so viel Know-how verschafft und den Bildungsstand so verbessert, dass der Abstand vielerorts nicht mehr groß ist. Auch eine Aufholjagd kann nicht ewig dauern.

Dieses Ergebnis ist aber kein Anlass zu Klagen und Fatalismus. Die Schwellenländer wachsen nun zwar prozentuell nicht mehr so stark, aber summiert in absoluten Zahlen auf konstantem Niveau – und das ist mittlerweile sehr hoch, weit höher als zu Beginn des Jahrtausends. Die Industriestaaten können immerhin auf einen neuen technologischen Schub hinarbeiten – kein Ökonom sagte in den Neunzigerjahren die Kommunikations-Revolution samt ihren segensreichen Folgen voraus. Vor allem aber, betonen die IWF-Experten, ist die Politik nicht machtlos. Der Unterschied zu früher: Vor der Krise stimmte die Richtung grosso modo auch ohne ihr Zutun. Nun sind weise Lenker gefragt. Dass sie freilich in den Augen vieler oft fehlen, ist anderen Artikeln zu entnehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2015)

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