Der Petrodollar-Fluss trocknet aus

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Der niedrige Ölpreis zwingt die Ölstaaten zum Griff in die Reserven. Zum ersten Mal seit 20 Jahren entziehen sie den Märkten Liquidität, statt die Petrodollar wieder zurückzupumpen.

Wien. Des Autofahrers Freud, der Ölstaaten Leid: Seit Anfang 2014 hat sich der Ölpreis halbiert – von über 100 Dollar pro Fass im Dezember 2013 auf zuletzt rund 55 Dollar. Die positiven Auswirkungen dieses Kollapses sind rasch zu finden: Niedrige Energiepreise wirken wie ein Konjunkturpaket für die Wirtschaft – und an der Tankstelle freuen sich die Lenker.

Die negativen Folgen des Preisverfalls sind vielseitiger. Dass der niedrige Ölpreis Länder wie Saudiarabien, Russland und den Iran trifft, liegt auf der Hand – haben deren Regierungen ihre Budgets doch mit teilweise deutlich höheren Fasspreisen kalkuliert. Aber erst jetzt, da der Ölpreis im Tal festgenagelt scheint, machen sich die langfristigen Effekte bemerkbar. Und sie treffen die internationalen Finanzmärkte genauso wie die Budgetplaner der US-Regierung in Washington.

Das entscheidende Stichwort ist Liquidität. Genau genommen: „Petrodollar-Liquidität“. Die französische Bank BNP Paribas hat ausgerechnet, dass allein den Opec-Staaten heuer 316 Mrd. Dollar an Einnahmen entgehen werden. Und zwar dann, wenn sich der Ölpreis im Laufe des Jahres bei 70 Dollar pro Fass einpendelt, was derzeit eine eher optimistische Annahme ist. Das Problem: Diese Petrodollar fließen in der Regel in Staatsanleihen und Finanzmärkte – und dieser Fluss trocknet gerade aus.

„Der Schock ist gewaltig“

Es kommt zu einer Kettenreaktion. Erster Profiteur des „Petrodollar-Recyclings“ war die US-Regierung. Denn die wichtigste Adresse für Petrodollar sind traditionell US-Staatsanleihen. So halten die Ölstaaten Geld in „Cash“, als Reserven: Sie tauschen die ausländische Währung in Staatsanleihen. Über diesen Umweg landet das Ölgeld dann in der Form von US-Staatsausgaben wieder in der Wirtschaft.

Aber Treasuries sind nicht das einzige Ziel der Petrodollar: Von europäischen Staatsanleihen bis zum amerikanischen Immobilienmarkt ist praktisch jeder große Markt betroffen. Selbst jener für Statussymbole der extremen Sorte. So hat sich der Ölstaat Qatar in den guten Jahren das legendäre Londoner Kaufhaus Harrods und den französischen Fußballklub Paris Saint-Germain zugelegt.

Seit dem Ölpreiskollaps ist aber alles anders. „Das ist das erste Mal in 20 Jahren, dass die Opec-Staaten Liquidität aus dem Markt saugen, statt hinzuzufügen“, sagt BNP-Analyst David Spegel. Er erwartet, dass die Ölstaaten heuer Assets im Wert von rund 200 Mrd. verkaufen müssen. Die Reserven schrumpfen rasant: Im Februar allein hat der weltgrößte Ölproduzent Saudiarabien seine Währungsreserven um 20 Milliarden Dollar reduzieren müssen. Das war der größte monatliche Einbruch seit 15 Jahren – und das Doppelte dessen, was Saudiarabien nach der Finanzkrise in die Hand nehmen musste.

„Der Schock für die ölreichen Länder ist gewaltig“, sagte Rabah Arezki, Chefanalyst für Rohstoffe beim Internationalen Währungsfonds IWF, der Nachrichtenagentur Bloomberg. In Angola sind die Reserven vergangenes Jahr um 5,5 Mrd. Dollar geschrumpft – der größte Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen vor 20 Jahren. Nigeria hat allein im Februar 2,9 Milliarden seiner Reserven verbraucht.

500 Mrd. im „besten“ Jahr

Und Algerien, einer der wichtigsten Gasexporteure der Welt, hat im Jänner 11,6 Mrd. an Reserven abgebaut – der größte Einbruch in 25 Jahren. Bei diesem Tempo steht das Land binnen 15 Monaten ohne Währungsreserven da. Aber die Ölstaaten haben keine andere Möglichkeit – außer die Staatsausgaben drastisch einzuschränken, was unwahrscheinlich ist.

Weil sie für den Abbau der Währungsreserven aber Staatsanleihen verkaufen müssen – und das in erster Linie US-Treasuries trifft, fehlt die entsprechende Liquidität im Markt. Dies könnte auch einer der Gründe für den hohen Wechselkurs des US-Dollar sein: Knappheit. Laut George Abed, Direktor für Afrika und den Nahen Osten beim Institute of International Finance, haben die Ölstaaten im bisher „besten“ Jahr 2015 rund 500 Mrd. Dollar in liquide Märkte wie US-Staatsanleihen, Unternehmensbonds und Aktien gesteckt. Jetzt sind sie dabei, diesen Märkten Liquidität zu entziehen.

Ironischerweise spielt auch der Schieferöl-Boom in den USA eine Rolle: Weil Amerika weniger Öl importiert, fließen weniger Dollar in den Nahen Osten. Aber zumindest dieses Problem wird ausgerechnet der niedrige Ölpreis für die Ölstaaten lösen: Denn der US-Schieferölsektor braucht deutlich höhere Ölpreise als etwa Saudiarabien, um mit dem „schwarzen Gold“ Geld verdienen zu können.

Der kollabierte Ölpreis hat auch den US-Ölrausch stark ausgebremst. Und weil der Boom vor allem durch die Nullzinspolitik der Zentralbank (also durch billiges Geld) befeuert wurde, warnen Analysten bereits vor einem Platzen der Schieferöl-Blase – was die Abhängigkeit der USA von Opec-Öl und damit die Einnahmen der Ölstaaten wieder erhöhen würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2015)

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