Europas Tech-Giganten sterben aus

Nokia hat den Smartphone-Trend verschlafen. 2013 ging es daher an Microsoft.
Nokia hat den Smartphone-Trend verschlafen. 2013 ging es daher an Microsoft.BLOOMBERG NEWS
  • Drucken

Nur noch acht europäische Konzerne schaffen es aktuell unter die hundert Größten der IT-Branche. Asien und die USA dominieren klar. Europas Firmen brauchen einen Jungbrunnen.

Wien. Es grenzt schon ein wenig an Verzweiflung, was Europa derzeit versucht, um den Anschluss im digitalen Geschäft nicht vollends zu verlieren: Politiker in Brüssel denken laut darüber nach, unliebsame Internetkonzerne aus den USA einfach zu zerschlagen oder ihnen zumindest die Kartellwächter an den Hals zu hetzen. Auch Europas Datenschützer sind gut damit beschäftigt, die Googles und Facebooks dieser Welt mit Klagen einzudecken. Nur vereinzelt hört man, dass die EU vielleicht ein eigenes Microsoft brauchen könnte, um die US-Dominanz zu brechen.

Veteranen aus dem 19. Jh.

Dabei geht es genau darum. Europas Technologiekonzerne haben mit der Digitalisierung der Wirtschaft rapide an Stärke verloren. Unter den hundert größten Hightech-Unternehmen der Welt (nach Umsatz) finden sich nur acht europäische Exemplare, wie die Unternehmensberatung A.T.Kearney in der Studie „Rebooting Europe's High-Tech Industry“ schreibt. Sie unterteilt den zwei Billionen US-Dollar (1,8 Bill. Euro) großen Markt in neun Segmente (siehe Grafik).

Europäische Handyhersteller, Computerbauer oder Internetkonzerne sucht man nach dem Verkauf von Nokia an Microsoft vergebens. Je weiter weg vom Endkunden, desto eher können Europas Firmen mithalten. Bei Softwarekonzernen ist der deutsche Hersteller von Unternehmenssoftware SAP immerhin Nummer vier hinter Microsoft, IBM und Oracle. Noch besser sieht es bei Netzwerkausrüstern aus: Hinter dem US-Riesen Cisco warten die „Europäer“ Ericsson, Alcatel-Lucent und Nokia Siemens Networks, die bald schon gemeinsame Wege gehen könnten. Dazu kommen die IT-Dienstleister Cap Gemini, Atos und T-Systems sowie der Halbleiterkonzern ST-Microelectronics. Das wars dann. Der Rest der hundert größten Tech-Firmen kommt aus den USA und Asien.

Allen europäischen Vertretern ist gemeinsam: Sie sind ziemlich alt. Ericsson, Nokia und Alcatel-Lucent sind allesamt im vorvorigen (!) Jahrhundert gegründet worden. Auch jüngere Exemplare haben mittlerweile gut 50, 60 Jahre auf dem Buckel. Und: Europas Tech-Veteranen ruhen sich zunehmend auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus. Etwa Nokia. Der einst größte Handyhersteller aus Finnland hat den Smartphone-Trend komplett verschlafen und ging daher 2013 an Microsoft. Nicht verkauft haben die Finnen damals den Patentschatz, ihre Garantie für weiter sprudelnde Einnahmen. Die Innovationen der früheren Jahre bescheren Nokia immer noch einen Anteil an fast jedem verkauften Smartphone weltweit.

(c) Die Presse

Studenten zu Unternehmern

Für die Zukunft sieht es allerdings düsterer aus. Denn schon 2012 wurden die meisten Tech-Patente in Europa nicht mehr von europäischen Firmen eingereicht (siehe Grafik). Südkoreas Samsung und LG und die amerikanische Qualcomm belegten die ersten Plätze.

Europas Hochtechnologiekonzerne brauchen eine Verjüngungskur. Die 500.000 Ingenieure, Informatiker und Naturwissenschaftler, die hier jährlich ausgebildet werden, werden offenbar nicht ausreichend ermuntert und finanziell unterstützt, Unternehmer zu werden. Sie forschen viel, entwickeln aber kaum marktreife Produkte.

Oft scheitern hiesige Technologiefirmen auch am noch unvollendeten digitalen Binnenmarkt der EU. An jeder Landesgrenze lauern neue Gesetze, Sprachen und Regularien. So fällt rasches Wachstum in Europa nicht leicht, obwohl der Kontinent immer noch ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung beisteuert.

Der Trend hat Konsequenzen. Denn sollten keine neuen digitalen Größen in Europa entstehen und die verbliebenen Netzwerkausrüster und Chipkonzerne verschwinden, wird das auch die Volkswirtschaft spüren. Verliert Europa das Know-how des Tech-Sektors, werden mittelfristig wohl auch andere Branchen abwandern (müssen).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.